Nikolaus.net Impressum    

Die Geschichte der Deutschen Weihnacht
Kapitel I

Christliches Jesusgeburtsfest, römische Januarkalenden und deutsche Winteranfangsfeiern


Wohl im Jahre 5 vor dem Beginn unsrer heutigen Zeitrechnung war Jesus von Nazara geboren. Sein Geburtsjahr ist nicht mehr ganz untrüglich festzustellen. Sein Geburtstag ist der Geschichte ebenso unbekannt. Die beiden ersten Jahrhunderte der christlichen Sekten kannten ihn ebenso wenig, und er scheint ihnen auch gar nicht interessant gewesen zu sein. Noch das ganze apostolische Zeitalter betrachtete ja den Weisen von Nazara als einen Menschen, den Sohn Josephs und Marias. Erst die spätere Zeit machte ihn zum Gotte und ersann über ihn nach dem Vorbild Sakyamuni Buddhas Geburtssagen, die dann den älteren Berichten von seiner Wirksamkeit vorgestellt wurden. So entstanden die christlichen Evangelien, die ihren Abschluss nicht vor dem Anfang des vierten Jahrhunderts gefunden haben können, da in ihnen bereits der neuen Auffassung der Persönlichkeit ihres Helden, die sich seit 354 im Weihnachtsfeste ihr Denkmal setzte, Rechnung getragen ist.
Einzelne Grübler haben schon seit dem dritten Jahrhundert Jesus' Geburtstag zu bestimmen versucht, freilich nicht mit historischen, sondern mit Phantasiemitteln. Nun sind aber allegorische Betrachtungen und Berechnungen niemals produktiv, sondern bringen ausschließlich bereits Bestehendes in Verbindung. Unbeweisbares, an das man doch Glauben fordert, mit einem Schimmer von geistigem Glanz zu versehen, sind sie wohl geeignet: neue Resultate, auch neue Dogmen, schaffen sie nicht. So schuf man damit wohl neue Berechnungen, aber keine neue Feier. Mochte Clemens von Alexandrien behaupten, der 17. November sei der Geburtstag, oder die Schrift über die Osterzeit, die später dem Cyprianus zugeschrieben wurde, der 28. März sei es: den kirchlichen Festbrauch beeinflussten sie damit nicht. Bei den andern Märtyrern der neuen Überzeugung feierte man die Todestage, und die Geburtstagsfeier überhaupt bekämpfte man als heidnische Sitte. Als man sich dann im dritten Jahrhundert, von dem kirchlichen Brauch ausgehend, mit der Datierung der einzelnen Züge der Jesussage zu beschäftigen begann, wurde zum Gedenktag der Gottwerdung durch die Taufe der 6. Januar römischen Stils.
Da kam in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts eine neue Anschauung über die Person des Religionsstifters zum Siege, die Meinung, dass er schon von Geburt an ein Gott gewesen und dies nicht erst durch die Feuertaufe am Jordan geworden sei. War bis dahin der 6. Januar, das Erscheinungsfest, an dem nach gnostischer Ansicht in jener Taufe der Gott auf den Menschen Jesus niedergekommen war, neben Ostern und Pfingsten das dritte Hauptfest der Kirche gewesen, so musste diese Feier nun notwendigerweise der Geburtsfeier weichen.
Der Mann, der diesen Schluss zog und auch sofort an die Einführung des neuen Festes ging, war der römische Bischof Liberius. Noch 353 wurde in Rom der 6. Januar als das Geburtsfest des Gottes in Jesus gefeiert. Ein neues Geburtsfest hatte aber nur dann Aussicht, das alte zu verdrängen, wenn es vor diesem und mit höherem Glänze begangen wurde. Mit dem 6. Januar hatte bisher die Laufbahn des neuen Gottes begonnen, am Karfreitag hatte sie geendet. Es lag auf der Hand, dass auch deswegen schon die Geburtsfeier vor den 6. Januar angesetzt werden musste. Da boten sich denn zwei römische Volksfeste von selbst dar als Anknüpfungspunkte. Nämlich einmal der Jahresanfang an den Kalenden des Januar, und sodann die Saturnalien am 17. bis 19. Dezember, und vielleicht noch an den folgenden Tagen. An das wüste Volksfest des Jahresanfangs anzuknüpfen, mochte man begründete Bedenken tragen. Aber auch die Saturnalien passten nicht ganz. Es galt nämlich nicht der 18. Dezember, sondern der 25 in Italien als Sonnenwendtag, als Geburtstag der neuen Sonne. Liberius mag sich wohl einen Augenblick besonnen haben, schließlich aber setzte er die Geburtstagsfeier zwischen Saturnalien und Kalenden mitten hinein auf den durch den volkstümlichen Kalender ausgezeichneten Tag, und von da an mussten alle Mittel dazu dienen, diese Neuerung zu stützen.
Das Jahr 354 sah das erste Jesusgeburtsfest am 25. Dezember, und zwar fand es in der alten Hauptstadt des römischen Weltreiches statt, das eben auseinanderbröckelte. Die Schaffung des neuen Festes war der Ausfluss einer religiösen Politik gegenüber den Anhängern des römischen Glaubens, "durch welche die katholische Kirche die Mittel gewann, die heidnischen und trotz des Bekenntnisses auch heidnisch bleibenden Massen des Volkes nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu befriedigen." Und die Zeltverhältnisse waren einem Siege des neuen römischen Kirchenfestes überaus günstig. Mit dem Triumph, den der Glaube des Athanasius und der Erben des heiligen Petrus in Rom errang, hielten auch die kirchlichen Gebräuche der römischen Kirche ihren Einzug in den Osten. In Konstantinopel wurde das erste Weihnachtsfest 879 gefeiert, in Nyssa in Kappadocien 382, in Antiochien 388. Von kirchlicher Agitation und Autoritätsbestrebung getragen, drang das Fest überallhin, wenn es ihm auch an eigentlicher Popularität fehlte. Noch 506 rechnete die Synode zu Agatha das Jesusgeburtsfest unter die großen Feste, die nur in den Städten und Pfarrkirchen begangen werden durften.
Die staatliche Anerkennung blieb nicht aus. Während das Gesetz des Kaisers Valentinianus über die gerichtsfreien Tage vom Jahre 389 ein Jesusgeburtsfest noch nicht kennt, so nennen bereits die Erläuterungen zu dem Gesetzbuch Alarichs, mit dem dieses gleich bei seiner Entstehung 506 ausgestattet wurde, Jesusgeburtsfest und Erscheinungsfest als gerichtsfrei. In das Gesetz selbst ist diese Bestimmung freilich noch nicht aufgenommen, wohl aber in den Codex Justinianus von 534. Bereits im Jahre 400 wurden an denselben beiden Festen Schauspielvorstellungen verboten.
Indessen bildete sich an das alte und neue Geburtsfest anknüpfend in der Kirche eine ganze Festzeit aus. Zwischen beiden liegt ein Zeitraum von zwölf Tagen, den der Syrer Ephraim schon im vierten Jahrhundert als heilig bezeichnete und dessen besondere Verehrungswürdigkeit die Synode von Tours 567 als Dodekahemeron, als "Zwölften" anerkannte.
Mit dem Erscheinungsfest und Jesusgeburtsfest - denn in dieser Reihenfolge sind die beiden Feste noch geraume Zeit nach ihrer Bedeutung zu nennen - kam die heilige Zwischenzeit überallhin, nach Gallien, in das deutsche Frankenreich, nach dem Osten Germaniens und zu den Slaven, erst durch kirchliche Autorität eingeführt und dann selbst in den Volksglauben eindringend, von dem sich die Kirche bei fortschreitender Bildung lossagte und den sie in späteren Jahrhunderten als Aberglauben bekämpfte. Noch heute kennt der Glaube des Landvolks die heiligen zwölf Nächte um die Jahreswende.
Der Vorteil, den sich die neue Religion durch die Ansetzung der Geburt ihres Stifters auf den Sonnenwendtag geschaffen hatte, ist von den kirchlichen Rednern und Schriftstellern der folgenden Jahrhunderte wacker ausgenutzt worden. Schon Chrysostomus (um 490) sagt einmal: "Bildlich nennen die Leute diesen heiligen Tag der Geburt des Herrn die neue Sonne und schaffen durch diese Bezeichnung eine Art Übereinstimmung zwischen Juden und Heiden." Gregor von Nyssa († nach 394) zieht ähnliche Parallelen, in denen er Voraussetzung und Folgerung umkehrt. In einer um 400 gehaltenen Neujahrspredigt preist der Bischof Maximus von Turin die Vorsehung dafür, "dass Jesus gerade an einem heidnischen Feste geboren werden musste, damit die Menschen angeregt würden, sich heidnischen Aberglaubens zu schämen." Faustus, der Manichäerbischof, den Augustinus erst so gern kennen lernen wollte, und gegen den er späterhin so erbittert schrieb, warf ihm ganz richtig vor, dass die Christen das Geburtsfest der Sonne nur unter einem andern Namen feierten, und Augustin selbst hielt es für durchaus nötig, diese richtige Anschauung zu bekämpfen: "Wir feiern den 25. Dezember nicht wegen der Geburt der Sonne wie die Ungläubigen, sondern wegen der Geburt dessen, der die Sonne geschaffen hat." Papst Leo I. (440 - 461) klagt in einer Weihnachtspredigt gar, der Teufel habe einfältige Seelen so berückt, dass sie sich einbildeten, dieser Tag sei nicht sowohl wegen der Geburt des Jesus, sondern vielmehr wegen der Erneuerung der Sonne heilig. -
Bei seiner Rechnung hatte der Bischof Liberius vergessen, dass die Kalenden des Januar nicht bloß ein Volksfest wie die Saturnalien waren, sondern dass sie durch ihre Bedeutung als Jahresanfang eine tiefe Wurzel in dem gesamten Geschäftsleben wie in der staatlichen Regierung hatten. Mit seiner Wahl des 25. Dezember statt des 1. Januar zum Geburtstag von Jesus hat er seiner Religionsgemeinschaft einen neunhundertjährigen Kampf aufgebürdet, in dem sie schließlich doch noch unterlag. Die Saturnalien hat die neue Kirche bald bezwungen, nicht aber die Kalenden. Auch im deutschen Volksglauben hat dieser Kampf seine deutlichen Spuren hinterlassen, die noch heute in dem Schwanken von Neujahrs- und Weihnachtsbrauch sichtbar sind.
Ursprünglich hatte, wie noch die Monatsnamen September bis Dezember beweisen, das römische Jahr mit dem Beginn des Frühlings am 1. März begonnen. Erst spätere Zeit hatte zwei neue Monde an den Jahresanfang gestellt und das Jahr mitten im Winter und nicht mehr mit dem Beginn einer neuen Jahreszeit beginnen lassen. Es ist wohl der erste Sieg des Kalenderdoktrinarismus über das Natürlicheinfache. Seitdem begann das römische Jahr mit dem 1. Januar. Wollte die neue Religion dessen Feier beseitigen, so musste sie ihn auch als Jahresanfang beseitigen, d. h. diesen auf ihren Jesusgeburtstag verlegen. Das hat sie denn auch seit dem Anfang des neunten Jahrhunderts getan. Der Stilus Curiae Romanae rechnete das Jahr vom 25. Dezember. In ganzen Landschaften gelang es ihr auch, dies durchzusetzen. Die deutschen Könige folgten ihr bei ihrer völligen Abhängigkeit von Rom. Das ganze spätere Mittelalter hindurch hat die römische Kirche so gerechnet und zum Trotz des laufenden Datums das neue Jahr mitten in einem Monat begonnen. Es war die Jahreszählung a nativitate domini oder abgekürzt: "im Jahr des Herrn", die man noch jetzt oft fälschlich auf das heute bei den Kulturvölkern allgemein übliche römische Jahr anwendet. Erst Innocenz XII., der 1691 zur Papstwürde gelangte, verzichtete Vollständig auf dies Kalenderumsturzgelüste, und nur das in allen gleichgültigen Fragen immer konservative England behielt in seinen katholischen Teilen Weihnachten als Jahresanfang noch bis 1732 bei.
Versuchte die neue Religionsgemeinschaft den Kalenden des Januar den alten Glanz zu entziehen, den sie als erster Tag des Jahres besaßen, so schloss sich an diesen Versuch auch sofort der Kampf gegen die sehr volkstümliche Feier der Januarkalenden. Jahrhunderte lang gab sich ihre Hierarchie die verzweifeltste Mühe, sie zu unterdrücken. 692 verbot das Concilium Trullanum alle Teilnahme an diesem Feste, und das römische Konzil von 744 wiederholte dieses Verbot. Ein Fasttag wurde auf das Fest des Jahresanfanges gelegt und eine Litanei angeordnet. In Paris tat ein Narrenfest das Seine zur Entheiligung des Tages, das sich auch bis 1444 erhielt. -
Die germanische Jahreseinteilung war eine völlig andre als die römische und christliche. Zählte man in Italien, auf dem Papiere vier Jahreszeiten, so sahen die Deutschen in ihrer freien Natur nur drei: Frühsommer, Spätsommer und Winter. Wie Tacitus ganz richtig bemerkte, war der Herbst ihnen unbekannt wie seine Gaben. Diese Jahreseinteilung ruhte auf rein wirtschaftlicher Grundlage. Wenn Mitte März draußen das Gras zu grünen beginnt, wird das Vieh auf die Weide getrieben, und wenn Mitte November der erste Schnee fällt, ist die Zeit der Sommerweide vorbei, die Winterjahreszeit beginnt. In die Zeit der größten Sommerhitze fällt der Teilpunkt der beiden sommerlichen Jahreszeiten. Die drei viermonatlichen Perioden begannen ungefähr am 11. November, 13. März und 10. Juli römischen Stils. Die Benennung des großen Sommerteilfestes als ze einen sunnewenden in der mittelhochdeutschen Spielmannsdichtung ist eine fremde und setzt eine viel höhere Erkenntnisstufe voraus, als die Deutschen der ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung erklommen hatten.
Das Austreiben des Viehes im jungen Sommer und das Bereiten der Winterherberge für diesen größten Schatz sind die beiden Hauptwendepunkte des Jahres für den zu neun Zehntel auf Viehzucht angewiesenen Bauer des deutschen Urwalds, und damit auch seine Hauptfestzeiten.
Gegen Anfang November beginnt im alten Deutschland unter seiner Bauernbevölkerung die große Winteranfangsfestzeit. Sie besteht nicht in ein oder zwei Tagen, sondern in einer ganzen Reihe von Wochen, fällt im sonnigen Herbst etwas später und bei zeitigem Schnee etwas früher. Vor der Entwickelung des Getreidebaues begann sie mit dem Eintritt der Unmöglichkeit des weiteren Weidens. Das Hauptkulturvieh noch des ganzen Mittelalters, die Schweine, bleibt auch nach dem Eintritt des Schneefalls noch so lange im Walde, als Eicheln zu finden sind, d. h. bei knappem Eichelfall nur kurze Zeit, bei reichlichem länger. Das Rindvieh, und im Norden die Pferde mussten beim Eintritt des Schneefalls hereingenommen werden. Bei den geringen Futtervorräten musste alles dem Beile zum Opfer fallen, was nicht ganz unbedingt zur Nachzucht notwendig war. Von Anfang November an wurde tüchtig eingeschlachtet, und damit begann eine Zeit des reichlichen frischen Fleisches, eine Festzeit für den ganzen Hof, beziehentlich das ganze Dorf. Nicht überall fiel die Schlachtzeit auf denselben Tag. Das bot Gelegenheit zu wechselseitigem Besuch. In den örtlich verschiedenen Kirchmeßfeiern haben wir den Rest davon. Selbst wo der Vorrat für den Winter knapp ausfiel, schmauste man im frischen Fleische.
Einen Monat später fiel eine zweite Schlachtzeit. Zuchtbulle und Hengst und später der Zuchteber mussten noch den November über im Stalle gehalten werden, namentlich in den Gegenden des Gemeindezusammenschlusses, wo aus Futtersparsamkeit meist nur ein männliches Tier die Fortpflanzung besorgte, das dann die Reihe herum bei allen Artgenossinnen seines Amtes walten musste, bis der Erfolg augenscheinlich war. Nachdem sie ihre Schuldigkeit getan, wurden Hengst, Bulle und Eber in feierlichem Zuge herumgeführt und dann ebenfalls geschlachtet. Das war eine Gemeindeangelegenheit, eine öffentliche Feier.
Vielleicht schon vor Einführung des Christentums nach Deutschland wurden diese beiden Schlachtzeiten als Festzeiten festgelegt. Nach feiner Einführung erhielten die beiden Hochtage den Namen Martinstag und Nikolaustag, und der 11. November und 6. Dezember haben ihn auch behalten. An diese wirtschaftlichen Festzeiten, welche das deutsche Klima bestimmte, heftete sich dann, was die Germanen aus ihrer indogermanischen und die Deutschen aus ihrer germanischen Heimat mitgebracht hatten: ihre Vorstellungen von dem Umschweben der Seelen nach dem Tode, ihre Götterbegriffe, ihr Glaube an den Eingriff außermenschlicher persönlicher Mächte in die menschlichen Wirtschafts-Verhältnisse, welche ihr Schicksal im wesentlichen ausmachten. Aber das Wirtschaftliche war bei der gesamten Jahreseinteilung das Ausschlaggebende, das Grundlegende.
Ehe das große Schlachten am Martinstage begann, musste Entscheid getroffen werden, welche Stücke bis Nikolai zu sparen, also zur Zucht zu verwenden seien. In Schleiß im Bintschgau wird am Martinstag der Zuchteber besichtigt von den Gemeindebeamten. Dieser Per erscheint dann als Figur des Nikolausumzugs am 6. Dezember wieder, wie bei Besprechung dieses Festtages näher gezeigt werden wird.
Mit dieser germanischen Herbstfestzeit in engster Beziehung muss der Ausdruck "Juleis" stehen, wenn er nicht sogar direkt Schlachtzeit bedeutet. Mit dem friesischen Worte yule für Rad (englisch wheel) hat er wohl nichts zu tun, wenn in dieser Zeit auch das letzte Rad unter Dach und Fach gebracht wird und ein diesbezüglicher Volksbrauch tatsächlich belegbar ist. Die früher in den Steppen der Weichsel ansässigen Goten nannten, nachdem sie mit den Römern in Berührung gekommen waren, nämlich den November ihren ersten Julmonat. Der Dezember war offenbar der zweite. Das passt trefflich auf die beiden Schlachtzeiten des gewöhnlichen und des Zuchtviehes.
Bei den ebenfalls ostgermanischen Skandinaviern begann die Winterjahreszeit infolge ihres nördlicheren Klimas schon am 11. Oktober, der Beginn des Frühsommers demnach am 10. Februar, also wenn die Tage sichtlich zuzunehmen beginnen. Das dritte Fest fiel auf den 9. Juni. Eine Nachricht über die nordische Frühlingsanfangsfeier bei dem Geschichtsschreiber des Gotenkrieges, dem Griechen Procopius aus dem sechsten Jahrhundert, bezieht sich kaum auf Germanen; denn sie fällt in eine Region, in der die Sonne vierzig Tage unter dem Horizonte bleibt, und enthält auch einen ganz ungermanischen Zug. Prokopius hatte gehört, die nördlichsten Bewohner der skandinavischen Halbinsel sendeten am fünfunddreißigsten Tage der langen Winternacht Boten auf die Gipfel ihrer höchsten Berge, um die wiederkehrende Sonne zu erspähen, und wenn sie erblickt wurde, so verkündigte man laut, dass nach fünf Tagen das neue Licht die Tiefen der Täler erhellen werde. Dann werde unermesslicher Jubel erhoben, alles feiere das Fest der frohen Botschaft. Denn obgleich dasselbe Ereignis Jahr für Jahr eintrete, seien die Inselbewohner in Furcht, dass ihnen einmal die Sonne ganz ausbleiben werde. Den Göttern und höheren Mächten der Luft, des Himmels, der Erde schlachteten sie unaufhörlich Opfer, zumal dem vornehmsten von allen, dem Kriegsgott, dem als edelste Gabe ein kriegsgefangener Mann an einem Galgen erhängt oder in die Dornen geworfen werde. Auch Totenopfer wurden dargebracht. Germanen haben ihre Kriegsgefangenen niemals als Ehrlose behandelt. Nur der Dieb gehörte bei ihnen an den Galgen. Auch das spricht gegen die Annahme, dass wir es mit Germanen zu tun haben. So viel wir wissen, fiel bei den germanischen Bewohnern Skandinaviens das Frühlingsanfangsfest auf den 10. Februar. Erst um das Jahr 940 verlegte es der dem Christentum geneigte König Hakon auf den Tag des Jesusgeburtsfestes. Seitdem hieß die Festnacht dann Midwintersnatten, Modernatten oder Hökenatten, Mittwinters-, Mutters- oder Geiersnacht.
Mit der weiteren wirtschaftlichen Entwickelung traten zwei sich entgegenwirkende Ursachen ein, welche die alten Fristen zu stören geeignet waren. Beide knüpfen sich an das Aufkommen des wirklichen Ackerbaues und an das schließlich Zurücktreten der Viehzucht hinter diesem. Während das Vieh noch bis gegen Mitte November weiden kann, ist das Getreide selbst in dem raueren Klima des alten Germaniens Ende September bereits eingebracht. Rüben, Mohren und Holzäpfel ebenfalls. Das verschiebt den Wintersanfang naturgemäß auf etwas frühere Zeit, und da die Bestellung des Feldes ebenfalls eher möglich ist, als bis die Wiesen völlig grünen, so rückt auch der Frühjahrsbeginn weiter in den Winter hinein. Bei fortgesetztem landwirtschaftlichem Betrieb stellt sich jedoch ein Faktor ein, der dieser Verrückung der Jahreszeitentermine entgegenwirkt. Je reichlicher die gewonnenen Felderträge sind, desto weniger rasch wird es notwendig, sich des fressenden Viehes zu entledigen, desto mehr denkt man daran, es erst noch im Stalle fett zu machen. So rückt die Hauptschlachtzeit langsam etwas tiefer in den Winter, überschreitet im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert sogar den Jahresanfang und liegt heute auf dem Lande nach Mitte Januar bis Ende Februar. Von besonderer Wichtigkeit dafür ist die Einführung des Kartoffelbaues gewesen.
Entwickeltere landwirtschaftliche Verhältnisse setzt es bereits voraus, wenn die Angelsachsen in dem milderen England im achten Jahrhundert nicht mehr den November, sondern den Dezember ihren ersten Julmond nennen, den Januar den zweiten. Ihr Frühsommer begann demnach erst mit Anfang April. Sein Anfang fiel also zusammen mit, dem des alten Kirchenjahres, das bis ins neunte Jahrhundert auf Ostern lag, und so begannen sie denn seit Annahme des Christentums ihr Jahr auch mit dem 25. März und rechneten somit ab incarnatione oder von Maria Verkündigung ab. Dieses so genannte Marienjahr hat das protestantische England erst im Jahre 1753 aufgegeben.
Nach den beiden großen Schlachtzeiten des Herbstes kannten unsre Vorfahren, so viel wir wissen, kein Fest weiter bis Frühlingsanfang. Speziell von einer Wintersonnwendfeier in den Zeiten germanischer Religion wissen wir nichts. Ein Sonnendienst aller Germanen ist schlechterdings unerweisbar, die Deutschen kannten einen solchen sicher nicht.
An eine Beendigung des Ausdrusches zu Weihnachten und ein sie krönendes Fest ist nicht zu denken. Denn wir wissen, dass der Januar das ganze Mittelalter hindurch die höchsten Kornpreise hatte, dass also das neue Getreide erst von Beginn des Februar an auf den Markt kam.
Die Frage, mit welcher Jahreszeit die Deutschen ihr Jahr begannen, ist von untergeordneter Bedeutung. Neben Anfang November kommt natürlich nur Anfang März in Betracht. Wie nach Nächten zählten die Germanen nach Wintern, und wie die dem Tag vorausgehende Nacht zu ihm gehörte, so gehörte wohl auch der am Anfang des Jahres stehende Winter zu ihm. Wenn das Hildebrandslied sumaro enti wintro sehstic zählt statt umgekehrt, so erklärt sich das daraus, dass die Zeit der Kriegszüge erst mit dem Frühjahr begann. Von durchschlagender Beweiskraft, dass das Jahr mit Wintersanfang begann, ist nur der Umstand, dass der deutsche Volksbrauch Losspiele über den Verlauf des neuen Jahres in nennenswertem Umfang außer zu Neujahr und Weihnachten nur am Andreasabend kennt. Während der Anfang des römischen Jahres und des stilus curiae Romanae die Losspiele jener Tage ausreichend erklären, so kommt für den Andreasabend Ähnliches nicht in Betracht. Auch weder der Anfang der alten noch der späteren Adventszeit, die als Jahresanfang nie volkstümlich war, trifft auf ihn. Während Martins- und Nikolaustag die beiden lauten Festtage der alten Wintersanfangszeit sind, hat der Andreastag ihr Erbe als Jahresbeginn angetreten. Das deutsche Jahr begann also mit dem Beginn der Winterjahreszeit, während das nordgermanische vielleicht doch mit dem Frühsommersbeginn einfetzte. -
Schon sehr früh beginnt die Beeinflussung der germanischen Stämme durch die Römer. Aus dem italischen Alphabet wurde wohl im ersten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung das deutsche Runenfuthark; ferner nahmen die Deutschen die römische Woche an. Entsprechend den sieben Tagebeherrschern der Römer, Saturn, Sol, Luna, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, nannten die Deutschen ihre Wochentage nach Sonne, Mond, Tius, Wodan, Thuner, Frija. Die Sonne gab zwei Tagen den Namen. Schon im Beginn unsrer Ära gingen deutsche Fürsten häufig nach Rom, ganze Scharen Deutsche dienten in den folgenden Jahrhunderten im römischen Heere, und nicht selten waren Deutsche ihre Feldherren. Um 200 war ganz Gallien von römischer Zivilisation beleckt, und seit dem dritten Jahrhundert begannen römische Rechtsanschauungen auch auf Franken und später auf Alemannen und Bayern einzuwirken. Die Lex Baiuvariorum zeigt zahlreiche solche Beeinflussungen. So war auch schon Jahrhunderte, ehe die Sendboten des Christentums dies über den Rhein nach Germanien trugen, die römische Jahreseinteilung zu den germanischen Stämmen gedrungen und wurde von ihnen nicht nur im Verkehr mit Rom, sondern auch daheim gebraucht. Auch die römische Kalendenfeier wurde üblich. Man beging den ersten Tag des Jahres festlich, beglückwünschte sich und beschenkte die Gratulierenden.
Mit der Einführung des römischen Kalenders nach Deutschland kam dahin auch ein neuer Jahresanfang, wenn auch nur ein theoretischer. Die auf wirtschaftlicher Grundlage ruhenden Festzeiten wurden dadurch nicht erschüttert. Auch die praktische Verteilung des Jahres ging trotz aller dazwischen fahrenden römischen Monatsanfänge nicht verloren. Es war mehr eine Formsache. Waren die zwei großen Schlachttage zu Wintersanfang wohl einen deutschen Mondmonat von 28 Tagen voneinander entfernt gewesen, so blieben sie es nach wie vor, und mit dem frühen oder späten Schneefall und Frost schwankte der Schluss der Sommerweide. Trotzdem konnte der eine oder andre Brauch der Winteranfangsfeste, der eine deutliche Beziehung auf das neu beginnende Jahr aufwies, leicht nach dem neuen, deutlich bezeichneten Jahresanfang wandern. Namentlich auf dem Grenzgebiete am Rhein und noch mehr auf dem gallischen Ufer, wo Römer die Kalenden des Januar mitten unter Germanen festlich begingen, war das nur allzu leicht möglich und ist wahrscheinlich auch geschehen.
Kannte der deutsche Bauer auch noch bis zur Höhe des Mittelalters keine geheizte Stube und hat sich auch noch das ganze Mittelalter hindurch der fremde Name caminata-kemenate für sie erhalten, unter dem sie eingeführt wurde, so muß doch, wenn man Anfang November wieder begann, sich im Holz- und Lehmhaus häuslich einzurichten, die Herstellung des Herdes zu Kochzwecken eine gewisse Rolle gespielt haben. Durfte auch den ganzen Sommer über das Feuer nie ausgehen, weil der einzelne Hof sonst dieses kostbare Gut für lange Zeit unersetzbar verloren hätte, so war es doch für die Winterzeit von noch weit größerer Bedeutung. Und es war wohl schon im deutschen Urwald Sitte, mit dem neuen Jahre auch den Herd zu erneuern. War dieser Brauch bei den Deutschen ausgebildet, dann ist es auch sicher, daß er schon in den ersten römischen Jahrhunderten nach den Januarkalenden wanderte. Fast noch wahrscheinlicher will jedoch keltischer Ursprung scheinen. Selbst römischer Import würde die Verbreitung, über ganz Frankreich und Großbritannien und den äußersten Südwesten Deutschlands genügend erklären. Daß der Brauch bereits lange bevor das Christentum seine Arme nach Gallien streckte, dort üblich war und an den Kalenden haftete, wird dadurch bewiesen, daß er in ganz Frankreich mit Ausnahme des weniger römischen Nordens noch heute den Kalendennamen trägt. Kommt derselbe auch noch in christlicher Zeit für die ganze Zeit um das Jesusgeburtsfest vor, so doch im Norden Frankreichs nicht weniger als im Süden, so daß später eine solche Doppelbenennung schwer zu erklären wäre. Die Bezeichnung Kalendenklotz beweist weiter deutlich, daß kein einheimisches Fest da war, an das die Kalendenfeier sich hätte anlehnen, in dem sie hätte aufgehen können. Der Name war auch tief eingebürgert, sonst hätte er sich nicht erhalten können, nachdem der Brauch später unter kirchlichem Einfluß vielfach weiter auf den 25. Dezember übertragen worden war.
In Deutschland kommt der Brauch nur im Westen vor, und zwar seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts ganz vereinzelt hie und da in Westfalen, an der Mosel, in der Eifel und in Lothringen. Auch Belgien kennt ihn. Wenn man das Eindringen der Franken in das ehedem sächsische Gebiet in Westfalen berücksichtigt, so beschränkt sich das Vorkommen des Brauches auf Alemannen und Franken, also auf die beiden deutschen Stämme, die am frühsten und am meisten mit Kelten und Römern in Berührung gekommen sind.
1184 durfte sich der Pfarrer zu Ahlen im Münsterlande zum Weihnachtsfeuer einen Baum aus dem Walde holen. Nach dem Weistum von Riol und Velle an der Untermosel aus dem fünfzehnten Jahrhundert bekam "der scheffe einen winnachtsploech", nach dem Weistum von Tavern an der Obermosel "item ein bochg zu haven vff Christabend vor den Christbraten". Nach 1856 legte man in der Eifel den Christbrand an den Feuerherd. Dies war ein dicker Stamm, den man anbrennen ließ. Zu Dreikönigstag war er fast ganz verkohlt, und die Kohlen davon kamen in den Kornbahr, damit die Mäuse das Korn nicht beschädigten.
Nicht nur das Feuer, sondern der ganze Herd wurde erneuert in Westfalen in der Gegend der Sieg und Lahn. Wie Montanus in seinen Deutschen Volksfesten erzählt, wurde dort ein schwerer Klotz, gewöhnlich ein eichener, und zwar ein Wurzelstock, in den Herd eingegraben oder unter dem Kesselhaken in der Mauernische befestigt. Auf ihm wird das Herdfeuer entfacht, das ihn an der Oberfläche anglimmt. Im Laufe des Jahres verbrennt er so bis auf einen kleinen Rest, der zu Weihnachten dann sorgfältig herausgenommen, zu Kohlenstaub zermalmt und in den Zwölften zur Förderung der Fruchtbarkeit auf die Felder gestreut wurde.
In Geerardsbergen in Belgien legte man noch in der Mitte unsers Jahrhunderts zu Weihnachten einen tannenen oder buchenen Wurzelstock aufs Feuer, und dieser vertrat zugleich die Beleuchtung. Alle sonstigen Lichter im Hause wurden gelöscht. Dabei sang man und trank Genever. Wenn der Baumstumpf verkohlte, goß man den Rest des Trunkes in die Flammen. In Limburg stieß man die übrig bleibenden Kohlen zu Pulver und hob sie auf als Mittel gegen Zahnschmerzen. In Lothringen legte man einen Klotz von 4 Fuß Länge ganz auf den Herd; dann brannte man das eine Ende an, das andre bot eine Art von Sitz dar, den die Kinder gern benutzten. Man hinderte sie aber, sich darauf zu setzen, weil sie sonst die Krätze bekommen würden. Nach Montanus, Die deutschen Volksfeste, durfte angeblich ehemals der arme Mann zu Weihnachten Holz fällen, wo er wollte, um sich damit den Christbraten zuzubereiten.
Die mecklenburgische Lokalsage weiß, allerdings erst sehr spät und in völlig andrer Verbindung, auch von dem Baumfällen zur Weihnachtszeit zu berichten. In der Weihnachts- oder Neujahrsnacht ist ein alter Vipperower Bauer mit seinen Tagelöhnern in die Röbelschen Eichen gefahren, um dort eine Eiche zu stehlen. Sobald er sich eine ersehen hatte, hat er dreimal dagegen geschlagen: dann ist er etwa fünf Minuten lang fortgegangen, darauf zurückgekommen, und sie haben den Baum gefällt. Das ganze Jahr hat ihn keiner bei seinen Diebereien erwischen können.
Noch an einem andern später auf Weihnachten übertragenen Brauche haftet von früher Zeit an der Kalendenname, und das sind feierliche Umzüge. Auch bei ihnen kann mehrfacher Ursprung in Frage kommen: deutscher und römischer. Keltische Siedler scheiden hier wohl aus. Dafür kommen aber noch Südslaven in Betracht. Da der Brauch auch bei diesen, nicht aber auf den weiten Strecken des zwischen Gallien und Schlesien gelegenen deutschen Gebietes erscheint, so ist römischer Ursprung von vornherein das Wahrscheinlichere.
Gallische Predigten aus dem sechsten und siebenten Jahrhundert unterrichten uns genauer über das Wesen dieser tollen Kalendenfeier. Zwei davon sind Kalendenpredigten. In der ersten von ihnen heißt es: "An diesen Tagen kleiden sich die Heiden mit Umkehr der Ordnung der Dinge in unanständige Mißgestalten. Diese elenden Menschen, und was noch schlimmer ist, einige Getaufte, nehmen falsche Gestalten und monströse Gesichter an, worüber man sich schämen, dann aber vielmehr betrüben muß. Denn welcher Vernünftige sollte es glauben, daß Menschen, die bei Besinnung sind, sich, indem sie den Hirsch spielen (cervulum facientes), in das Wesen von Tieren umwandeln wollen? Andre kleiden sich in die Felle ihres Viehes, andre setzen sich Tierhäupter auf, darüber sich freuend und ergötzend, daß sie sich so in die Gestalten wilder Tiere umgewandelt haben, daß sie nicht Menschen zu sein scheinen." "Was ist aber auch das schändlich, daß die als Männer Geborenen Frauenkleider anziehen und in der schändlichsten Verkleidung durch Mädchenanzug die männliche Kraft weibisch machen; sie, die nicht erröten, die kriegerischen Arme in Frauenkleider zu stecken; bärtige Gesichter tragen sie zur Schau und doch wollen sie für Weiber gelten." Daneben wird auch sakrilegischer Tänze gedacht. In der zweiten Predigt wird dasselbe Thema in folgender Weise behandelt: "So geschieht es, daß während die Kalenden oder andre Albernheiten des Aberglaubens stattfinden, um thörichter Lustbarkeit willen durch die Ausgelassenheit beim Trunke und den schändlichen Gesang beim Spiel die Dämonen gleichsam wie zum Opfer eingeladen werden." "Denn, was ist so verrückt, als durch schändlichen Anzug das männliche Geschlecht in weibliche Gestalt umzuwandeln? Was ist so verrückt, als das Gesicht zu verunstalten und Masken anzuziehen, vor denen selbst die Dämonen erschrecken möchten? Was so verrückt, als mit ungeziemenden Bewegungen und unzüchtigen Gesängen das Lob der Laster in schamloser Ergötzung zu besingen? Sich in wilde Tiere zu verkleiden, der Ziege oder dem Hirsch ähnlich zu werden, auf daß der Mensch, zum Ebenbilde und Gleichnis Gottes geschaffen, das Opfer der Dämonen werde?" "Wer daher einem jener unglücklichen Menschen an den Kalenden des Januars, wenn sie in ihrem sakrilegischen Ritus mehr rasen als spielen, irgend eine Speise (humanitatem) gibt, möge wissen, daß er diese nicht Menschen, sondern Dämonen gibt. Wenn ihr daher ihrer Sünden euch nicht teilhaftig machen wollt, so gestattet es nicht, daß der Hirsch oder die Kuh, oder irgend ein Ungetüm (portentum) vor euer Haus komme."
In der dritten jener Predigten heißt es sodann: "Jene elenden Menschen, welche sich nicht scheuen und nicht erröten, Tänze und Sprünge vor der Kirche auszuführen, kehren, wenn sie als Christen zur Kirche gegangen sind, als Heiden aus derselben zurück, denn jener Gebrauch zu tanzen, ist ein Ueberbleibsel heidnischer Gewohnheit." Insbesondere werden die Christen aufgefordert, diejenigen der Ihrigen zu züchtigen, von welchen sie wahrnehmen: "daß sie noch jene höchst schmutzige Schändlichkeit mit der Hindin und dem Hirsche treiben."
Vielfach beschäftigten sich Kirchenkonzile mit diesem Kalendenbrauche. 578 verbot das Concilium Antissiodorense das Erscheinen als Hirschlarven. Ebenso schritt das Concilium Trullanum von 692 in seinem 62. Kanon gegen die Maskeraden und den Kleidertausch der Geschlechter an den Brumalien, den Ka lenden des Januar und am 1. März ein. Gallikanische Beichtbücher enthalten Bußsätze für die Hirsch- und Kalbslarven.
Das Verbot, sich in den Kalenden des Januar in Tierfelle zu kleiden, findet sich in den Pönitenzialbüchern des Halitgar von Cambray, in dem Homilienkodex des heiligen Burchard von Würzburg, bei Regino von Prüm und Burchard von Worms.
In England findet sich derselbe Zug der Verkleidung in Tiergestalten gegen Anfang Januar. In den Pönitenzialbüchern des Theodor von Canterbury aus dem sechsten Jahrhundert heißt es: "Wenn jemand an den Kalenden des Januar sich in eine Hirschhaut oder Kalbshaut steckt, d. h. als wildes Tier verkleidet und sich in die Felle von Haustieren vermummt, und Tierköpfe aufsetzt, - wer sich so in Tiergestalt verwandelt, der soll drei Jahre Buße thun, weil das dämonisch ist."
Nach 400 wurde das römische Gallien so gut wie ganz christlich. Auch die eindringenden Franken konnten sich dieser Strömung nicht entziehen. Ihr König Chlodwig, der seit 486 herrschte, spielt bereits in der Kirche eine gewisse Rolle. Die Schlacht bei Tolpiacum 496, in der die Alemannen unterlagen, entschied auch über ihre Religion. Mit ihr begann ihr Uebertritt zum Christentum. Seit 530 begannen dann die Franken, ihre Hand nach Bayern auszustrecken, aber die politische Unterwerfung schlug fehl. Erst gegen Ende des sechsten Jahrhunderts gelang es, weitere deutsche Stämme ihrer altererbten Religion abtrünnig zu machen. Seit der Ire Columban um 600 im Waskenwalde und am Bodensee zum Angriff auf den deutschen Götterglauben übergegangen war, sein Schüler Gallus 613 das Kloster St. Gallen gegründet und in Bregenz Götterbilder zertrümmert hatte, ging äußerlich die Ausrottung des germanischen Götterglaubens unter den Deutschen verhältnismäßig rasch vor sich. Vom Waskenwalde aus wandte sich Eustasius nach Bayern und Kilian nach Thüringen, von Poitiers aus Emmeram in die Gegend um Regensburg, von Worms aus drang Ruppert um 696 bis nach Salzburg vor. Um 725 wirkte Cordivan um Freisingen. Um 750 war ganz Oberdeutschland dem Namen nach christlich.
Bei den Friesen begannen die gleichen Versuche um 690, als Willibrord aus Northumberland zu ihnen kam. Er zog die Eider hinauf, zertrümmerte Götterbilder und starb 739. Der Westsachse Winfrid vollendete sein Beginnen, wurde aber 755 von den Friesen erschlagen. Die Errichtung von christlichen Heiligtümern in den weiten Ebenen des heutigen Norddeutschlands, soweit sie damals überhaupt von deutschen Stämmen besiedelt waren, fällt erst in das Ende des achten und den Anfang des neunten Jahrhunderts. Der fränkische König Karl I. zwang zahlreiche Sachsen durch Gewaltmaßregeln, sich formell zu der neuen Religion zu bekennen. Die wirkliche Verbreitung derselben machte desto langsamere Fortschritte, und noch im zehnten und elften Jahrhundert hatten nicht alle Sachsen sie wirklich angenommen.
Das Christentum bedeutete in der Form, wie es den Deutschen entgegentrat, zunächst nichts weniger als eine neue Weltanschauung. Es handelte sich vielmehr um die Einführung neuer Götternamen. Papst Gregor wies im Jahre 594 die Wanderprediger in Deutschland ausdrücklich an, die einheimischen Opferbräuche nicht zu stören, sondern sie nur vorsichtig umzudeuten. Es war dies nicht nur ein Zug kluger Politik, sondern ebenso ein Ausfluß der damaligen Weltanschauung. Man dachte gar nicht im Ernst daran, das Vorhandensein andrer Götter neben dem Christengott zu bestreiten. Man war vielmehr überzeugt, daß sie wirklich existierten. Aber - der christliche Gott war mächtiger, galt ihnen für höher als sie. Es war ein Kampf um die Opfergaben, nicht um die Existenz von Gottheiten. Es galt, die Masse zu überzeugen, daß ihre Spenden nicht ihren geringeren Göttern, sondern dem höheren Gotte der Christen gebührten. Aber auch hierin übte man noch weitgehende Nachsicht. War einmal die Suprematie des Christengottes zugestanden, so kam es nicht weiter darauf an, ob die alten Götter unter ihm noch weiter fortlebten. Ja man hielt dies geradezu für förderlich, für ein heilsames Band zwischen Alt und Neu. In dem ganz richtigen Gefühl, daß ein Volk sich doch nicht so leicht entreißen lasse, was ihm durch Jahrhunderte heilig gegolten, gaben die Eindringlinge den deutschen Göttern andre Namen, Namen von heiligen Männern der Kirche, und ließen sie in der neuen, nur oberflächlich christlichen Hülle um so ungestörter fortleben. Die Sagen, die sich das Volk von ihnen erzählte, wurden auf diese Männer übertragen, ja selbst ihre äußeren Attribute bekamen diese.
Ufener drückt diese Gedanken so aus: "Zwischen dem Felsen der Lehre Christi und dem rein heidnischen Lande liegt eine breite Fläche gemeinsamen Besitztums. Da ist zuerst der Grenzsaum mit den kindlich natürlichen Bildern des Göttlichen, die als Gemeingut des menschlichen Denkens überhaupt betrachtet werden mögen. Dann ein weiter Raum, einem Watt vergleichbar, über das einst die Flut des Heidentums sich ergoß; die Flut wurde allmählich abgedämmt durch das Christentum, aber der Boden blieb, was er gewesen: ihm entsproß die reiche christliche Dichtung von den Heiligen, von Engeln und Teufeln, von Himmel und Hölle; hier gedieh jene Fülle kirchlicher Bräuche und Heilmittel, welche für den Bildungsstand des altertümlichen und mittelalterlichen Volkes Bedürfnis waren und unter den Begriff des Aberglaubens gefaßt werden dürften, wenn sie nicht kirchliche Geltung besessen hätten und bis heute besäßen."
Das ostfränkische Taufgelöbnis, das in Speier belegt ist, also auf die römische Seite des Grenzwalls fällt, und seiner Entstehung nach wohl noch ins siebente Jahrhundert gehört, zeigt den Kampf gegen die fremden Götternamen deutlich. Forsahhistu unholdûn? wird der Täufling gefragt, und er antwortet: Ih fursahu. Das blutige Opfer, das seinen Göttern galt, muß er aufgeben, aber diese selbst werden nirgends genannt. Ihre Namen wären eine Entheiligung der Taufformel. Sie sind nicht mehr Holde, sondern Unholde. St. German zu Speier war bereits um 630 gegründet worden, die Taufung Erwachsener fällt in der dortigen Umgegend wenig über das siebente Jahrhundert hinaus. In Oberdeutschland trat die Kirche überhaupt nicht mit übertriebenen Ansprüchen auf. Noch um 700 wurde nach der Lex Baiuvariorum in Bayern Kirchendiebstahl nicht höher gestraft als Diebstahl aus einem andern öffentlichen Gebäude wie einer Mühle.
Seit dem neunten Jahrhundert, wo die neue Religion die Oberhand zu gewinnen begann, ging sie auch zu einer neuen Kampfesweise über, welche den Deutschen tiefer den Kern des neuen Glaubens nahe brachte, aber auch weit mehr geeignet war, sie abzuschrecken, ihnen das Fremdartige der orientalischen Asketenreligion zum Bewußtsein zu bringen. Es ist bezeichnend genug, daß sie erst auftaucht, nachdem die Kirche bereits im Lande über die nötigen Machtmittel verfügte und die Fürsten unter ihrem Einfluß wußte. Da ward sie aus der freundlichen Berichtigerin plötzlich zur schroffsten Verdammerin der feindlichen Anschauung. Daraus erklärt sich zum Teil die viel größere Spärlichkeit germanischer Reste in Norddeutschland und die viel größere Umbildung des Ursprünglichen. Ein dreiviertel erzwungener Wechsel der Weltanschauung, der zum großen Teil mit Gewaltmitteln durchgeführt wurde, war dem unberührten Fortleben des Alten naturgemäß weit weniger günstig als die freundliche Ueberleitung in die neue Gedankenwelt im Süden.
Hatte man ehedem die alten Götter zu Kirchenheiligen umgetauft, so stempelte man sie jetzt direkt zu bösen Geistern und führte damit den orientalischen Dualismus in die deutsche Anschauung ein.
Die Religion der Germanen war in vorchristlicher Zeit, soweit wir das bis jetzt beurteilen können, eine monistische gewesen. Gab es auf dem weiten deutschen Sprachgebiet auch zahlreiche, namentlich lokal verschiedene Gottheiten, so wissen wir doch nichts von einer guten und bösen Gruppe unter ihnen. Wenn überhaupt von Naturgewalten auszugehen ist, so waren im sechsten Jahrhundert die Götter doch längst über die Bedeutung solcher Personifikationen hinaus zu selbständigen Persönlichkeiten erwachsen. Ahnenkult als die Grundlage der deutschen Götterwelt ist aber wahrscheinlicher. Hat aber auch in Oberdeutschland kein Wodan dem vierten Tage der Woche seinen Namen geben können, hat der Bayer sich im Gegensatz zu dem norddeutschen Dienstag einen Erchtag geschaffen, so reichte der Kult dieser Götter immerhin über die Grenzen einzelner Stämme weit hinaus. Auch Bercht und Saxnot sind bei der Tagverteilung leer ausgegangen. Wo die nordische Götterdichtung dualistische Züge aufweist, ist sicher christlicher Einfluß anzunehmen. Erst mit dem Christentum trat der Dualismus wirklich an die deutschen Stämme heran. Hatte man diesen Zug der neuen Religion bei der Bekehrung des deutschen Südens zurücktreten lassen, so kehrte man ihn den Bewohnern des Nordens gegenüber um so schroffer hervor. Der christliche Gott war der gute Gott schlechthin. Die deutschen Götter aber gehörten für den Christen des neunten bis siebzehnten Jahrhunderts zu dem Reiche des bösen Gottes Teufel, des Feindes des guten Gottes. Ihre Verehrung war Teufelskultus. Das sächsische Taufgelöbnis aus dem Anfang des neunten Jahrhunderts gibt dieser Anschauung treffend Ausdruck. " Forsachistû diobole?" wird der Täufling gefragt, und er antwortet: "Ec forsacho diabole." Aber damit ist der Sache noch nicht genug. Er muß ferner bekennen: " Ec forsacho allum dioboles unercum and unordum, Thuner ende Unôden eude Saxnôte ende allum thêm unholdum thê hira genôtas sint." Der lang andauernde Widerstand der Sachsen gegen die Fremdreligion trotz der Gründung der Bistümer Minden, Osnabrück, Halberstadt, Verden, Bremen, Paderborn, Münster und Hildesheim ist ein Beweis für die Erbitterung, welche diese verächtliche Behandlung der heimischen Götter schuf. Nach und nach gelang es durch unausgesetzte Beeinflussung wirklich, dem Volksbewußtsein diese neue Anschauung über seine alten Götter aufzuzwingen. Aber selbst, als dieser Prozeß sich vollzogen hatte, hatte man damit jene noch nicht um ihre Opfer gebracht. Die Menge brachte ihnen weiter ihre Spenden dar. War dies doch der einzige Weg, sie sich freundlich zu stimmen und etwaigen Schaden durch sie abzuwenden.
Neben diese Bekämpfung der persönlichen einheimischen Gottheiten trat nun der Kampf der fremden Priester gegen die alten sittlichen Ideale des Volkes, welche naturgemäß in den Gestalten der Götter, in ihren Handlungen und ihrem Charakter eine gewisse Verkörperung fanden. Thatenfrohes Kämpentum, Herrscherlust und Lebensfreude mußten den christlichen Tugenden der Entsagung und der Demut weichen. Allerdings hat es das Christentum nicht vermocht, die Natur zu unterdrücken und an Stelle des angeborenen Triebes zur Selbstbethätigung und Selbstbehauptung dem Menschen andre Motive einzupflanzen, aber durch die gesamte Litteratur der folgenden sieben Jahrhunderte geht wie ein düsterer Schatten der Gedanke, daß alle Freude dieser schönen Erde doch zuletzt eitel sei, daß das wahre Interesse des Menschen durch Bußübungen weit mehr gefördert werde als durch tüchtige schaffensfrohe Arbeit, und daß der jedem Lebewesen eingeborene Trieb nach Lust und Befriedigung der durstenden Sinne ein Abfall von der wahren sittlichen Reinheit des bedürfnislosen Asketen sei. Damit dringt der Schuldbegriff, das Schuldbewußtsein ins Volk und beginnt dessen sicheres Selbstbewußtsein und seine Eigenwürde anzufressen.
Der Kampf des Christentums gegen das Deutschtum auf dessen heimischem Boden wird zu niedrig gefaßt, wenn man ihn nur als Kampf gegen die Phantasiegestalten deutscher Religion nimmt. Er war ebenso sehr, ja noch mehr ein Kampf gegen die durch Klima und Boden festbestimmte Einteilung des Jahres durch wirtschaftliche Verhältnisse, gegen die zweckmäßige Verteilung von Arbeitszeit und Festzeit, gegen die Ausnutzung wirtschaftlichen Ueberflusses durch häufige Festmahle und die Verdeckung des Mangels zu andern Zeiten durch fleißige Arbeit bei mäßiger Nahrung. Daraus allein erklärt sich der zähe Widerstand, den die gesamte deutsche Bauernschaft im Norden bis ins sechzehnte und im Süden bis ins siebzehnte Jahrhundert den neuen Festen des Christentums, darunter vor allem dem wirtschaftlich musterhaft unpraktisch gelegenen Weihnachtsfest geleistet hat. Die Kirche war sich dieses Umstandes wohl bewußt. Nicht ohne Grund erhob auch sie die Zeit vor ihrem Jesusgeburtsfest, ganzen anderthalben Monat, zur Festzeit, bildete einen ganz neuen Festcyklus, der mit einiger Gewaltsamkeit auch eine kirchliche Bedeutung erhielt - als Vorbereitungszeit auf das Jesusgeburtsfest, als die sogenannte Adventszeit. Gallische und spanische Kirchenversammlungen gedenken dieser Kompromißfeier naturgemäß zuerst, bereits in der Frühzeit des sechsten Jahrhunderts. Um die ganze Zwischenzeit von dem germanischen Jahresanfang bis zum Weihnachtsfeste auszufüllen, mußte sie auf etwa sechs Wochen bemessen werden. Nach Rom führte die neue Einrichtung erst der größte Kompromißpapst, Gregor I. (590-604), ein. Um dem Germanenvolke, dessen Zukunftsbedeutung er wohl ahnen mochte, seinen alten Jahresanfang zu verdecken, drang er ihn als kirchlichen Brauch auch seinen Römern auf, für die er keinerlei Sinn hatte. Mit dem über sechs Tage hinschwankenden Beginn der Adventszeit war es den Deutschen aber noch nicht genug. Martinstag, Andreastag und Nikolaustag wurden trotzdem weiter gefeiert, und die Kirche mußte ihnen, wenigstens für die ersten Jahrhunderte, wohl oder übel ebenfalls ihren Segen geben. Noch immer begann jedoch das Kirchenjahr zu Ostern, erst am Anfang des neunten Jahrhunderts wurde es auf Weihnachten verlegt, bis der erste Adventsonntag dann wieder Weihnachten ablöste.
Die kirchliche Festlegung und Ausbildung der sogenannten Adventszeit scheint ein reines Zugeständnis an die schon getauften deutschen Stämme gewesen zu sein. Ebenso freilich eine Maßregel gegen ihre volkstümliche Winteranfangsfestfeier, die für sie zugleich Religionsübung gewesen war und noch war. So hatte die christliche Religion thatsächlich mit diesem Zugeständnis wieder einen guten Schritt Boden gewonnen. Trotzdem begann sie noch nicht sofort, die Feier des Jesusgeburtsfestes, die im sechsten Jahrhundert in Italien weit verbreitet war, nachdrücklich nach Deutschland einzuführen.
In der Predigt vom Aberglauben, welche sich im Leben des heiligen Eligius findet, und die entweder in die erste Hälfte des sechsten oder des siebenten Jahrhunderts fallt, ist vom Aberglauben am ersten Januar, am Johannistage und andern Festen der Heiligen die Rede. Weihnachten, Ostern, Pfingsten sind nicht erwähnt. Auch das achte Jahrhundert weiß noch nichts von einem gallischen oder deutschen Jesusgeburtsfest. Erst die Synode von Mainz im Jahre 813 ordnete die Weihnachtsfeier in Deutschland an. Das Fest sollte vier Tage lang gefeiert werden. Die Priesterschaft nahm sich der Sache auch sehr eifrig an, und im neunten und zehnten Jahrhundert dehnte sich seine kirchliche Feier, indem sie die ältere Kalendenfeier einbezog, auf acht Tage aus. Ende des elften Jahrhunderts schränkte es daher eine Kirchenversammlung zu Konstanz auf drei Tage ein.
Der Frankenkönig Karl I., der so viel Thatkraft daran wandte, die Köpfe der vornehmen Sachsen mit Taufwasser zu befeuchten, nannte tendenziös den Dezember Heilagmanôth, wegen des kirchlichen Festtages, der auf ihn fiel. Viel Glück hat dieser kirchliche Name freilich nicht gehabt. Gegenüber dem deutschen "Wolfsmonat", der dem deutschen Bauer durch das Gebrüll in seinen Ställen oft genug nächtlicherweile deutlich ins Gedächtnis zurückgerufen werden mochte, hat er sich nicht behaupten können. Glücklicher war eine andre deutsche Bildung, welche fast zweihundert Jahre später das Licht der Welt erblickte, die Bildung: Weihnachten.
Weihnachten ist kein altgermanisches Wort. Nicht einmal alle Westgermanen kennen es, sondern nur deren südöstliche Gruppe, die Deutschen. Aber auch diese noch nicht bis zum Jahre 1000. In althochdeutschen Glossen findet es sich noch nicht. Erst mittelhochdeutsch kommt es vor. Es setzt sich zusammen aus wich, heilig, und naht, Nacht. Während fast alle andern europäischen Völker römische Bezeichnungen für dieses Fest angenommen haben, hat nur der deutsche Stamm sich einen deutschen Namen gebildet und bewahrt. Es ist offenbar die einfache freie Uebersetzung von nox sanctissima. Selbst dem zweiten Bestandteil liegt schwerlich die germanische Anschauung zu Grunde, welche nach Nächten, statt nach Tagen rechnete.
Es ist durchaus keine leichte Aufgabe, ein volkstümliches Fest zu schaffen. Feste entstehen nicht aus dem Blauen, durch Verordnungen. Das einfache Gebot von Kirchenversammlungen, das Jesusgeburtsfest zu feiern, schuf noch kein Fest, nicht einmal ein kirchliches. Wenn die Feier gar volkstümlich werden sollte, so war es unbedingt notwendig, an Bestehendes anzuknüpfen. Allerdings war mit der Zeit, wo der römische Jahresanfang populärer wurde, mancher ehemalige Winteranfangsbrauch nach ihm übergesiedelt, und dieser Vorgang dauerte noch immer fort: aber mit den großen Winteranfangsfeiern konnte der neue Festtag noch nicht konkurrieren. Wenn die Kirche von näher gelegenen deutschen Festen Züge auf ihr Jesusgeburtsfest herübernehmen wollte, so war sie in der Hauptsache auf die Feste angewiesen, welche das Herkommen am Martinstag und Nikolaustag feierte. Und sie hat diese zur Verfestlichung des Jesusgeburtstages auch weidlich benutzt.
Christliches Jesusgeburtsfest und römische Januarkalendenfeier haben beide wesentliche Beiträge für die deutsche Weihnachtsfeier des ausgehenden Mittelalters und der späteren Zeit geliefert. Sie allein aber machen das Wesentliche nicht aus. Die volkstümliche Weihnachtsfeier Deutschlands stammt vielmehr in der Hauptsache von den zwei großen Festen des deutschen Herbstes, welche, in den wirtschaftlichen Verhältnissen wurzelnd, weit hinauf reichen in vorgeschichtliche Zeit. Aus den Jahrhunderten vor Einführung des Christentums nach Deutschland haben wir freilich keine genaue Schilderung derselben. Es bleibt daher nichts übrig, als aus ihrer späteren Geschichte ihren ursprünglichen Inhalt wieder zu rekonstruieren. Dabei ist vor allem ein Punkt von entscheidender Wichtigkeit. Es läßt sich nachweisen, daß die christliche Religion ein Jahrtausend hindurch alles gethan hat, diese Feste zu entfesten. Je näher wir der Gegenwart kommen, desto mehr verlieren sie denn auch an Glanz, und eben sind sie im Begriffe, völlig vom Weihnachtsfeste aufgesogen zu werden. Es gibt keinen einzigen außerhalb der wirtschaftlichen Verhältnisse und des volkstümlichen Herkommens gelegenen Faktor, der dazu thäte, auf die beiden großen Winteranfangsfesttage irgend welchen fremden Brauch zu häufen. Was sich also an Brauch an ihnen findet, darf als ihr altererbtes Eigen gelten. Umgekehrt wäre jeder Brauch, den das Weihnachtsfest später ebenso kennt, von vornherein als von ihnen erborgt anzusehen, auch wenn sich die Entlehnung nicht in jedem einzelnen Falle nachweisen ließe. Zum Ueberfluß ist jedoch auch dies möglich. Mit ihrem charakteristischen Inhalt, ihren charakteristischen Namen und Formen sind die Herbstfestbräuche nach dem christlichen Jesusgeburtsfest gewandert und haben es zum deutschen Weihnachtsfest umgeschaffen.
Die festländischen Westgermanen, vielleicht mit Ausnahme der Friesen, rechneten den Beginn der Winterjahreszeit vom 11. November an. In allen Gebieten der deutschen Zunge ist dieser der wichtigste Termintag. Jeclichen hof und vourt, unde sunderlich hus verzendet man mit eyme hune ze sente Mertinstage. Ebenso hatte das Fürstentum Waldeck zu Martini Gesindewechsel. Auch im Lechrain bezog man noch 1855 auf Martini gern Zeitrechnungen und ging zur Kirche wie an einem Feiertage. "Um Martini" wandern in Schwaben die Knechte und Mägde, da zahlt man Zinsen, da werden die Stadtrechnungen abgehalten. Martinstag als Wintersanfang bezeichnet der Spruch: "Sankt Martin kommt auf einem Schimmel geritten." Er wird gebraucht, wenn es Martini schneit. In Baden heißt der wilde Jäger Junker Marten, der anderwärts, namentlich in Mecklenburg, Wode oder ähnlich heißt und auch als "Schimmelreiter" vorkommt. Den Nachsommer erklärt der Lechrain durch das Wort: "Sankt Martin muß noch ein Heu für sein Rößl finden." Martinstag ist offenbar der erste alte Roßschlachttag, an dem man namentlich im alten Sachsen sich ein Gütchen in Pferdefleisch that, auch nachdem Karl I. es nachdrücklich verboten hatte. Auch in Tirol ist er Lostag für den Winter:

St. Martinstag trüb
Macht den Winter lind und lieb,
Ist er aber hell mit Sonnenschein,
So wird auch streng der Winter sein.

und an ihm ziehen die "Kasermannlen" von der Alm, wo sie nichts mehr zu thun haben, mit Lärm ab. Noch Tiroler Weistümer aus dem fünfzehnten Jahrhundert begannen den Sommer mitten merzen (wohl am 12. dieses Monats) und schlossen ihn an sant Martinstag (11. November). Noch 1630 versteht man in Burgeis unter Sommer die Zeit von Georgi bis Martini (23. April bis 11. November). Auf der Weide, welche die Gemeinden Mals und Burgeis in Tirol zufammennutzen, wird von st. Martanstag bis auf mitten meien nicht geweidet.
Seit die Bauern der einzelnen Dorfschaften in Mecklenburg Kommunewirtschaft hatten, stellten sie auch auf gemeinsame Kosten ihre Ochsen-, Kuh-, Schaf- und Schweinehirten an, die dann unter sich einen sogenannten Hirtenstand bildeten und in besonderen Häusern (Heirdkaten - Hirtenkaten) wohnten. Von Anfang des Sommers, gewöhnlich gegen Ende April bis Ende Oktober, dauerte die Hütezeit. In Niederbayern, der Oberpfalz und Oesterreich wurden die Kühe am Martiniabend (10. November) zum letztenmal ausgetrieben. In Tirol schwankt der Schluß der Viehweide von Anfang Oktober bis Andreastag. An Martini, wo die Weidezeit des Viehes schließt, gibt in Böhmen mehrfach der Viehhirt seiner Gemeinde ein Abendbrot. Mit diesem Tage tritt er von seinem Amt zurück und auch sonst wechselt an ihm das Viehgesinde. Wenn z. B. im Havellande ehedem an Martini das Erntefest gefeiert wurde, so weist das noch in eine Zeit zurück, wo die Viehzucht mindestens den Hauptnahrungsgewinn darstellte.
Der Martinstag ist der alte erste Schmaustag des Winteranfangs. Das Volk nennt ihn "Speckmärten". Gänse und Hühner werden an ihm verspeist. Die deutsche Martinsgans und das englische Martilmasbeef sind noch die Zeugen des Brauches. Wenn die Angelsachsen den November blotmonadh und die Schweden ihn blotmanåd nennen, so kennzeichnet dies ihn als die große Schlachtzeit.
Auf dem Martinsfest lag ein mächtiges Gelage. Am 13. des Wintermonats 1557 brannte in Augsburg ein Haus ab: "solches hatten die Knappen, da sie schwermeten und Martinsnacht hielten, verwahrlost". Noch 1593 konnte Jod. Lorichius sagen: "An etlichen Feyrabenden zunacht als St. Gallen, St. Martin, der H. Dreykönig und andern, freydige Gastungen anstellen, ist ein ärgerlicher Myßbrauch, dieweil die bereitung zum morndigen Gottesdienst dardurch verhindert wirdt. Da man aber je ein erbare christliche freudt haben wil, mags am Tag nach verrichtem Gottsdienst und nicht davor beschehen." In Frauenzell in Schwaben fand am Martinstag ein gemeinsamer Trunk statt; die Regierung gestattete ihn auch "in Anhoffung hinfüro süeßer Ruhe und Einigkeit", 1791 wurde diese Erlaubnis jedoch aufgehoben.
Die Wichtigkeit, welche die Viehzucht für die noch verhältnismäßig wenig ackerbautreibenden Deutschen des fünften und der folgenden Jahrhunderte hatte, mußte notwendig dazu führen, daß man das weidende Vieh dem Schutze einer besonderen Gottheit unterstellte. Dies war zugleich die Gottheit des großen Winteranfangsfestes, das man feierte, nachdem die reduzierte Herde in den Stall zurückgebracht worden war, um darin zu überwintern. Wer dieser Gott der Viehweide war, wissen wir nicht sicher, wahrscheinlich Wodan. Seinem Schutze stellte der deutsche Bauer sein Pferd, Rind und Schwein anheim, und der Glaube an die magische Wirkung des feierlich unter gewissen Bedingungen gesprochenen Wortes schuf eigene Viehweidesegen. Eine kurze epische Einkleidung über einen konkreten Fall, in dem der Gott diese Hilfe geleistet, begann sie, dann folgte die Formel selbst. Er sollte der Tiere walten, daß sie weder Wolf nach Wölfin zu Schaden bringen möge, sie sich nicht auf Wald, Wege oder Haide verlaufen und er am Abend allgesund heimbringe. Der Gott besorgte die Weide nicht selbst, sondern hatte einen besonderen Hirten dazu, den man ebenfalls mit anrief. Als das bayrische Sprachgebiet im achten Jahrhundert verchristlicht wurde, übersetzte Priesterklugheit auch diese Sprüche ins Christliche, indem sie für den Gott "Christ" und für seinen Hirten den heiligen Martin einsetzte. Dadurch kamen freilich die Stabreime in Unordnung, die epische Einleitung mußte ebenfalls umgebildet werden und so zerfiel das Versgefüge und gestattete fremden Elementen, einzudringen.
Durch das ganze Mittelalter hindurch bleibt Martin der Patron des Weideviehes, und sein Fest das große Schlachtfest des Winteranfangs. Er wird der Träger einer uralten Anschauung von der Zauberkraft eines grünen, blühenden Zweiges. Es ist ein indogermanischer Glaube, daß die Berührung eines Tieres mit einer Rute unter gewissen Feierlichkeiten aus ihm alle Krankheit vertreibt und es fruchtbar macht. Er ist uns aus Indien belegt. Um reine Opfermilch von frischmilchenden Kühen zu erhalten, schneidet nach dem Yajurveda und seinen Kommentaren der Priester beim Neumond einen nach Osten oder Norden gewachsenen Zweig und entblättert ihn bis auf die Spitze. Dabei spricht er:

"Zur Kraft dich.
Zum Saft dich."

Dann treibt er die Kälber mit dem Zweige von ihren Müttern fort und allein zur Weide, berührt auch die Kühe mit ihm und spricht einen Segen über sie: sie möchten dem Indra sein Teil an Opfermilch mehren, kälberreich, krankheitslos, seuchelos, keinem Räuber oder Bösen zur Beute werden, dauernd und zahlreich bei ihrem Herrn verweilen. Dann wird der Zweig mit den Worten: "Schütze des Opfernden Rinder" an erhöhter Stätte mit der Krone aufrecht nach oben und ostwärts gerichtet vor dem Opferfeuer oder Hausfeuer aufgestellt. Je buschiger, blätterreicher der Zweig oben ist, desto rinderreicher wird der Hausherr; ist er an der Spitze trocken, so wird er rinderlos. Auf die weidenden Tiere übt der Zweig schützende Wirkung aus.
Diesen Zweig erhält der christliche Heilige Martin von seinem deutschen Vorgänger, und er gibt ihn bis ins neunzehnte Jahrhundert nicht wieder her.

Kimt der hali sanct Mirte
Mit seiner Girte

singt der niederbayrische Hirtenspruch zu Etzendorf. Die Gerte ist kein Schlaginstrument, sondern ein Fruchtzweig. An ihm hängen Kranewitbeeren und er hat zahlreiche Zweige; er ist also ein förmliches Bäumchen. Er wird aufgerichtet wie der indische Zweig. Der bayrische Brauch läßt ihn hinter der Kuhraufe oder hinter der Stallthür aufstellen. Der niederösterreichische Bauer steckte das Bäumchen in der Stube hoch an die Wand dicht unter das Dach.
Einer Gerte in unserm Sinne sah das Martinsbäumchen ganz und gar nicht ähnlich. Da man die Anzahl der Beeren und Zweige zum Wunsche verwendete und dem Bauer so viele Rinder und Fuder Heu wünschte, als ihre Zahl betrug, so zog man offenbar Wachholderbäumchen mit recht zahlreichen Zweigen und Beeren den andern vor. Im neunzehnten Jahrhundert verwandte man dafür in Bayern ein eigentümliches Surrogat. Von einem Birkenast streifte man die Zweige und Blätter bis an den Wipfel ab. Dort ließ man einen Busch stehen. Die stehen gebliebenen Zweige verband eine "felberne Wid" mit Eichenlaub und Wachholderzweigen zu einem Busch. In der Gegend von Landau ging noch um 1850 der Rinderhirt zu Martini damit herum in die Häuser der Bauern und überreichte je einen solchen Ast, reichen Bauern auch zwei. In Etzendorf war dazu der angeführte Spruch üblich. Der Hirt galt hier als Stellvertreter des Schutzheiligen.
Am Ende der Sommerweidezeit, zum großen Viehschlachttag, kommt der Hirt der Markgenossenschaft, um sich den Lohn für die Besorgung der Viehweide von jedem einzelnen Hof zu holen. Als Gegengabe bringt er einen Segenszweig mit für das Vieh, das seiner Obhut entzogen ist, ebenso aber für Menschen und Bäume. In feierlichem Aufzug beschenkt er oder sein Begleiter die Kinder des Hauses und gibt ihnen Segenszweige, die im Hause aufgerichtet werden. Dabei erhält er die Naturalleistungen, die ihm für seine Sommerarbeit zukommen. Dabei - die Volksanschauung, die sich gern an Formen hängt, statt an Sachen, sagt bald genug "dafür". So treten Geschenk und Segenszweig in Wechselbeziehung. Die wirtschaftlich verschiedenen Verhältnisse der Jahrhunderte modeln diesen Brauch mannigfaltig um, spalten ihn einmal, zweimal. Geistige Einflüsse treten hinzu. Jedes wirkliche Bedürfnis der Zeit, das zu ihm in Beziehung steht, hinterläßt seine Spur in ihm. Daher ist das Fortleben der Martiniumzüge ein sehr vielgestaltiges, mindestens ist es vierfacher Art. Einmal erhielten sie sich als Umzüge Erwachsener noch mit enger Beziehung auf das Ende der Viehweide und mit Beibehaltung des Martinsbäumchens und der Beschenkung der Kinder durch eine aufgeputzte Gestalt. Sodann löste sich die Beschenkung von den Umzügen los und diese verschwanden völlig. Ein dritter, ebenfalls vorkommender Fall ist es, daß die Umzüge von den Erwachsenen auf die Kinder übergehen und diese dabei ebenfalls beschenkt werden. Endlich bemächtigt sich seit dem sechzehnten Jahrhundert die Schule der Umzüge und wandelt sie in Herumziehen und Absingen kirchlicher Lieder um, für das man ebenfalls ein Geschenk erhält.
In einigen Gegenden Schlesiens wurde Merten auf einem Schimmel reitend dargestellt. Er verteilte Aepfel, Nüsse und Gebäck in Hornform. In Heilbronn vermummten sich später nur noch Knaben als Pelzmärte und machten ein Getös mit Schellen. Auch der letzte Rest einer Vermummung schwand, und so gingen im Hannöverschen in Otternhagen, Amts Neustadt a. R., und anderwärts noch 1848 am Martinstage die Kinder umher und sammelten Aepfel und Nüsse, singend:

Marten Marten hêren
äppel und nött mügen wi gêren u.s.w.

In Mecklenburg gingen diese volkstümlichen Martinsumzüge wahrscheinlich im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert selbständig in Singschülerumzüge über, genau wie die Nikolausumzüge im Süden und die auf Weihnachten übertragenen Martins- und Nikolausumzüge im Süden und Norden. In Grabow in Mecklenburg war das Singen der Kurrentschüler am Martinstage ehedem üblich. Sie trugen alle gleiche Chorröcke. Der Kantor suchte sechzehn bis zwanzig der besten Singer unter den Rektorschülern heraus und zog mit ihnen an Martini vor den Häusern herum, sie sangen kirchliche Lieder und gingen dann in das Haus sammeln. Sie erhielten meist Geld, bei den Bäckern jedoch Kringel, anderwärts etwas Warmes zu trinken. Das Geld teilte der Kantor unter die Schüler.
Mit der systematischen Beseitigung der Heiligengestalten aus dem Volksbrauch durch den Protestantismus des sechzehnten Jahrhunderts wurde aus dem alten Umzugsbrauche die Martinsbescherung, die Vlämisch-Belgien, Westfalen, die Rheinprovinz, Thüringen, das ehedem Ansbachsche, Oesterreich-Schlesien, die Altmark und andre Gegenden kennen.
Im alten Augsburg war der Martinstag das große Schenkfest. Namentlich die Zünfte beschenkten sich fleißig. Die Weberzunft schenkte dann am Unschuldigen Kindleinstag dem ersten Deputierten reichliche Gaben, desgleichen die andern Zünfte ihrem Vorgesetzten.
Der zweite große Schlacht-, Schmaus und Kinderfesttag des deutschen Winteranfangs ist der Nikolaustag des 6. Dezember. An ihm fällt auch der alte Eber, welcher den November über noch zur Zucht gedient hat, dem Beile anheim. Er ist die Hauptperson bei dem Feste. Alles andre muß ihm dienen. Macht es der bayrische Viehweidesegen, der den heiligen Martin zum Viehhirten macht und damit offenbar einen deutschen Gott verdrängt, zweifellos, daß sich das wirtschaftliche Fest seines Tages schon damals zum Kultusakt erhoben hatte, so ist dies beim Nikolaustage nicht ganz so sicher. Wie leicht konnten christliche Priester das Umführen des "Bären" für eine deutsche Religionsübung, für den ersten Schritt zu ihrem "Opfer" halten, während es sich nur um ein wirtschaftliches Fest handelte, und den "Bären"führer mit dem Namen eines Heiligen belegen, während er gar nicht darauf Anspruch erhob, einen Gott darzustellen! Vielleicht ist der Eberhüter identisch mit dem treuen Eckart, der in der Thüringer Weihnachtssage des siebzehnten Jahrhunderts als wunderbarer Beschenker der Kinder erscheint, und dieser wieder mit Rupprecht, dem späteren Knechte des Heiligen Christ. Aber wie dem auch sei, schon frühe waren in dieser Zeit Anfang Dezember unter den deutschen Bauern feierliche Umzüge üblich, in denen "Nikolaus" eine große Rolle spielte. In Burgeis und Tirol bildeten noch 1892 den Niklasgang Niklas, sein Knabe und der Bär. Diesen führte Niklas an der Kette, und er muß unter Umständen prügeln. Im sächsischen Muldenhochland ging noch gegen 1880 ein in Stroh vermummter Bursche zu Weihnachten als Bär um. Der Brauch kam gelegentlich früher auch zu Fastnachten vor und hieß das Bärtreiben. Ein in Stroh vermummter Bursche wurde von einem andern an der Kette herumgeführt. Rechts und links ging je ein handfester Bursche. Die Kinder fürchteten sich vor dem Bär. Unartige Kinder wurden damit geschreckt, daß man ihnen drohte, den Bär zu holen. Aus dieser Quelle stammt auch die Redensart, "jemand einen Bären aufbinden". Derselbe Brauch kehrt in Norddeutschland wieder. In Hohennauen bei Rathenow, am Elm zu Klein-Scheppenstädt und Cremlingen erscheint mit dem Nikolaus der ebenfalls in Erbsstroh gewickelte bar (Bär), der an langer Kette geleitet wird. Als Kinderschrecken kennen den Bär oder Haksch in Norddeutsch land zahlreiche Orte.
Was etwa vom Martinstag auf den Nikolaustag übertragen sein könnte, soll hier nicht im einzelnen untersucht werden. Jedenfalls aber ist, von der Eberumführung abgesehen, die Aehnlichkeit zwischen den Bräuchen beider Festtage ganz außerordentlich groß, namentlich in alter Zeit. Wie am Martinstage, waren zu Nikolai Umzüge üblich, bei denen eine verkleidete Gestalt mit einem natürlichen oder künstlichen Bäumchen eine Rolle spielte, die Menschen durch Berührung damit segnete und dafür Geschenke erhielt. Wie am Martinstage stand die Kinderfreude im Vordergrund des Festes. Wie an ihm erhielten die Kleinen von der vermummten Gestalt auch Gaben, und wie am Martinstage entwickelte sich daraus eine Bescherung. Martinsbäumchen und Martinsbescherung fanden im Nikolausbäumchen und der Nikolausbescherung ihr vollständiges Gegenbild. Der ganze Westen und Süden der deutschen Zunge kennt den Nikolaustag als eigentliches Kinderfest noch heute. Im flachen deutschen Norden hat ihn der Protestantismus ausgerottet. Aber im Westen und Süden hat das Weihnachtsfest erst seit der Ausbreitung des auf protestantischem Boden entwickelten Christbaumes dem Nikolaustag Boden abgewonnen. Sein Reich reicht von den Niederlanden und Belgien, Ostfrankreich, der Rheinprovinz, Luxemburg, Lothringen und Elsaß durch die französische wie die deutsche Schweiz, bis nach Tirol und Salzburg, Baden, Württemberg und Bayern eingeschlossen. Hessen und Thüringen sind die Grenzgebiete, jenseits derer nach Norden und Nordosten hin der Nikolaustag verschwindet.
Wo Nikolaus seit dem siebzehnten Jahrhundert in Aufzügen als Kinderbeschenker erscheint, da hat er fast immer einen Zweig bei sich, diesen behält er nicht, sondern verschenkt ihn mit, und zwar "nicht allein nit den Jungen und Kindern, sondern auch den Gewachsenen und zwar allerhand Standspersonen". Weiter hinauf reichen unsre ausführlichen Nachrichten nicht, aber wir wissen aus dem sechzehnten Jahrhundert, daß auch dort, wo Martin und Nikolaus bereits als Kinderbeschenker abgesetzt waren, noch fortgesetzt die Rute ein fast niemals fehlendes Stück der Beschenkung ist. Das Kapitel "Weihnachtsbescherung" liefert zahlreiche Belege dafür. Noch im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, nachdem die Rute des Nikolaus schon drei Jahrhunderte lang in ganzen Landstrichen als Züchtigungsmittel der Kinder verstanden worden war, erscheint in der Schweiz Nikolaus mit einem ganzen ausgeschmückten Bäumchen.
Die mittelalterliche Kirche entledigt sich dieser volksmäßigen Religionsübung, indem sie sie in eine kirchliche verwandelt, wenigstens stellenweise. Aus dem deutschen Kinderfest macht sie ein christliches, das Fest des Kinderbischofs. In Hamburg war dasselbe im dreizehnten Jahrhundert ganz eingebürgert, als man von einer volksmäßigen Weihnachtsfeier noch nichts wußte. Auf Nikolai viel die Wahl des Kinderbischofs, welche die Einleitung zu einer Zeit der Kinderherrschaft bildete. Der Kinderbischof blieb bis zum 25. Dezember in dieser Würde, in der Kirche selbst alle die kirchlichen Gebräuche nachahmend. Er hatte einen Kinderklerus, eine ganze Hierarchie von niederen Priestern unter sich. Der prophetische Esel des Bileam aus der alten jüdischen Heldensage spielte bei diesen von Kindern ausgeführten geistlichen Funktionen als Verkünder des Sterns der drei Könige eine große Rolle. Er wurde feierlich zum Altar geleitet und da mit einem Liede begrüßt. In Hamburg durfte sich die Schuljugend schon am Andreastage (30. November) einen Kinderabt wählen, welcher im Prälatenschmuck ihren Prozessionen voranging und in den Kirchen und bei sonstigen Feierlichkeiten alle Vorzüge genoß. Am Nikolaustage (6. Dezember) mußte er jedoch seine Würde niederlegen, um dem Kinderbischofe zu weichen, welcher bis zum Tage der Unschuldigen Kinder im Amte blieb. 1305 ordnete eine Vereinbarung zwischen Rat und Domkapitel das Wahlverfahren dahin, daß das Recht der Wahl den Kinderdomherrn (Scholares Canonici), d. h. einer Reihe von Domschülern zustehen sollte; bei Wahlstreitigkeiten präsentierte das Kapitel einen Kandidaten, der dann gewählt werden mußte. Der erwählte Kinderbischof zog sofort im bischöflichen Ornate in den Dom, wo er auf dem Altar einen Ehrenplatz einnahm und dem Gottesdienste beiwohnte, nachher auch selbst eine geistliche Rede hielt. Darauf folgte der feierliche Umzug durch die Stadt, voran der Kinderbischof zu Pferde und hinterdrein die übrige Jugend, teils in priesterlicher, teils in anderweitiger Maskentracht, und ein Festschmaus beschloß den Freudentag. Dies wiederholte sich jeden Sonn- und Festtag bis zum 28. Dezember. Es war ein echtes mittelalterliches Kinderfest. Ebenso fand die Wahl des Kinderbischofs in Mainz an Nikolai statt und wurde erst 1779 abgeschafft. In Regensburg wählten die Kinder später erst am Unschuldigen Kindertag ihren Bischof und führten ihn mit Pomp in der Stadt umher und der Benediktbeurer Ludus scenicus de Nativitate Domini aus dem dreizehnten Jahrhundert kennt den Knabenbischof ebenfalls.
Im Süden und Südwesten stand dagegen naturgemäß die Gestalt des heiligen Nikolaus im Mittelpunkte des volkstümlichen Festes. In Straßburg sangen 1404 die Scholaren einen Hymnus auf den heiligen Nikolaus, der ihn deutlich als Vorbild der Jugend zeigt. "Als Knabe schon weihte er sich der Tugend, glänzte in Wissen mit zunehmendem Alter, suchte nicht lose Knabenstreiche, sondern behielt das Wort Gottes in lebendigem Gedächtnis." Von hier bis zum Beschenker fleißiger Kinder ist nur noch ein Schritt. Und diese volksmäßige Gestalt steht natürlich auch im Hintergrunde.
Selbstverständlich gelang die Ersetzung der wirklich volkstümlichen Religionsübung des zweiten Winteranfangsfestes durch eine kirchliche Zeremonie nur hie und da. Zum Teil bestand trotz ihr die volksmäßige Feier noch fort, zum Teil ging sie auch ganz in ihr auf. Wo letzteres geschah, hatte die Kirche leichtes Spiel. Nachdem die neue kirchliche Feier eine Zeit als Ersatz der volkstümlichen bestanden hatte, schaffte man sie durch einfache kirchliche Verordnung ab und hatte so das Volksfest wirklich ausgerottet. Aber dieser Schachzug glückte der Kirche doch nur stellenweise, und namentlich im Norden, wo man gleich bei der Einführung der neuen Religion dem heimischen Gottesdienst thatkräftiger zu Leibe gegangen war.
Noch im sechzehnten Jahrhundert gab es in Schwaben kirchliche Nikolausumzüge, bei deren Nachahmung einst einem Hanns Jacob Gremlich von Hasenweiler beinahe ein Unglück geschehen wäre. Unser Gewährsmann, der von den offiziellen Umzügen nichts weiß, sieht in einer gehörten Predigt den Anlaß dazu. Noch vor dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts verschwand auch in Schwaben stellenweise der Umzug und an seine Stelle trat die bloße Nikolausbescherung. Aber auch gegen sie entbrannte der kirchliche Kampf. Schon 1608 eiferte ein Laubaner Prediger gegen dieselbe. Auch er leitet den Brauch irrtümlich aus der kirchlichen Legende ab, die dieser Brauch erst geschaffen hat. Sie erzählt nämlich, daß Nikolaus Geld für drei arme Schwestern gab, damit sie sich verheiraten könnten. "Dannenher der Brauch kömpt, daß etliche Eltern den Kindern etwas aufs Bette legen und sagen: St. Niklaus hat es bescheret, welches ein böser Brauch ist, weil dadurch die Kinder zum Heiligen gewisen werden, da nur doch wissen, daß nicht St. Niklaus, sondern das heilige Christkindlein uns alles Gutes an Leib und der Seelen bescheeret, welchs wir auch allein darumb anrufen sollen."
Ein andrer protestantischer Theolog, ziemlich ein Zeitgenosse des Prätorius, eifert in demselben Sinne gegen die in Süddeutschland nach der Schweiz und Frankreich hin üblichen Bescherungen am Nikolaustage als Gaben dieses Heiligen. Man solle den Kindern lieber sagen, das liebe Christkindlein schickte solche Gaben voran: wenn sie fromm sein würden, so sollten bessere auf den Christtag hernach folgen.
Wenig später (1679) erfahren wir mehr von Nikolausumzügen, die sich noch hie und da erhalten hatten. Außer den freundlichen Gaben brachte der Heilige auch eine Rute mit. Eine Nikolausfestpredigt aus jener Zeit beginnt folgendermaßen: St. Nicolaus singulis statibus singulas virgas ponet. Wann ich heutiges Tages die Umfrag sollte gehen lassen, wie sich auch verhalten habe der H. Nikolaus, so würde ich nit zweifflen, man würde mir gar ungleich antworten, dann es laßt sich ansehen, als feie er Acceptor personarum und den reichen Kindern reicher und freigebiger als bei den Armen sich erzeige und also gar ungleich und parteyisch in seinen Gaaben seye, indeme er weniger seine Goldsknöpf und mehrentheils an der Statt nur Nuß, Nesplen und andere schlechte Gaben einlegt. Jedoch in einem gedunckt mich, daß er sich gleich und unparteyisch verhalte, indeme er Reich und Armen insgemain ein Ruthen einlegt und selbige bei keinen thut vergessen, nicht allein nit bey den Jungen und Kindern, sondern auch bei den Gewachsenen und zwar allerhand Stands-Personen. Bin demnach gesinnt, diese von unserm Patronen ertheilte Ruthen ein wenig auseinander zu klauben und jedem nach seinem Stand auszutheilen u. s. w."
Auch Heribert von Salurn war dem Nikolausbrauch noch freundlich gesinnt. Er predigte am Nikolaustag: "Und weilen die Kinder zu solchen andächtigen Uebungen mit nichts leichter gebracht werden, als mit Obst und anderem dergleichen Kinderwerk, so ist ganz löblich der Brauch aufkommen und eingeführt worden, daß man am St. Nikolaustag den Kindern etwas dergleichen einlege und sie vorhero vertröste St. Nikolaus werde ihnen dies oder jenes bringen, wann sie fleißig beten."
Ein halbes Jahrhundert später steht der Brauch stellenweise immer noch in Ehren. In einem populären Büchlein sagt 1752 der Pfarrer: "Eure Kinder freuen sich jetzt schon auf den Niklastag, so machet denn euren Ehehalten an solchem Tag auch eine kindische Freud, wann ihr ihnen dann nur etliche Kreuzer verehret.
Oder eure Bäurin eine halben Ehlen-Tuch, so werden ihr Wunder sehen, wie lustig und wie gern sie bei Euch seyn werden." Dem Ganzen schickt er die Mahnung voraus: "Verehret euren Dienstboten etwas zum neuen Jahr." Dieser Bescherung voraus ging z. B. in Ulm ein förmlicher Niklasmarkt.
Der Ansturm der protestantischen Priesterschaft im siebzehnten Jahrhundert gegen das Nikolausfest war nicht sonderlich erfolgreich gewesen, wenigstens auf seinem altererbten Boden. Seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts rüstete sich unter dem Einfluß der Aufklärungslitteratur jedoch auch die politische Gewalt gegen die Feier. In der ehemalig Fürstenbergischen Landgrafschaft Stühlingen, Baar u. s. w. erschien 1746 ein Dekretum: "Und weilen beynebens - ein nicht geringer Mißbrauch hin und wider in diesem beschiehet, daß an dem Vorabend des heiligen Nikolaifestes anstatt der alten, zu gutem Zihl und Erbauung deren Kindern eingeführten Gewohnheit und wo es sonsten in Erinnerung dieses heiligen Bischofen geschehen solte vielmehr junge und ledige Mannspersonen sich auf das häßlichste vermummen, biß in die halbe Nacht auf der Gassen und von einem Hauß in das andere lauffen, zu mahlen nicht nur allein ein grosses Getöß auf denen Straßen, sondern auch mehrfältige Unehrbarkeiten, die Wir da außzudrücken übergehen, hier und dort auszuüben sich nicht scheuen, so solle nicht weniger dieser Unfug und Mißbrauch bey 3 fl. Straff verbotten u. f. w." In Waldsee bestand die Sitte des Umzugs der zwölf vermummten Klosen noch bis 1769. Da ward sie von der Regierung abgeschafft. Anderorts hielten sich diese Bräuche noch länger. Auch als im neunzehnten Jahrhundert von Norden her die dort weiter ausgebildete Weihnachtsfeier in schwäbisches Gebiet eindrang, blieb der Nikolaustag noch bestehen. Er wurde neben Weihnachten weiter gefeiert. Noch später wurden in Steißlingen im Hegau am Nikolaustage, zum Teil aber auch am Weihnachtsmorgen den Kindern Nüsse, Aepfel und Klausenmannen gegeben, d. h. mürbe Brote in Männergestalt, deren Augen Wachholderbeeren bildeten.
Auch nach der Klöpfleinsnacht verschob sich der heilige Nikolaus. Aber vielfach hat er auch seinen alten Tag behauptet. Sinte Niklaas, den nobelen baas zieht in den Niederlanden herum, Sönner Klâs erscheint auf Helgoland. In Württemberg und Baden bekommen die Kinder am Nikolaustage Patengeschenke. In der Schweiz bringt sie Samiklaus, in Tirol der heilige Mann, in Niederösterreich Niglo, im Böhmerwald Nikolo.
In Illereichen in Schwaben spukte noch 1874 Nikolaus, am Niederrhein der Heilig Mann genannt, oft bis 11 und 12 Uhr nachts in den Häusern herum. Pferdefüße, Hörner, Kuh- und Wildhaut durften nicht fehlen. Fürchterlich rasselnde Ketten kündigten ihn an. Guten Kindern brachte er Nüsse und Aepfel, böse hieb er brav durch. In Großaitingen ließ er aus dem Katechismus hersagen, befragte die Eltern über den Gehorsam der Kinder und schüttete dann, wenn die Antwort ihn befriedigte, Aepfel und Nüsse auf den Stubenboden. Dies Ausschütten nannte man das "Milchkärle stürzen". In Ochsenbrunn gab es einen ganzen volkstümlichen Klaosenzug, bestehend aus fünfzehn bis zwanzig Burschen. In Ehingen an der Donau bucht man vorher die Zahl der Gebete, die die Kinder gesprochen haben, auf Kerbhölzer. Wer viel Schnitte aufweist, dem ist St. Klos, Santiklos gewogen. Die Kinder beten:

St. Nikolaus, leg mir ein,
Was dein guter Will mag sein:
Aepfel, Birnen, Nuß und Kern
Essen die kleinen Kinder gern.

Vor dem Schlafengehen stellten die Kleinen Schüsseln unter die Bettstatt, in welche St. Nikolaus einlegte. Morgens war alles voll Nüsse, Birnen, süßer Sachen u. s. w. Anderwärts heißt es:

Sante Klaos um Gott's Willa
Thuo m'r au mein Säckla fülla

und wieder an andern Stellen ist Klosjagen, eine große Mummerei und Jagd. Die Mädchen, die der Schandenklos trifft, macht er mit Kohle schwarz. Ganz Schwaben war noch 1874 voll von diesen Bräuchen. In Mähren z. B., in der Umgegend von Olmütz, erzählt man, am Abend vor dem Nikolaustage müsse man barfuß und im bloßen Hemd den Berg hinauflaufen. Da werde man sehen, daß die Pferde vor dem Wagen des h.Nikolaus den Wagen umgeworfen haben. Das Zuckerwerk und alle guten Sachen sind herausgefallen und liegen da zum Abholen. Um den Kindern die Wahrheit zu beweisen, knallt man am Abend draußen im Freien.
Vielerorts wurde die alte deutsche Figur nicht selbst in den neuen Heiligen verwandelt, sondern ihm als Diener beigegeben. Er, der Sieger über den Volksglauben, erschien ihr gegenüber als Herr. Im Lechrain erschien 1855 am Nikolaustag der Tagesheilige und beschenkte oder bestrafte die Kinder. Er hieß Seneklos und hatte oft noch einen Knecht Klaubauf bei sich. Obgleich öfter verboten, war er doch nicht zu unterdrücken gewesen. An diesem Tag beschenkte man die Godln am reichlichsten, besonders mit geschnitzten Spielwaren von Diessen, die im ganzen Gau um diese Zeit herumgetragen wurden. Daneben wurden Aepfel und Nüsse geschenkt. Auch in Niederösterreich erscheint neben dem Nikla eine vermummte Person, Krampus als Schreckmann; im Niederlande Böhmens ganz entsprechend Rumpanz im Gefolge des heiligen Christ. Im Südwesten Niederösterreichs erschien der heilige Niglo mit Stab und hoher Bischofsmütze, ließ die Kinder beten, ihre Bücher zeigen und seinen Ring küssen. Dann gab er den Kindern eine Lehre, stellte ihnen eine in Kalk getauchte Rute auf den Tisch und sprach:

Wenn einer nicht brav und ordentlich ist,
Die Rute sich ihm in den Buckel neinfrißt.

Dann segnete er sie und bespritzte sie mit Weihwasser, während sie das Kreuz machten. Sie aber stellten die Schuhe in den Garten hinter einen Strauch, und wenn sie nach Zehn hinauskamen, fanden sie dieselben mit Aepfeln, Nüssen und ähnlichem gefüllt. -
Weder das christliche Jesusgeburtsfest noch die römische Januarkalendenfeier ist imstande gewesen, auf deutschem Boden ein großes volkstümliches Fest zu schaffen. Ihr beiderseitiger Inhalt ist für die Festbedürfnisse des deutschen Bauern und späteren Stadtbürgers zu fremd gewesen, als daß er die Menge kräftig hätte anziehen können. Nachdem die christliche Kirche es bis ins vierzehnte Jahrhundert vergeblich versucht hat, aus ihrer kirchlichen Jesusgeburtsfeier einen Volksfesttag zu machen, unternimmt sie es, den deutschen Winteranfangsbrauch und Glauben mit allerhand Mitteln nach ihrem Jesusgeburtsfest zu ziehen. Erst indem sich der ehemals an Martinstag, Andreastag und Nikolaustag haftende Glaube mit dem kirchlichen Jesusgeburtsfest vermählt, entsteht das deutsche Weihnachtsfest seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts.



Wer sich für die Geschichte von Weihnachten und des Nikolausbrauchtums interessiert findet in Tilles "Die Geschichte der Deutschen Weihnacht" manch interessante Information. Tilles Werk wurde 1893 veröffentlicht. Alexander Tille (1866 -1912) war ein deutscher Germanist und Philosoph.
Die blühenden Bäume der Weihnacht
Die altdeutschen Schreibweisen wurden in den hier aufbereiteten Texten des Buches beibehalten.

Inhalt des Buches:
1. Christliches Jesusgeburtsfest, römische Januarkalenden und deutsche Winteranfangsfeiern
2. Mittelalterliche Weihnachten
3. Krippenfeier und Weihnachtspanorama
4. Jesusgeburtspiel
5. Weihnachtsumzüge
6. Volkstümlicher Weihnachtsglaube
7. Weihnachtsbescherung
8. Die blühenden Bäume der Weihnacht
9. Der Weihnachtsbaum






Nikolaus.net
Texte
Nikolausgedichte
Nikolaussprüche
Nikolausgeschichten

Gesammeltes
Nikolauskostüme
Nikoläuse
Krampus
Nikolausstiefel
Schokoladennikolaus

Über
Nikolaus von Myra
Deutsche Weihnacht

Internet
Linksammlung
Datenschutz





Sankt Nikolaus
Nikolaus.net

copyright © 2009 - 2017 by nikolaus.net



Christliches Jesusgeburtsfest, römische Januarkalenden und deutsche Winteranfangsfeiern