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Die Geschichte der Deutschen Weihnacht
Kapitel VIII
Die blühenden Bäume der Weihnacht
Zu allen Zeiten hat es Bäume gegeben, die sich dem Gesetze,
daß sie allein im Frühling ein Recht hätten, Blüten zu treiben,
nicht gefügt haben. Noch heute gibt es in einer der belebtesten
Straßen Berlins einen Kastanienbaum, der im Herbst trotz Sturm
und Regen noch einmal Blüten ansetzt, die sich neben den vergilbenden
Blättern und reifen Früchten seltsam genug ausnehmen.
Aus dem Süden unmittelbar eingeführte Bäume haben häufig
im Anfang November ebenfalls eine zweite Blütezeit. Wenn
Ende Oktober und Anfang November warm und sonnig sind,
dann erhalten diese erblichen Herbstblüher nicht selten ziemlich
zahlreiche Gesellschaft. Namentlich die Kirschbäume, welche ja
schon zeitig im Jahre ihre Frucht abwerfen, neigen besonders
dazu. Anfang November begann der alte deutsche Bauer sein
neues Jahr. Wenn sich da an einzelnen Bäumen bereits neue
Blüten zeigten und namentlich der wilde Holzapfel frische Knospen
trieb, so mußte man notgedrungen einen Kausalzusammenhang
zwischen der wunderbaren Baumblüte und dem Jahresanfang annehmen.
Rosmarin, der immergrüne Wachholderbusch und was
sich sonst an Nadelholz noch im deutschen Walde fand und von
Immergrün unter der Schneedecke nicht erfror, reihte sich diesen
Bäumen als besondere Gattung wunderbarer Pflanzen an. Eine
Konzentration dieser Züge auf die eigentliche Jahresanfangsnacht
vom 10. zum 11. November lag außerordentlich nahe, und so entstand
der Glaube, in dieser Nacht komme neues Blüheleben in die Natur,
beginne das neue Jahr der Fruchtbarkeit. Mit der Einführung des
Christentums traten, wie mehrfach erwähnt, drei Tage das Erbe der
Winteranfangsfeier an: Martinstag, Andreastag und Nikolaustag.
Der erste ward das erste große Schlachtfest des Herbstes, der letzte
das zweite. Auf den Andreastag aber ging alles über, was zum
eigentlichen Jahresanfang in Beziehung stand, namentlich die
Losspiele, mit denen man die Schicksale des neuen Jahres erkundet,
und der Glaube an die Blühkraft der Natur in seiner
Nacht. Zweige von Fruchtbäumen, die man in dieser Nacht
schneidet, haben ganz besondere wunderbare Eigenschaften. Mannhardt
hat einmal darauf hingewiesen, daß im Volksglauben sich
Blüten und Lichter oft entsprechen, ja sich wechselseitig vertreten
können. Eine weiße Frau trägt Lichter in der Hand, und die
volkstümliche Erzählung fügt hinzu: „Die Kerze ist eine Blume
gewesen." Der Himmel erglänzt im Wiederschein weißer Wölkchen,
und das Volk sagt: „Der Himmel blüht." In dem altfranzösischen
Heldengedicht Perceval erblickt der Held einmal einen mit
mehr als tausend Kerzen erleuchteten Baum und im Durmars le
galois aus dem dreizehnten Jahrhundert wird zweimal ein Lichterbaum
erwähnt. Durmars sieht zweimal einen mächtigen Baum,
dessen Zweige von oben bis unten mit brennenden Kerzen bedeckt
sind, von denen die einen aufrecht, die andern verkehrt
stehen. Doch noch glänzender als diese sitzt auf dem Wipfel ein
leuchtendes Kind. Erschreckt und zweifelnd, was das bedeute,
fragt der Ritter den Papst und erhält zur Antwort, der Lichterbaum
bedeute die Menschheit, die aufrechten Lichter seien die
guten, die verkehrten die schlechten Menschen, das Kind sei der
Welterlöser. Vielleicht ist auch eine Stelle in Wolfram von
Eschenbachs Parzival auf einen solchen Lichterbaum zu deuten, die
ins erste Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts fallen würde. Sie
ist jedoch nicht ganz klar. Kerzen brennen auf dem Laub von
Oelbäumen, es ist jedoch nicht gesagt, ob sich dieses Laub noch
auf den Bäumen selbst befindet oder vielleicht als Tafelschmuck
oder sonst als Dekoration dient.
Das ausgehende Mittelalter weilt nicht ungern bei den Vorstellungen
vom Blühen der Pflanzen in kalter Winterzeit. Von
mehreren berühmten Gelehrten, von Albertus Magnus und Cornelius
Agrippa von Nettelheim, von Theophrastus Bombastus
Paracelsus und dem Landstreicher Georg Sabellicus, dem nachherigen
Faust der Sage, berichtet ihre Zeit, daß sie in blühenden
Gärten mit reifen Früchten unter Vogelsang und bei Quellengemurmel
im Sommersonnenschein wandelten, während rings eine
harte Eisdecke die Fluren einhüllte. Zu keiner Zeit übt ja die
Sommerwärme einen so berückenden Reiz auf die Einbildungskraft
aus, als unter Eis und Schnee. Aus demselben Grunde
entstehen die schönsten Frühlingslieder zur Winterzeit, und Liebessehnsucht
und Erinnerung an genossenes Liebesglück wecken leichter
den Liederborn im Dichter als die Gegenwart des Frühlings und
der Liebe.
Der Gedanke, sich des deutschen Glaubens zur Stützung der
kirchlichen Autorität zu bemächtigen, lag nahe. Seit dem dreizehnten
Jahrhundert läßt sich in Deutschland nachweisen, daß die neue Re-
ligion den Versuch machte, den Winteranfangsglauben von den
blühenden Bäumen auf Weihnachten zu übertragen. Die lateinische
Novellistik der Zeit, welche die konstante Form von Lebensbeschreibungen
von Heiligen angenommen hatte, und in der so
manches Stück alten deutschen Volkstums noch unausgegraben
verborgen liegt, mußte dazu dienen. Und zwar benützt man als
Träger der Sage den in Deutschland nicht heimischen Kirschbaum,
der erst wenige Jahrhunderte früher vom Süden aus eingeführt
worden war. Im achten Buche des Lebens der heiligen Hedwig,
die um 1180 in Schlesien geboren war, wird uns berichtet:
„Einst, als sie noch jung war, kam am Weihnachtstage
jemand herein und sagte in ihrer Gegenwart, während sie auf
dem Tische saß, daß ein Kirschbaum im Garten in frischem Blütenschmuck
stehe. Sie hörte dies und schickte ihn zurück, um zu beachten,
ob die vorerwähnten Blüten am unteren oder am oberen
Teile des Baumes sproßten. Er ging und meldete zurück, daß
der Baum an seinen unteren Aesten blühe. Jene aber sprach:
,Das ist ein Zeichen künftigen Sterbens. Viele Arme werden
dieses Jahr sterben.’ Und wie sie vorausgesagt, so geschah es."
Die Deutung durch die heilige Hedwig erinnert zu deutlich an
die im Durmas le galois, als daß der Zusammenhang zu verkennen
wäre.
Auf den Tag vor dem Geburtstag des Stifters der Kirche,
der seit dem Jahre 354 am 25. Dezember gefeiert wurde, hatte
die alte Kirche den Gedenktag der beiden ersten Menschen der
mosaischen Sage, Adams und Evas angesetzt. Theodorus von
Ancyra erzählt in einer Weihnachtspredigt, in den griechischen
Kirchen sei es Sitte gewesen, am Weihnachtsfeste die jüdische
Schöpfungssage vorzutragen. In einer religiösen Gemeinschaft,
welche in allen Fällen die symbolische Bedeutsamkeit hoch über die
geschichtliche Wahrheit stellte, ja die den Begriff kritisch festgestellter
Thatsachen gar nicht kannte, sondern sich die Vergangenheit mit
all ihren bunten Geschehnissen durch phantastische Kombinationen
konstruierte, konnte nur eine sinnbildliche Beziehung zwischen
beiden Tagen diese in unmittelbare Nähe rücken. Die christliche
Kirche faßte den Tod des Gottes Jesus am Pfahle als ein Opfer
auf, mit dem die Schuld der Menschheit gesühnt werde. Diese
Schuld war nach der alten Sage in die Welt gekommen, indem
das erste Menschenpaar auf den Rat des bösen Gottes das Gebot
des guten übertrat und einen Apfel von dem „Baum der Er-
kenntnis" aß. Die Entstehung der Schuld und ihre Sühne
rückte die Phantasie nun in kühnem Zuge zusammen, indem sie
den Tag Adams und Evas neben den Geburtstag von Jesus
stellte. Die mittelalterliche Legende aber drückte diesen Gedanken
so aus, daß sie auf Adams Grab einen Ableger des Lebensbaumes
gepflanzt werden ließ, der zum Stamme emporwuchs.
Aus seinem Holze ließ sie nachmals das Kreuz für Jesus gezimmert
werden. Dieser Baum war dem ganzen Mittelalter
wohlbekannt. Er galt für eine geschichtliche Thatsache und wird
in der älteren deutschen Dichtung öfter erwähnt.
Gervasius von Tilbury in seiner um 1211 abgefaßten Anekdotensammlung
Otia Imperalia, erzählt die Sage bereits und
zwar als solche. Adam habe aus dem Paradiese einen Apfelbaum
entnommen, aus dem später das Kreuz für Jesus gebaut
worden sei. Nach einer altfranzösischen Legende war es sogar
der Baum der Erkenntnis selbst. Nach Adams Sündenfall riß
nämlich der Gott den Baum der Erkenntnis aus und warf ihn
über die Mauer des Paradieses. Tausend Jahre später fand ihn
Abraham und pflanzte ihn in seinen Garten, worauf eine Stimme
vom Himmel ihm verkündete, daß dies der Baum sei, an dessen
Stamme der Retter der Welt einst werde gekreuzigt werden. Mit
dem gleichen Rechte hätte man den Adams- und Evastag auf den
Tag vor Karfreitag legen können. Aber nachdem sich jene merkwürdigen
Vorstellungskreise von Sündigwerdung, Erbsünde, Opfertod
des Gottes und Erlösung durch denselben, einmal ausgebildet,
und die Massen sich in diese Weltanschauung eingelebt hatten,
betrachtete man die Geburt des Gottes, die ja doch nur seinem
Tode für die Menschen dienen sollte, gleichsam nur als den ersten
Schritt zu diesem. Wie das Jesusgeburtspiel den Gedanken ausdrückte,
wurde bereits gezeigt. In dem hessischen Stück des
vierzehnten Jahrhunderts spricht der kaum geborene Jesus, der
noch in der Wiege liegt:
Eya eya maria liebe mutter myn
sal ich von den ioden liten grosse pin?
und Maria tröstet:
Swige libes kindelin iesu crist.
Beweyn dine martel nicht zu dissser frist.
Die bildliche Darstellung, die das Kind auf einem Kreuze
schlafen läßt, rückt Geburt und Tod in derselben Weise zusammen.
Galt einmal die Geburt nur als erster Schritt zum Tode, dann war
es auch kein Gedankensprung mehr, die erste Ursache des Todes,
den Sündenfall der ersten Menschen, neben sie zu stellen und
dieser Ursache an dem Tage der Geburt zu gedenken. In der
griechischen Kirche ist dies ja auch sehr früh geschehen.
Wie sich aus der Liturgie über die Geburtssage das Jesusgeburtspiel
entwickelte, so aus dem Vortrag der Schöpfungssage
das sogenannte Paradeisspiel, eine Vorführung, welche die Formung
der ersten Menschen, den Sündenfall und die Verweisung
aus dem Garten Eden naiv nach der jüdischen Volksüberlieferung
darstellte. Schon im Mittelalter bildete es sich aus, und bereits
aus dem zwölften Jahrhundert liegt uns ein solches vor, wenn
auch nicht auf deutschem Boden. Es ist das von Luzarche herausgegeben
anglonormannische Spiel Adam. Hier heißt es in der
Einleitung, welche die Scene schildert: „Duftige Blumen und
Blätter mögen hingestreut werden, verschiedene Bäume mit
herabhängenden Früchten da sein, damit der Platz angenehm
erscheine." Auch in Deutschland ist diese einfache Ausstattung
der Paradiesesscene mindestens in wenig späterer Zeit
vorhanden gewesen und hat sich von da an durch sieben Jahrhunderte
erhalten. In dem Oberuferer Paradeisspiel wird das
Paradies einzig durch einen schönen grünen Baum vergegenwärtigt,
behängt mit Aepfeln und geschmückt mit seidenen Bändern.
Derselbe steht nicht fest, sondern wird getragen. In den Weihnachtsspielen,
die Schröer aus Ungarn herausgab, fand sich in
einem Lied folgende Stelle, die mit geringer Variation in dem
Paradeisspiel wiederkehrte:
(Ein) baume in der mitten stund,
der trug köstliche (frücht),
den verbot ihn der liebe Gott,
sie sollten davon (nicht),
essen vons Baumes Stam,
sollten sein müssig gan,
der baum der trug das leben,
darumb wolts Gott nicht haben,
dass sie assen davon.
Dieser Baum gehörte später, offenbar infolge einer Vermischung
mit dem Baume der deutschen Winteranfangsumzüge,
wie wir sahen, auch zur ständigen Ausrüstung der Spieler bei
ihren Umzügen, die sie am ersten Sonntag der Adventszeit veranstalteten.
In Oberufer bei Preßburg in Ungarn trug man 1858 vor
dem Beginn des Weihnachtsspieles beim feierlichen Auszug der
„Singer" den Baum des Paradieses voran, einen sechs Fuß
hohen schönen „Kranewit", d. i. Wachholderbaum, der mit großen
flatternden Bändern geschmückt und ganz mitAepfeln behängt
war. Neben dem Baum wurde der Stern einhergetragen, der
von Holz und zum großen Teil vergoldet war. In Masuren
erschien bei der gleichen Gelegenheit noch 1846 Adam mit einem
Lebensbaum, Eva mit dem Apfel, Abraham mit einem Schlachtmesser.
Es waren dies ihre typischen Sinnbilder als Personen
im Paradeisspiel.
Es ist ein ganzer Strom von Ueberlieferungen, in dessen
Mittelpunkt zu Weihnachten als ständiges Requisit der aus kirchlichen
Schaustellungen hervorgegangenen weihnachtlichen Aufführungen
der Baum mit Aepfeln steht. Aber noch in andrer Beziehung
bringt die christliche Sage einen Baum mit dem neugeborenen
Jesus in Verbindung.
Schon Nicephorus und Sozomenus berichten in ihren Kirchengeschichten,
bei Hermopolis in Aegypten habe ein großer Persisbaum
gestanden. Als Jesus als Kind mit seinen Eltern an das
Thor dieser Stadt gekommen sei, habe er sich vor dem jungen Gotte
geneigt. Das ganze Mittelalter kannte diese Sage. Englische
und niederländische Weihnachtslieder des sechzehnten Jahrhunderts
behandeln sie. In England ist es ein Kirschbaum, in den Niederlanden
ein Dattelbaum. Die gelehrte Reiselitteratur Deutschlands
kennt die Sage im sechzehnten Jahrhundert gleichfalls, und der
Magister Prätorius faßt sie 1663 in die lakonischen Worte: „Für
dem newen Christ-Kindlein hat sich ein Baum geneiget." Unter
den Tritten Marias auf der Reise nach Aegypten soll die Rose
von Jericho erwachsen sein und in einer elsässischen Sage rührt
das Blühen eines Rosenknopfes davon her, daß die Jungfrau
Maria die Windeln ihres Kindes auf der gleichen Reise an seinem
Urahnen aufhing. Die Verehrung des neugeborenen Gottes durch
Ochs und Eselein spielt in der mittelalterlichen Weihnachtsfeier
eine ziemliche Rolle. An eine Verehrung durch einen sich neigenden
Baum zu denken, liegt ebenfalls nahe. Aus älterer Zeit
ist sie allerdings im Jesusgeburtspiel nicht nachweisbar. Eine
Vermischung beider Sagen aber ist es offenbar, wenn sich im
Oberuferer Paradeisspiel der Baum neigt.
Bei alledem handelt es sich um Vorstellungen, welche nicht
ausschließlich Priestereigentum sind, sondern ihren deutlichen Ausdruck
in kirchlichen Bräuchen und leicht begreiflichen Sinnbildern
finden und darum seit dem vierzehnten Jahrhundert ins Volk
dringen konnten. Unter ihrem Einfluß geschah es, daß die
Winteranfangssage von den blühenden Bäumen nach Weihnachten
gezogen wurde und eine ganz bestimmte Spezialisierung auf einen
blühenden und Früchte tragenden Apfelbaum erhielt, nachdem
priesterliche Phantasie eine solche Spezialsage handgreiflich ausgestaltet
und mit genügender urkundlicher Bürgschaft umgeben
hatte. In der priesterlichen Anschauungs- und Rituswelt gehörte
der Baum nach Weihnachten. Die Menge sah ihn ebenfalls da,
hörte da von ihm und seiner wunderbaren Bedeutung, von seinen
verhängnisvollen Früchten und seiner demütigen Gesinnung gegen
den neugeborenen Gott und begann in ihrer Anschauungswelt
ihre blühenden Bäume, die ihre Grundlage, die alte Winteranfangsfestzeit,
immer mehr einbüßten, ebenfalls nach Weihnachten zu verschieben.
Vielleicht halfen auch noch andre ähnliche Stücklein mit
wie das von dem blühenden Kirschbaum der heiligen Hedwig.
Ob diese letztere tendenziöse Verschiebung, die dazu dienen
sollte, die Weihnacht im Volksansehen zu heben, Erfolg gehabt hat,
wissen wir nicht. Von Priestern ist die Nachricht sicher mehrfach
gelesen und wohl auch verstanden worden. Als daher im vierzehnten
Jahrhundert das Christentum endlich begonnen hatte, in
das deutsche Volkstum einzudringen, und man im Beginn des
fünfzehnten neue Anstrengungen machte, das Weihnachtsfest ebenfalls
volkstümlich zu machen (die Schrift des Presbyter Alsso ist
auch ein Beleg dafür), benutzte man auch jenen Winteranfangsglauben
von neuem. Man erzählte, ein guter Freund habe
draußen in der Christnacht einen Apfelbaum selbst blühen sehen,
habe seine Aepfel gepflückt und genau betrachtet. Man beschreibt
sie ganz genau und schwört Stein und Bein auf die Wahrheit
der Geschichte, die der imaginäre Freund verbürgt.
Auf der Hofbibliothek zu Wien befindet sich ein Schreiben
des Bischofs von Bamberg an Nikolaus von Dinkelsbühl vom
16. Januar 1426, in dem von zwei Apfelbäumen gesprochen wird,
die in der Christnacht blühten und Früchte brachten. Ein gewisser
Andreas von Weitra bestätigt die Sache, indem er nicht
nur die Farbe dieser Aepfel beschreibt, sondern auch angibt, daß
er sie selbst in Händen gehabt habe.
Um 1430 erzählt Johannes Nider dieselbe Sage aus der
Nähe von Nürnberg. Klugerweise setzt er die Thatsache in die
Vergangenheit: „Nicht weit von Nürnberg stand ein wunderbarer
Baum. . . Jährlich in der rauhesten und unangenehmsten
Jahreszeit, immer und nur in der Nacht der Geburt
Christi, wann die Jungfrau der Jungfrauen. . . .den Sohn
Gottes gebar, trug er blühende Aepfel von Daumesdicke. Dann
aber ist das Vaterland zwei Monate vorher und später gewöhnlich
mit tiefem Schnee bedeckt, von Eis überzogen, von rauhen
Winden durchweht, und dieselben Stürme ertragen Garten und
Bäume zu dieser Zeit. Darum erregte es Staunen, daß nicht
vorher noch später, sondern nur in der allerheiligsten Zeit Aepfel
hervorgekommen sind. . . . Es pflegen daher jährlich aus Nürnberg
und den umliegenden Gegenden mehrere glaubwürdige Leute
herbeizukommen und die Nacht zu wachen, um die Wahrheit davon
zu prüfen. Ein in allem ähnlicher Baum findet sich an
einem Orte der Diöcese Bamberg."
Diese Geschichten haben ihren Zweck erfüllt; durch sie und
die geradezu ungeheure litterarische Verbreitung, die sie in den
beiden folgenden Jahrhunderten gewonnen haben, ist es gelungen,
den Glauben von den blühenden Bäumen völlig nach Weihnachten
zu ziehen. Das ganze Volk teilt ihn, auch die Gelehrten und
Fürsten, und erst nach der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts,
als sich die Weltanschauung der Gebildeten von der des Volkes
zu scheiden beginnt, wird der volkstümliche Glaube von, den Naturkundigen
widerlegt und bleibt nur noch in den unteren Schichten
lebendig. In der volkstümlichen Litteratur des fünfzehnten Jahrhunderts
findet sich die Sage gewiß noch zu wiederholten Malen.
In dem geringen Teil davon, der uns bisher zugänglich geworden
ist, allerdings nicht. Sie gehört dem Süden Deutschlands
an und dringt dann auch nach Mitteldeutschland ein. Der
Norden scheint von ihr weniger berührt worden zu sein oder
wenigstens erst im sechzehnten Jahrhundert durch litterarische
Quellen.
Zweiundneunzig Jahre nach Niders Bericht, mitten in den
Tagen der Reformation erscheint sie wieder; zu Bamberg und
Nürnberg gesellt sich auch noch das Bistum Würzburg mit einem
solchen wundersamen Baume. Auch diese Geschichte ist ganz ausgezeichnet
verbürgt. Der neue Gewährsmann, kein geringerer
als Johannes Pauli in seinem vielgelesenen Buche „Von schimpff
und ernst", beruft sich auf eine zwischen liegende Quelle, die
noch nicht wieder aufgefunden worden ist. Nachdem die Feier
des Weihnachtstages selbstverständlich geworden ist und für uralt
gilt, dient dieser Glaube zur Bekräftigung der Wahrheit des
Christentums, und diesbezügliche Anklänge in der alten christlichen
Litteratur werden sorgsam hervorgesucht und müssen dazu
dienen, der Sache einen allegorischen Hintergrund zu geben.
Pauli erzählt: „Doctor Hasselßbach schreibt das in dem bistumb
von Wirtzburg seyen zwen öpffelbeum, die bringen in dem jar
kein frucht dann in der Weihennacht, und an dem Weihenacht
abent ist kein zeichen da der frucht. Aber zu Mitternacht so fahen
die beum an brossen vßstossen vnd blüen vnd an dem morgen so
sein die öpfel zeitig und sein als groß als gemeine baumnuß dz
ist ein groß wunder. Diser Doctor hatt brieff und sygel des
bischoffs, die darum geben sein der warheit."
Die Würzburger Sage gibt der protestantische Pfarrer Georg
Strigenitz am Ende des sechzehnten Jahrhunderts in einer seiner
Predigten wieder. Aber er kann noch mehr berichten. Bis
Sachsen hat sich der Volksglaube jetzt vom Winteranfang auf
Weihnachten verschoben. „Wil man doch sagen, das in Franckenland
unter dem Stifft Würtzburg, zweene Bewme zu finden seyn
sollen, die alle Jahr in der Christnacht vmb den Haneschrey rechte
Epffel tragen sollen, so gros als eine gemeine Nuß. Auffn
Abend merckt man nichts an den Bäumen. Vmb Mitternacht
gewinnen sie Knöpffen, schlagen aus, vnd blüen. Gegen Morgen
vmb den Hanenschrey werden reiffe Epffel von den Bäumen abgebrochen,
welchs ein groß wunder ist. Wie denn auch in diesen
Landen zu Weyda in Voigtlande, dergleichen Borstorffer Baum
zu finden sein sol, der sonsten zu gewöhnlicher zeit seine Frucht
tregt, vnnd hernach in der Christnacht widerumb außfchlegt, Blühet,
und reiffe Früchte bringet. Vnd wollens etliche dafür achten vnd
halten, als solte sich solch Wunder mit den ermelten Bäumen,
eben dazumahl in der Nacht, da Christus zu Bethelehem ist geboren
worden, Erstlich, Angefangen haben, vnd von dannen hero,
noch wehren biß auff diese zeit."
Hat die deutsche Winteranfangssage erst dazu gedient, die
Weihnachtsnacht im Volksglauben mit Weihe zu umgeben, ist sie
dann, als sie eingebürgert war, geradezu dem Glauben an seine
Wahrheit eine Stütze geworden, so beginnt jetzt, nach noch nicht
zwei Jahrhunderten, das Volksbewußtsein seine Stellung zu ihr
abermals zu ändern. Der Protestantismus streift allerhand Volkstümliches
ab, was die alte Kirche in ihren Ueberlieferungsschatz
aufgenommen hatte. Er gibt den Glauben daran nicht sofort
auf, aber es gehört nicht mehr zu dem, was Autorität für ihn
besitzt. Es wird für ihn ein Mirakel, etwas Seltsames, dem er
irgendwo einen Platz in seiner Anschauungswelt anweist, das er
zur Unterhaltung gern hört, aber das doch mit seiner religiösen
Ueberzeugung direkt nichts zu thun hat.
In seinem Teatrum Urbium berichtet Abraham Sauer
aus Franckenberg von Triburium vulgo Tribur am Rhein dieselbe
Geschichte: „Eins wil ich dem guthertzigen Leser, als ein
groß Mirackel noch verständigen: Es steht nicht weit von diesem
Flecken ein Apffelbaum welcher alle Jahr in der Christnacht Epffel
trägt, wie solches eine gemeine Bürgerschafft vnd alle vmbligende
örter wissen. Es werden solcher Epffelein auch fast alle Jahr
dem Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn, Landgraff
Georgen zu Hessen etc. geschickt, welcher sie zu grossem Wunder,
andern Fürsten vnd Herrn zu zeigen pflegt.
„Wenn ein gut Jahr fürhanden, so werden die Epffelein
etwan so groß als eine Bonen, doch an gestalt als ein Epffelein
mit Blumen, stiel vnd anderm hart vnd steiff, sonst als ein Erbeiß,
in einer Stund bekompt der Baum seine Blüht vnd Obs,
welches alle Jahr mit sonderm fleiß von den Einwohnern obseruirt
wirdt. Sonst im Jahr trägt er wilde Holtzäpffel, die nach
jhrer Art andern gleich sind, Dabey man Gottes Wunderwerck
klärlich mercken kan."
Sauers Werk gab der Treburer Sage eine Verbreitung -
man kann sagen, über das gesamte deutsche Sprachgebiet. Namentlich
geographische Werke und die Kuriositätenlitteratur, die nach
der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts aufkam, entlehnen sie
von ihm und tragen sie vollends in die Winkel, die sie noch nicht,
kannten. Schon bald nach 1610 entnahm die Sage von hier
Johannes Olorinus (16l6), ferner, wie seine eigene Randbemerkung
sowie die Vergleichung lehrt, Martinus Zeiller, der
um 1650 sein „Itinerarium Germaniae, das ist Reisbuch durch
Hoch und Nider Teutschland" herausgab. Noch an einer andren
Stelle in seinen Werken redet Herr Zeiller hiervon ein mehreres,
nämlich im Handbuche Tit. von Bäumen. Dort erzählt er dieselbe
Geschichte nach Sauer, fügt aber aus eigener Machtvollkommenheit
noch eine ganze Fülle Zeugen hinzu: „Wie nicht
alleine Abraham Sauer in parvo Theatro urbium solches bezeuget;
Sondern auch der Hoch-Wohlgebohrne Herr, Herr Balthasar
Gäller, Freyherr zu Schwanberg etc. Herr der Herrschaft
Waasen; und weiland der Röm. Keys. Majest. hochansehnlicher
Rath, Cämmerer und Stadthalter, bey der Immer Oesterreichischen
Regierung, zu Grätz etc. mein gewester gnädiger Herr, hochlöblichen
Angedenckens, dieses, gegen meiner wenigen Person, Hochbetheuret
hat; als dessen Gnaden, in einer Christ-Nacht, mit
etlichen Chur-Meynzischen, und Fürstlich-Hessisch-Darmstädtischen
Räthen, und vom Adel, sich daselbst befunden, und dieses Wunder
in eigener Person gesehen hat."
Aus Abraham Saurius und Martin Zeiller ging die Geschichte
dann in die gesamte populäre Litteratur des siebzehnten
Jahrhunderts über. Meist werden Saurius und Zeiller wörtlich
angeführt. Nur die Zeugenschaft verschiebt sich bisweilen. Ein
treffendes Beispiel dafür ist die Form, in der das Ganze in den
Saturnalia des Johann Prätorius in Leipzig von 1663 erscheint.
Er faßt den Bericht schon kritisch auf, macht sich über ihn lustig,
läßt sich jedoch die Gelegenheit nicht entgehen, die vorhandenen
Berichte mitsamt ihren Zeugen seinen Lesern als interessanten
Stoff vorzuführen, unbekümmert darum, ob er sich mehrfach
wiederholt. Der sagenhaften Ueberlieferung tritt die Kritik gegenüber,
zunächst jedoch nur in einer einleitenden Bemerkung. Nachdem
so dem religiösen Eifer, der gegen den Aberglauben wettert,
Genüge geschehen ist, mag der Aberglaube getrost zur Unterhaltung
der Leser dienen. Der weitbelesene Magister hebt an:
„Man sagt, daß in der Christ-Nacht etliche Arten der Bäume
blühen, Aepffel tragen und wieder abwerfen sollen: Welches Cornelius
Agrippa einem sonderlichen künstlichen Impffen, und nicht
der Christ-Nacht, zulegt. Biß hieher Rollenhagen. Doch mercke;
daß es von Pferdeäpffeln richtig möge verstanden werden: oder
es sind poma fugientia Tantali: Sintemahl man sie nirgends
findet, wo man sie suchet: Vielleichte wachsen sie in Heutelia,
Utopia, Schlauraffenland, Neuschnablerland oder Terra, incognita
Australi."
Der umfangreiche Bericht bei Prätorius, der die Sage in
verschiedenen Fassungen gibt, blieb natürlich in einer Zeit, in der
man, selbst ohne eigene Gedanken, immer und immer wieder
andre ausschrieb und für jede Kleinigkeit die weitläufigsten Quellennachweise
gab, dabei aber ohne jeden kritischen Sinn Originalberichte
und aus ihnen abgeleitete Erzählungen neben einander
stellte, nicht unbemerkt und nicht unbenutzt. Ein sächsischer
Pfarrer, der auch sonst Prätorius und andre fleißig kopierte und
so an hundert dicke Bände schrieb und Biblische, Evangelische und
Historische Ergetzlichkeiten zeugte, Johann Samuel Adami, oder,
wie er sich nannte Misander, hat uns 1694 ein Duplikat auch
von diesem Bericht des Prätorius gegeben, jedoch ohne dessen
Spott und kritische Bemerkungen.
Neben dieser Ueberlieferungskette stehen noch andre Berichte,
welche wiederum aus Südwestdeutschland stammen und bezeugen,
wie die Sage von den blühenden Bäumen der Weihnacht bereits
volkstümlich geworden war. Sie wird jetzt sogar gegen die
Kirche ausgespielt, wenigstens gegen die päpstliche. Im Jahre
1582 hatte Gregor XIII. sein Kalenderreformdekret erlassen, das
plötzliche zehn Tage übersprang. Das Volk war gegen diese
Neuerung und nahm sie selbst in katholischen Ländern noch für
ein Menschenalter nicht völlig an. Auch der Glaube von den
blühenden Bäumen erhielt dadurch einen Stoß. Nach dem Dekret
war die Nacht, welche man bisher als Christnacht gefeiert hatte,
gar nicht die richtige. Dieser Zumutung setzte das Volk seinen
Trotz entgegen und hielt sich an seinen Weihnachtsglauben als
Schutz gegen den neuen Kalender. Der protestantische Theologe
Johann Michael Dilherr, der seit 1631 Professor in Jena
und seit 1642 in Nürnberg war und 1669 starb, erzählt 1663
in seinen „Betrachtungen des Lebens des Herrn Jesu, wie auch
seiner Apostel": „Nicht weit von dem Nürnbergischen Stättlein
Grävenberg, und auch in der Vor-Statt desselben stehen etliche
Bäume, welche den Herbst vorher, Aepffel, wie andre Aepffel,
tragen, und hernach wiederum, mitten in der Christ-Nacht, nach
dem Alten Kalender gerechnet, nicht allein blühen, sondern
auch alsobald darauf kleine Aepffelein tragen, die ungefehr einer
Kirschen groß sind, und des folgenden Morgens, die Blühe noch
an den obern Theil stehend haben. Dergleichen Christ-Aepffelein,
wie sie allda genennet werden, vor zweyen Jahren, von dem
Herrn Pfleger zu Grävenberg, mir alsobald an den andern Christ-Tag
in Baumwollen eingewickelt, herein geschickt worden: Welche,
wiewol verwelckt, jedoch gar wol kenntlich, ich noch zeigen kan,
auch bißhero vielen Fremden, nicht ohn ihre Verwunderung gezeigt
habe. Etliche solche Aepffelein, samt Zweigen von den
Bäumen, sind mir heuer (Anno 1663) in der aller größten Kält,
nicht allein von jetzt wolgedachten Herrn Pfleger, sondern auch
von dem Herrn Pfarrer zu Hilpoltstein, welches Nürnbergisches
Stättlein, eine Meil-wegs von besagten Grävenberg ligt, übersendet
worden." Aus Dilherr entlehnte das Citat Wagenseil für
sein Buch De Civitate Noribergensi 1697. In demselben Jahre
findet sich die Sage in Johann-Just Winkelmanns „Gründlicher
und Warhaften Beschreibung Der Fürstenthümer Hessen und
Hersfeld". Zugleich wird hier das Ende des Treburer Baumes
berichtet. Die Zeit der sichtbaren Wunder ging zu Ende, und
selbst der Volksglaube begann sich der Verantwortlichkeit für seine
Berichte zu entziehen. „Unfern von dem Flecken Tribur in dem
Mersheimer Feld ist ein Apfelbaum gestanden, dessen Abraham
Säur, als ein Wunderwerk gedenket, welcher alle Jahr in der
Christnacht Aepfel getragen; wan ein gutes Jahr vorhanden, so
sind die Aepfel so gros, als eine Bohne worden, doch an Gestalt
als ein Aepflein, mit Blüte, Stiel und andern hart und steif,
sonsten als eine Erbse: in einer Stund hat der Baum Bläter,
Blüte und Früchte bekommen, welches alle Jahr von den Einwohnern
mit besonderm Fleiß in achtgenommen, etlichemal H.
Landgraf Georgen II. presentiret, und von demselbigen andern
Fürsten und Herrn, als eine Rarität, gezeiget worden. Sonsten
hat er zu gebührender Jahr-Zeit wilde Holz-Aepfel getragen, die
nach ihrer Art andern gleichgewesen, dardurch man also Gottes
Wunderwerck klärlich gesehen.
Mira modis seclo hoc contingunt plurima miris,
Sed nemo potuit rerum cognoscere causas.
Und dürfte wol Phil. Camerarius auch zu seiner Zeit von
diesem Baum gehöret haben, wie er etlicher massen von dergleichen
Meldung thut. Es ist aber dieser Baum vor wenigen Jahren
von losen Buben (als sie einsmal die Früchte abzubrechen versäumet)
abgehauen worden. Dergleichen Aepfel hat man auch zu
Darmstatt auf dem Kirchhof vor der Statt, und anderswo in
Hessen gefunden, nach Aussage beglaubter Leuten." In Lohr am
Main machte um 1680 ein Geistlicher einige handschriftliche
lateinische Aufzeichnungen über solche Christnachtsfrüchte, welche
uns erhalten sind. „Antwort auf die Frage nach den Aepfeln,
den so genannten Dräutleinsäpfeln, die ich auf meine Nachforschungen
hin von zwei verständigen und glaubwürdigen Greisen,
Rathsherren von Lohr, erhalten habe. Sie berichten, daß einstens
viel Redens von diesen Aepfeln gewesen sei, das sich aber jetzt
etwas gelegt habe. Johann Goebell berichtet, er habe derartige
Aepfel in seinen eigenen Händen gehabt, und dieselben würden
in der Geburtsnacht des Herrn allenthalben auf dem Schnee gefunden,
seien schon wiederholt nach Würzburg gebracht worden,
Blüten habe er niemals gesehen. Auch erinnere er sich, daß
Lohrer Beamte die Geburtsnacht des Herrn außerhalb der Stadt
unter den erwähnten Bäumen zugebracht hätten, um solche Aepfel
zu finden. Er sagt auch, einst sei ein solcher Baum auf einer
Weide namens ,Kälberwiese’ gewesen, und am Wege aus der
Stadt nach der St. Valentinskapelle, rechts nach dem Weinberge
des erlauchtesten Kurfürsten von Mainz zu in einem Obstgarten
sei noch ein solcher zu sehen. Er selbst besitze einen solchen
Baum auf der Wiese bei der Papiermühle und derselbe trage
daher den Namen Dräutsapffelbaum."
Sind die meisten unter diesen Quellen voneinander abhängig,
so münden im Jahre 1671 noch drei andre Lokalsagen desselben
Inhalts in den Strom der litterarischen Ueberlieferung ein. Zu
der Bamberger (zuerst 1426), Nürnberger (1430), Würzburger
(1522) Weydaer (noch vor 1600), Treburer (1610), Grävenberger
(bei Nürnberg, 1668), Lohrer (um 1680) und Darmstädter
(1697) Sage treten noch eine Geraer, eine Schlesische und
eine Carpathische Sage, die letzteren zwei jedoch ohne fest an
Weihnachten gebunden zu sein. Der Gewährsmann ist nicht ein
Kuriositätenjäger oder Geograph, sondern ein gelehrter schlesischer
Arzt, der auf dem Gebiete der Naturwissenschaften nicht unbedeutende
Kenntnisse besaß, Philipp Jacob Sachs von Lewenheimb,
ein Mitarbeiter der naturwissenschaftlich-medizinischen Zeitschrift
Miscellanea Curiosa Medico-Physica, die von 1670 an
erschien. Versucht Prätorius sich durch Spott mit der Ueberlieferung
abzufinden, so schlägt der Naturforscher einen andern
Weg ein. Er führt einmal die Entstehung der Sage auf natürliche
Ursachen zurück und sieht sodann zu, ob das Ueberlieferte
auch wirklich zu dem noch heute zu beobachtenden Thatbestande
stimmt. In dem letzteren Punkte macht er denn da schlechte Erfahrungen.
Er kennt die Berichte von Sauer und Zeiller, von
Olorinus und durch ihn den von Dilherr. Außerdem führt er
als Gewährsleute noch seinen Freund Heinrich Vollgnad und
Matthias Untzer an. Vollgnad, ein „vornehmer Practicus und
Medicinae Doctor zu Breßlau" hat ihm berichtet: „Im Voigtland,
eine Meile von der Stadt Gera liegt ein Dorf, das durch
einen Baum, der in der Christnacht Aepfel trägt, berühmt ist.
Ich entsinne mich, daß ein Jägermeister, der dort wohnte, weil
ihm die umliegenden Waldungen zur Hut anvertraut waren, mir
dies heilig beteuerte. Um das Jahr 1657 hatte er zahlreiche
solche Aepfel am Weihnachtstage auf dem Schnee zusammengelesen
und dem durchlauchtigsten Fürsten Friedrich Wilhelm von
Sachsen Altenburg seligen Angedenkens in einer Schachtel nach
Altenburg gesandt, weil die Sache so sehr wunderbar war. Von
da aus waren sie dann zu vieler Verwunderung an andere Höfe
versandt worden. Die eine Seite war gelb, die andere rot. Obgleich
mir diese Aepfel, als ich mich später einmal in Altenburg
aufhielt, von dem Arzte Sr. Durchlaucht des Fürsten gezeigt
wurden, so habe ich es doch nicht über mich gewinnen können,
der über sie ausgestreuten Sage Glauben beizumessen, außer aus
Höflichkeit gegen den Erzähler. 1660 kam es dann, daß ich am
Christfeste auf der Reise in jenem Dorfe einkehrte und so Gelegenheit
bekam, der Wahrheit der Geschichte näher nachzugehen.
So wandte ich mich an den damaligen Jäger, welcher anstelle
des oben erwähnten gesetzt worden war, und fragte ihn, wie es
sich mit jenen Aepfeln verhalte. Da lachte er und erklärte, das
sei eine Sage, die sein Vorgänger ausgestreut habe. Er führte
mich in die Ruine einer alten im Krieg zerstörten und vor Alter
zerfallenen Kirche, zeigte mir einen schon viele Jahre alten Waldapfel
und sagte mir, das da sei der wunderbare Baum, der so
ganz außergewöhnliche Früchte trage. Es kommt vor, fuhr er
fort, daß wenn der Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags anbricht,
sich solche Aepfel auf dem Schnee finden. Aber sie sind
nur nicht in jener Nacht hervorgesproßt und gereift, sondern
haben sich schon vorher dort befunden. Die Waldapfelbäume
tragen nämlich, wie die Bauern recht gut wissen, manchmal ganze
Zeilen Aepfel an einem Aestchen, die sich deswegen nicht bis zu
der üblichen Größe auswachsen können und aus Mangel an
Nahrung nicht die richtige Reife erlangen, sondern wie Leder
werden. Sie fallen aber nicht mit den übrigen reifen zur richtigen
Zeit herunter, sondern bleiben an den Aesten hangen, bis
Kälte und Wind (die gerade um das Weihnachtsfest zunehmen)
sie herunter werfen. Wenn dann die abergläubischen Leute am
Weihnachtsfeste solche Aepfel im Schnee finden, dann glauben sie,
sie seien in der Nacht erst gewachsen."
Vollgnad führt den ihm vorliegenden Bericht, der nach Mittel-
deutschland gehört, auf die böswillige Erfindung eines einzelnen
zurück. Er weiß noch nichts von der Lokalisierung der frei umschwebenden
Sage.
Von Südwestdeutschland aus war der Versuch gemacht worden,
den Glauben, beziehentlich die Sage, von den blühenden Bäumen
für die Weihnachtsnacht zu monopolisieren. Vermöge der populären
Litteratur des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts,
welche von dieser Tendenz nichts wußte, war das beinahe vollständig
gelungen. Beinahe vollständig, aber doch nicht ganz. Da
neben lebte die alte Sage, der alte Glaube fort, welcher sich an
die Winteranfangsfestzeit vor Weihnachten knüpfte. Mit der
Zerstörung dieser Festzeit durch das Christentum übertrug er sich
auf einzelne wichtige Tage des Winters, vornehmlich aber auf
den ganzen Monat Dezember, auf dessen Vorspiel am Andreastag
Barbaratag, Nikolaustag, Lucientag, Thomastag als Lostage
folgen. In dem äußersten Südosten des deutschen Kolonisationsgebiets,
in Oberschlesien und den Karpathen, fast in derselben
Gegend, in die jener Uebertragungsversuch im Leben der heiligen
Hedwig gehört, findet sich dieser noch von Weihnachten unabhängige
Glaube noch in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts
wieder, und zwar in Teschen in den Karpathen und
dem Dorfe Baranowitz bei Sorau im Jahre 1671. Der Gewährsmann
für das Vorkommen des Glaubens ist ebenfalls Philipp
Jacob Sachs, und zwar an derselben Stelle.
Der gelehrte Arzt sieht sich noch weiter nach Erklärungen
um. „Um endlich zu den wirklichen Ursachen, welche das Erscheinen
dieser Aepfel hervorgerufen, zu kommen, so möchte ich
(ohne der gewichtigeren und klügeren Entscheidung anderer Weiser
vorzugreifen) zu behaupten wagen, daß die Natur damit nichts
Uebernatürliches thue. Entweder haben im Frühling vorher die
Raupen in großer Zahl die Bäume kahl gefressen, verwüstet und
so das Hervorbrechen der Früchte verhindert. Als dann ein
warmer und feuchter Herbst folgte, bekamen sie, von neuem Frühlingshauch
noch einmal befruchtet, neues Laub und trugen diese
unzeitigen und wunderbaren Früchte, die aber nicht zu sehen
waren, ehe nicht alles Laub herabgeschüttelt war" und die Bäume
aller Blätter beraubt standen. Oder, was wahrscheinlicher ist,
jene kleineren Aepfel sind mit den anderen zur richtigen Zeit
hervorgekommen, haben aber, weil sie büschelweise in Menge gewachsen
waren, aus Mangel an der nötigen Nahrung die richtige
Größe nicht erreichen können, sondern sind verkümmert geblieben."
Nicht lange blieb diese umfangreiche interessante Zusammenstellung
nur in lateinischer Sprache vorhanden. Noch ehe die
Miscellanea Curiosa Medico-Physica eine zweite Auflage erlebten,
erbarmte sich E. G. Happelius des Abschnittes und gab
ihn in seinem dickleibigen Werke „Gröste Denkwürdigkeiten der
Welt Oder sogenannte Relationes Curiosae" mit ganz geringen
Kürzungen deutsch wieder. Dadurch erhielten die verschiedensten
Berichte eine neue Verbreitung. Auch diese Uebersetzung entging
nicht dem Schicksal des Ausgeschriebenwerdens. Sie ging abgekürzt,
zerpflückt, aber wortgetreu in ein geographisches Handbuch
über, das im Anfang des neuen Jahrhunderts erschien und
rasch eine Reihe Auflagen erlebte, in P. L. Berckenmeyers
Curieusen Antiquarius. Ein paar neue Sagen aus dem Stift
Würzburg, aus dem Flecken Schönberg in der Markgrafschaft
Ansbach kommen dazu.
Ein Jahrhundert später, in der Zeit, als Goethe und Schiller
dichteten und die Aufklärungslitteratur längst ihren Strom über
Deutschland ergossen hatte, ist die Sage immer noch lebendig.
In Würzburg wie bei Nürnberg lebt sie fort. Im Garten der
Eltern des 1787 im Rufe der Heiligkeit verstorbenen Franz
Gavard zu Würzburg soll ein solcher Baum gestanden haben,
und ein Leipziger Privatlehrer weiß aus dem vorletzten Jahre
des Jahrhunderts ebenfalls noch von ihr zu berichten:
„Bald sollen die sogenannten Rosen von Jericho, wenn sie
in dieser Nacht in das Wasser gesteckt werden, aufgehen und ausschlagen;
bald sollen gewisse Apfelbäume nicht nur zeitig aufblühen,
sondern auch zugleich Früchte tragen, wie man ganz vorzüglich
in dem Nürnbergischen Gebiete, um Gräfenberg herum,
einem kleinen Dorfe Guttenburg, sonst hat wissen wollen. Dies
kann alles ganz natürlich geschehen, je nachdem früher als gewöhnlich
eine Vorzüglich warme Jahreszeit eintritt. Und so ist's
mit jenen Rosen, wenn man sie den Winter über in eine warme
Stube bringt. Und ist dieß nicht bis auf diese Stunde noch
immer der gewöhnliche Fall, daß bey einer früh eintretenden
Wärme Bäume und Hecken ausschlagen? Dieß alles hängt von
den unabänderlichen Gesetzen der Natur ab, und geht damit ganz
natürlich zu. So rühret denn dieß, wie man offenbar sieht, von
der Witterung und nicht von der Christnacht her."
Von dem Blühglauben der Winteranfangsnacht ist offenbar
der Glaube von dem blühenden Apfelbaum, unter dem Einfluß
einer ganz bestimmten Tendenzsage, am frühesten nach Weihnachten
gewandert. Um auch andere blühende Pflanzen im Volksglauben
dahin zu ziehen, bedürfte es ebenfalls besonderer Einflüsse,
und diese sind zu suchen in dem deutschen Kirchenlied und
der sinnbildlichen Predigtsprache, die, offenbar von kirchlichen
Allegorien ausgehend, doch selbst auch wieder aus dem deutschen
Glauben von der Winteranfangsblüte Nahrung gesogen zu haben
scheinen. Treten sie doch erst seit dem sechzehnten Jahrhun-
dert ein.
Zu den wunderbaren Erscheinungen, mit denen die christliche
Phantasie die Geburt ihres neuen Gottes umgab, gehört nicht
nur die Andacht der Tierwelt, sondern auch die Freude des
Pflanzenreichs. Das lateinische Kirchenlied schon des fünften
Jahrhunderts läßt die Natur in der Geburtsnacht erblühen:
„Alles Land war mit Blütenfülle überdeckt, und in den sandigen
Syrien selbst rannen Narden und Nektar," singt ein alter lateinischer,
etwas überschwenglicher Kirchenschriftsteller am Ende des
fünften Jahrhunderts in einem lateinischen Hymnus von der
Geburtsnacht. Der alte Hymnus, wie die sinnbildliche Kirchen- und
Predigtsprache feiern Maria als einen Zweig aus der Wurzel
Jesse, ihren Sohn aber als dessen Blüte. Im Mittelalter findet
sich dieser Gedanke in der aus dem Kommentar des Hieronymus
zu Jesaias entnommenen Lektion der zweiten Nocturn am zweiten
Sonntag im Advent, und er erhielt im ausgehenden Mittelalter
Versform: Virgo die genetrix virga est, flos filius eius. Der
heilige Bernhard hat in seiner zweiten Homilie denselben Gedanken.
Eine Strophe des Liedes „Laßt uns das Kindlein wiegen"
von 1613 lautet:
D'Erd grünet vnd bringt rößle,
Der Heyland kompt von Himmel,
Deß frewen sich die Engelein,
Vnd singen in den lüfften fein,
O Jesulein süß.
Noch das neuere katholische Weihnachtslied singt:
Es blühen die Maien
Bei kalter Winterszeit
Ist Alles im Freien
Auf unsrer Schäfersweid;
Ja Alles ist in schönster Blüe,
Die Erd bringt süessen G'ruch herfür; . . .
Der Wiener Prediger Ulrich Megerle, am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts, bekannt unter dem Namen Abraham a Santa
Clara, führte in einer Predigt diese Sage weiter aus und gab
ihr dadurch neue Nahrung. „Wie Gottes Sohn geboren", . . .
berichtet er, ... „da haben sich sehr viele Wunderdinge zugetragen
. . . Nachmals ist der ziemlich tiefe Schnee in selbiger
Gegend augenblicklich verschwunden und erschienen die Bäume mit
Blüthe und Blättern, die Erde aber mit den schönsten Blumen
bekleidet und gleichsam geschmückt."
Ebenso dringt die Allegorie von der Wurzel aus Jesse, die
schon oben berührt wurde, erst im sechzehnten Jahrhundert ins
deutsche Kirchenlied. Vielleicht auch erst im siebzehnten. Aus
dessen Anfang stammt das Lied:
Es ist ein ros ensprungen
aus einer wurzel zart,
als uns die alten sungen,
aus Jesse kam die art,
und hat ein blümlein bracht
mitten im kalten winter
wol zu der halben Nacht.
Das röslein das ich meine,
davon Jesaias sagt,
ist Maria die reine
die uns dis blümlein bracht;
aus gottes ewigem rat
hat sie ein kindlein geboren
und ist bliben ein reine magd.
Wir bitten dich von herzen,
Maria, rose zart,
durch dises blümleins schmerzen,
die es empfunden hat,
wöllst uns verhilflich sein,
daß wir jm mögen machen
ein wonung hübsch und fein.
Auch das oberösterreichische Weihnachtslied kennt diesen
Gedankenkreis :
Was sieht doch die Welt für Wunder,
Daß zur Winterszeit jetzunder
Sie mit Blumen pranget!
Jesse Blum' von hohen Stammen,
Der vom Himmel führt sein Namen,
Haben wir erlanget. . . . . . .
Durch kirchliche Sage und deutsches Kirchenlied wird dieser
Volksglaube, der ehedem an keinen Tag mehr gebunden war, an
Weihnachten gebunden. Wenn die Stunde kommt, in der nach
der kirchlichen Ueberlieferung der neue Gott das Licht der Welt
erblickte, geht eine kurze Spanne der Blüte durch die ganze Natur.
Seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts erscheinen solche
Berichte in großer Zahl. In ihrem Mittelpunkte stehen wieder die
Saturnalia, des Leipziger Magisters und gekrönten Kaiserlichen
Poeten Praetorius (gest. 1680), welche 1663 erschienen. Er nennt
sie selbst „eine Compagnie Weihnachts-Fratzen". Sie sind ja halb
ernster Bericht, halb unterhaltend, halb satirisch und halb gelehrt.
An zahlreichen Stellen berührt er diesen Volksglauben.
„Es ist auch der Wahn, daß die Christ Wurtz (ist eine Art
der schwarzen Niese-Wurtz) in der Christ-Nacht ihre erste Blume
trage. Es wächset hin und wieder ein Kraut, dessen Wurtzel
in sich den Nahmen, Christus Jesus hat; so sie in der Christnacht
ausgegraben wird. Auch die Alrauns-Wurtz blühet mitten
in der Weynachts Nacht und am Christtage steiget der Safft
wieder von unten hinauff in die Bäume." Weiter heißt es da:
„Ob aber gleich bey uns üm Weynachten endlich nicht sonderbahres
wächst, oder blühet, so ist dennoch dahin gehörig die
schwarze Niesewurtz, davon Ifr Hübner inMyster. Sigill. Herbar.
p. m. 66. Diese pfleget gemeiniglich üm das Fest der Geburt
Christi, zu blühen, wird dem Sarturno zugeeignet, und ist diese
vor die beste gehalten, welche aufs hohen Gebürgen, als Saturninischen
Oerthern in der Influentz gegraben wird. Hat sonsten
eine sonderliche fürtreffliche Krafft in jhr, den Menschen; insonderheit
verlobte Leut bewahret sie vor Kranckheiten, dann diejenigen
sehr alt werden, so sie anhängen." Auch noch andre
Pflanzen blühen in der Weihnacht. Prätorius hat eine Liste zu
einem Akrostichon auf Weihnacht zusammengestellt, in dem der
Setzer aber leider zwei Buchstaben vergessen hat.
In der Weihnacht blühen:
Welcke Poley
Epfel
Indianische Nelken
Andriana seu Peroselinum Macedon
Crocus
Hexen oder Alraunwurtz
Telge oder Zweige von Kirschen.
Schon zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts sah sich der
Volksglaube nach einer Stütze für seine wunderbaren Aussagen
um und fand sie in der sogenannten Rose von Jericho, der seltsamen
grauvertrockneten Verästelung, die, ins Wasser gesetzt, für
kurze Zeit aufblüht, um dann aufs neue in vieljährigen Schlaf
zu versinken, bis erfrischendes Wasser sie abermals zum Leben
erweckt. Der Volksglaube schränkte ihre Blühfähigkeit auf die
Weihnacht ein. Der Lensinger Pfarrer Balthasar Schnurr (gest. nach
1624) erzählt in seinem Calendarium Oeconomicum, daß sie in
der Christnacht blühe. Schovenierus meint, sie blühe sonst wenigstens
nicht so schön wie in der Christnacht, und ein Kalenderschreiber
aufs Jahr 1643 weiß weiter zu berichten, daß kein Tier
sich in der Christnacht auf die Blüte niederlasse; Carl Stengel
kennt noch weiteren Glauben darüber; in Gegenwart eines Kranken,
Sterbenden oder einer Gebärenden, deren Frucht tot sei, bleibe
sie auch in der Christnacht fest geschlossen, und Johannes Sturmius
will sogar die echte katholische Tendenzfassung erlebt haben, daß
sie in Gegenwart eines Calvinisten zublieb, sich aber nach seinem
Weggehen sofort öffnete. Er sah darin ein unanfechtbares Zeugnis
für die unbefleckte Empfängnis.
Auch Prätorius berichtet selbst, die Rose von Jericho, die
das ganze Jahr dürr und wie tot erscheint, entfalte sich und gebe
einen köstlichen Geruch. Sie heiße darum auch Auferstehungsblume
(Anastatica hierochuntica). Sie war vor der Geburt
von Jesus noch nicht vorhanden und sproßte zuerst unter den
Tritten seiner Mutter hervor, als sie mit ihrem Sohne nach
Aegypten floh: darum war sie vorzugsweise diesem geweiht.
Ein Leipziger Privatgelehrter weiß darüber noch 1799 zu
berichten, und bis in die Gegenwart blieb der Glaube lebendig.
Viele der zahlreichen Sammlungen modernen Volksbrauchs und
Volksglaubens enthalten Belege für solche Wunder. Am Rhein
ging noch in unserem Jahrhundert der Spruch, daß in der Mitte
der Christnacht, was ebenfalls dahin gehört,
Alle Wasser Wein
Und alle Bäume Rosmarein
werden.
Reinsberg-Düringsfeld erzählt, daß in der Geisterstunde der
Christnacht alles im Keller bewahrte Gemüse zu knospen beginne,
daß die Christwurz ihre erste Blume trage, welche Gesundheit
und langes Leben verleihe; und ähnlicher Glaube ist fast über
ganz Deutschland verbreitet. Besonders ist es der Hopfen, der
dann neue Triebe ansetzt. In Klumpbeuern auf dem Solling,
wie überhaupt in der ganzen Gegend zwischen Adelepsen und
Minden, glaubt man, er grüne in der Weihnacht und komme
selbst unter dem tiefsten Schnee hervor; nachher sei jedoch nichts
mehr davon zu sehen.
Derselbe Glaube herrscht in der Gegend von Otternhagen
und Thoren im Hannöverschen und in Westfalen, wo der Hopfen
nach dem Volksglauben fingerlang aus der Erde sprießt.
Vor dem Oberthore des im Westrich gelegenen Dorfes
Diemaringen im Elsaß liegt ein Feldgarten, in dem vorzüglicher
Hopfen, dort Hopp genannt, gepflanzt wird. Wer
sich still und unbeschrieen in der Christnacht zwischen elf und
zwölf Uhr an den Ort begibt, der sieht fingerlange frische und
saftige Hopfensprossen aus dem Boden herausbrechen; die Leute
sagen dann: „Der Hopp kommt." Sowie es im Dorfe zwölf
geschlagen hat, gehen die Sprossen wieder in die Erde zurück; je
schöner und zahlreicher sie waren, um so reicher wird die künftige
Ernte.
In Tirol geht der Glaube, daß in der Christnacht die Farren
blühen. Um ihren Samen zu sammeln, muß man ein rotes
Kelchtuch, welches der Priester beim Amte in der Christnacht gebraucht
hat, ausbreiten. Wer solchen Samen besitzt, wird reich.
- Auch in Oberfranken, in Plankstetten, ist es üblich, in der
Christnacht „in den Farrnsamen" zu gehen, wie man „in die
Heidelbeeren" und „in die Haselnüsse" geht.
In einem elsässischen Dorfe unweit Mariastein steht ein
Rosenknopf, welcher nie verblüht. Das Jahr über ist er geschlossen,
aber in der Christnacht entfaltet er sich und wirft weithin
duftend einen lichten Schein um sich. Er stammt, so erzählt
die Sage, von dem „Rosenhurste" her, an welchem die Jungfrau
Maria auf der Flucht nach Aegypten die Windeln ihres Kindes
aufhing. Je länger er blüht, um so fruchtbarer wird das Jahr.
Auch die in der Christnacht sich öffnende Rose von Jericho ist im
Elsaß bekannt und gibt Orakel nicht nur für das Wachstum
der Früchte, sondern auch für das Schicksal der Bewohner des
Hauses, in welchem sie aufbewahrt wird.
Die wunderbare Blühkraft, welche der Natur in der heiligen
Stunde eignet, überträgt sich auch auf Dinge, denen man sonst
eine Keimfähigkeit nicht zuschreibt, namentlich auf Brotkrümel.
Macht sich schon Prätorius über den Volksglauben lustig, so eifert
man im achtzehnten Jahrhundert ganz eifrig gegen die (durch
die Kirche selbst ja auf ihr neues Hauptfest gezogene) Anschauung.
Die Gestriegelte Rocken-Philosophie meint, es werde dem Satan
dadurch hofieret, daß man meine, es hätten die von den heiligen
Christfesten gesammelten Brotbrösamlein bessere und besondere
Kraft gegen ander Brot, sie könnten denen helfen, denen es
angethan sei, denen ein Gespenst erschienen sei und denen böse
Gedanken kämen. „Wo man an Weyhnacht-Feyertage das Tischtuch
nach der Mahlzeit ausschüttet (verstehe auff blosse Erde,
unter freyem Himmel) daselbst wächst Brosamkraut." Im Zillerthal,
in Zirl in Tirol grünte dieser Glaube, daß in der heiligen
Nacht gesät, das Brosamenkraut aufgehe, noch 1871 fröhlich weiter.
Die Krapfenbröslen wurden an diesem Abende in den Garten
gesät. Das Kraut, das davon aufging, band man in den Weihbüschel.
Im Innthal glaubte man gleichzeitig noch, daß Holz,
welches in der Christnacht gehauen werde, nicht eindorre, und
den in der Weihnacht knospenden Zweigen wohne besondere
Zauberkraft inne.
In Beizkofen in Schwaben pflegen die Leute während der
heiligen Nacht zu Weihnachten bei einer Jerichorose drei Rosenkränze
zu beten.
Aus dem achtzehnten Jahrhundert ist derselbe Glaube auch
bei dem nördlichen Zweige der Westgermanen, den Engländern,
und dem nördlichen Zweige der Ostgermanen, den Skandinaviern,
bezeugt. Bis zum Jahre 1753 war in Großbritannien und
Irland das sogenannte Marienjahr üblich gewesen, das mit dem
25. März begann und nach dem Julianischen Kalender rechnete.
Da alle andren Kulturstaaten in der Annahme des Gregorianischen
Kalenders vorausgegangen waren, so vollzog sich die
Verlegung des Jahresanfangs und der Uebergang von dem alten
zu dem neuen Kalender auch hier ohne Widerstand. Nur in
Buckinghamshire kam es hierüber fast zu einem Volksaufstand,
und die Erregung der Massen entsprang eben diesem alten Weihnachtsglauben,
den man durch die neue Ordnung beeinträchtigt
wähnte.
In der britischen Sage spielt Joseph von Arimathias eine
Rolle. An ihn knüpft auch die Gralsage an, die sich dann über
das ganze Mittelalter verbreitete, und auch andere legendenartige
Geschichten kennen seinen Namen. Von ihm erzählte man sich,
ähnlich wie man den Rosenknopf von Marienstein im Elsaß und
die Rose von Jericho bei Prätorius an die christliche Legende
anknüpfte, er habe einst am Christabend seinen Stab, den er sich
vor Jahren von einem Weißdornstrauche abgeschnitten, in die
Erde gesteckt. Auf der Stelle habe er Wurzel geschlagen, Blätter
getrieben und sei schon am nächsten Tage über und über mit
Blüten bedeckt gewesen. Eine Reihe von Jahren stand er in
jeder Christnacht in voller Blüte, und alle seine Ableger blühten
ebenso. Viele Senker waren im Laufe der Jahrhunderte zu
Grunde gegangen. Aber einer hatte sich erhalten, und dieser stand
auf einer Anhöhe der Abtei von Glastonbury in der Grafschaft
Somerset. Noch unter Karl I. Stuart, der von 1625—1649
regierte, ward an jedem Weihnachtsfeiertag dem König und der
Königin in feierlicher Prozession ein Zweig von Glastonburythorn
überreicht, der stets in voller Blüte stand und erst in
der voraufgehenden Nacht gebrochen war. Während des folgenden
Bürgerkrieges zwischen dem Könige und dem Parlament
wurde bei einem Ueberfall der Abtei auch dieser Strauch verbrannt.
Damit war jedoch nicht der letzte Sproß des alten
Josephsstabes vernichtet; denn schon vorher war ein solcher in
Quainton in Buckinghamshire gepflanzt worden. Auch er blühte
jede Christnacht, und gleich den übrigen trotzdem auch noch jeden
Sommer.
In der Nacht vom 24. zum 25. Dezember neuen Stils im
Jahre 1753 hatte sich nun eine große Menschenmenge mit Fackeln,
Lichtern und Laternen um den wunderbaren Dornstrauch versammelt,
begierig, das Entstehen und Aufbrechen der weißen
Blüten zu erblicken. Es schlug die Mitternachtsstunde, und nichts
regte sich an dem Strauche. Enttäuscht verlief sich in der Morgenfrühe
die Menge; aber mit ihr verschwand nicht die Aufregung.
Es war kein Zweifel: die New Christmasday war nicht der
echte Christtag! Schon wollte die Polizei den verhängnisvollen
Dornstrauch beseitigen lassen, da, am 5. Januar neuen Stils,
am Old Christmasday stand er in vollem Vlütenschmucke. Dadurch
kam das Volk in neue Erregung. Jetzt trat die Gewalt
zurück; man sah, daß die Menge durch die neue Verordnung sich
in ihrem Heiligsten verletzt glaubte. Die Geistlichen der benachbarten
Städte boten die Hand zum Frieden, und es wurde bestimmt,
daß fortan der Old Chrsitmasday gleich dem neuen gefeiert
werden sollte. -
Es ist ein im Mittelalter weitverbreiteter Glaube, daß aus
dem Grabe zweier Liebenden zwei Bäume emporwachsen, die sich
eng umschlingen. Das Volkslied aller germanischen Stämme
kennt ihn, und noch heute klingt er hier und da in der Volkssage
wie im Märchen wieder. Solche Bäume haben oft wundersame
Eigenschaften. Auf ihren Zweigen singt ein Vogel das
Geheimnis der toten Liebe, oder der Grabesbaum der Mutter
streut auf Aschenbrödel goldene Kleider nieder. Im Jahre 1786
erfahren wir von einem solchen Wunderbaum auf Island. Er
stand zu Mödhrufell im Eyjafjördr und war aus dem Grabe
zweier unschuldig Gemordeter aufgewachsen. In der Weihnacht
strahlte er im Glanze heller Lichter auf seinen Zweigen, und
selbst der stärkste Sturm vermochte die Flammen nicht zu verlöschen.
Offenbar sind hier zwei Sagen verschmolzen, die von
den Liebesbäumen mit der vom Lichterbaum, die schon im Durmars
le galois erscheint. Daß Blüten zu Kerzen geworden sind, ist
jedenfalls ganz unabhängig von der französisch-deutschen Sage
geschehen. Ebenso die Uebertragung auf Weihnachten, da auf
Island in dieser Hinsicht ganz den französisch-deutschen analoge
Verhältnisse vorliegen.
In einer der heiligen Nächte der deutschen Winteranfangsfestzeit
kam neues Leben in die Natur. In dieser Nacht schnitt
man draußen vom Busche oder Zaune zauberkräftige Zweige und
setzte sie in die Stube. So reihte sich dem Glauben von den
blühenden Bäumen der Brauch an, der sich in einem Jahrtausend
Christentum dem Glauben ganz parallel entwickelte. Die Nacht
des Rutenschneidens war vermutlich die Martinsnacht. An diesem
Tage brachte ja auch der Gemeindehirte sein Rutengeschenk, und
St. Mirten wird ja oft mit der Girten zusammen genannt. Die
ins Haus gebrachten Ruten wurden feierlich aufgestellt, zum Teil
im Freien, im Stalle, zum Teil aber auch in der Stube. Der
ehrfürchtige Volksglaube ließ sie nicht ohne weiteres vertrocknen,
sondern setzte sie in Wasser oder einen Topf mit feuchter Erde.
Etwa einen Mondmonat später standen sie, im kalten Zimmer
gehalten, in voller Blüte. Ihr Blühtag war der zweite große
Winteranfangsfesttag, an dessen Stelle nachmals der Nikolaustag
trat. An ihm ging man mit den Blütenzweigen herum und
schlug leise alle, die man segnen wollte, denen man durch Zauberkraft
Stärke, Gesundheit, Fruchtbarkeit zu verleihen wünschte.
Indem durch etwas größere Betonung des Getreidebaues das
Winteranfangsfest mehr in den Winter hinein rückte, rückte der
Brauch mit und kam so immer näher an die Zeit der Wintersonnenwende.
Da kein Fest da war, an das er sich dort hätte
anklammern können, hängte er sich an die Januarkalenden. Ein
Papst Martianus soll das Verbot erlassen haben, am 1. Januar
die Häuser mit Lorbeer und grünen Bäumen zu schmücken, weil
dies heidnischer Brauch sei. Der moderne Volksbrauch und Glaube
hat diesen Zug noch aufbewahrt. Wenn man in Thüringen am
Andreastage zwischen elf und zwölf Uhr Kirschen und Fliederzweige
pflückt und sie ins Wasser stellt, so blühen sie am Neujahrstage;
doch werden sie auch nur einen Tag früher oder
später gepflückt, so blühen sie nicht.
Unter denselben christlichen Einflüssen wie der Glaube von
den blühenden Bäumen rückte der Brauch, blühende Zweige zu
haben, nach Weihnachten. Namentlich die Darstellung des Paradiesbaumes
zu Weihnachten seit dem dreizehnten Jahrhundert
muß darauf Einfluß gehabt haben. Wenn man seine Erscheinung
im Oberuferer Spiel verallgemeinern darf, so war es ein
Wachholderbaum oder sonst ein Nadelbaum, an dem man die
Aepfel oder auch noch bunte Bänder befestigte. Aus der Kirche
und dem Kloster wanderte er mit der Verlegung des Paradiesspieles
an ungeweihte Stellen hinaus in die Städte und Ortschaften,
und wenn er seinem Zwecke gedient hatte, so mögen ihn
wohl manches Mal Kinder seines letzten Schmuckes beraubt haben.
Ueber diese seine unheiligen Schicksale ist jedoch keinerlei Kunde
auf uns gekommen. Nahezu allweihnachtlich - denn auch in
früherer Zeit wurden Paradiesspiele nicht jede Weihnacht aufgeführt
- erschien der äpfelgeschmückte Baum in vielen Gegenden
den Zuschauern bei den Christaufführungen. War es da ein
Wunder, wenn er in ihrem Bewußtsein zu Weihnachten gehörte,
sich selbst mit der Geburtssage verband, und, wie wir sahen,
sogar in die Lieder der Jesusgeburtspiele eindrang? War es da
ein Wunder, wenn auch der Brauch der blühenden Zweige und
Bäume von Nikolai oder dem entsprechenden Tage nach Weihnachten
rückte, zumal die Priesterschaft die Entstehung einer solchen
volkstümlichen Weihnachtsfeier seit dem Beginn des fünfzehnten
Jahrhunderts offenbar begünstigte?
Der äpfelgeschmückte Baum erscheint in der Weihnachtszeit,
allerdings erst in neuerer Zeit, nun noch an einer weiteren Stelle,
nämlich in dem volkstümlichen Winter- und Sommerspiele, das
keinerlei Beziehung zu der Religion aufweist. Aepfel oder buntgefärbte
Eier und Bänder sind hier sein Schmuck.
In die zweite Hälfte des Winters fällt ein altes volkstümliches
Spiel, den Streit zwischen Winter und Sommer darstellend.
Der deutsche Volksbrauch knüpft es nicht an einen ganz bestimmten
Tag. Meist aber fällt es in die Zeit von Mitte Januar bis
Fastnacht. Vereinzelt kommt es auch schon „um Weihnachten"
vor. Wahrscheinlich gehört es ursprünglich an den Anfang des
Frühsommers im Beginn des März, und ist im Volksbrauch
meist nach dem Frühlingsanfangsfest Fastnachten gerückt. Wir
kennen es in zwei verschiedenen Formen, einmal als Kampf
zwischen zwei Personen, Sommer und Winter, bei dem der
Winter getötet wird, und sodann als Streitgespräch, in
dem jeder von beiden seine Vorzüge preist und der Winter sich
zuletzt dem Sommer ergibt. Beide sind durch beigegebene Sinnbilder
deutlich gekennzeichnet. In dem Streitspiel aus dem böhmischen
Erzgebirge trägt der Sonnner ein Fichtenbäumchen, der
Winter einen Dreschflegel. Im Kanton Appenzell hielt bei dem
gleichen Spiel 1837 der Sommer ein Bäumchen, das in seiner
Form dem Weihnachtsbaum außerordentlich nahe steht. Es trug
Birnen und Aepfel, in Flittergold gehüllte Nüsse und flatternde
Bänder. Auch hier vertritt der geschmückte Baum die Sommerblütezeit.
In einem andern Bericht über das Sommer- und Winterspiel
aus den Schweizer Kantonen Glarus, Schwyz und St. Gallen
trägt der Sommer „Reiser und Aepfel", der Winter „eine Ofengabel
und andere Insignien". Auch das Bäumchen selbst heißt
in diesem Spiel der „Sommer". Schon aus dem siebzehnten
Jahrhundert ist uns das bezeugt. „Und sie bringen mit herein
den Sommer, d. i. ein Gipfel vom oberen Teil eines Baumes.
Daran hängen silberne Gürtel, güldene Hauben, Perlhauben.
Winterkränze, Kartenblätter, gelb und rot gefärbte Eierschalen,
item gefärbt Papier." Dem gegenüber steht dann „das stroherne
Bild, das heißt der Tod."
Dieses Bäumchen als Sommersymbol im Streitspiel ist
weder sehr früh bezeugt, noch ist es sehr allgemein. Es hat eine
so große Aehnlichkeit mit dem Bäumchen des Paradiesspieles,
daß eine Entlehnung dessen, das ja ebenfalls in Aufzügen herumgeführt
wurde, fast wahrscheinlich wird. Im Norden, Süden und
Westen der deutschen Zunge sind vielmehr Sense und Sichel die
Sinnbilder des Sommers in dem gleichen Spiele.
Wie man noch im neunzehnten Jahrhundert in Westfalen,
im Elsaß, in der Schweiz und in Kärnthen den Weihnachtsbaum
in den Hof setzt, so war das schon im vierzehnten Jahrhundert
in Böhmen üblich. Der Presbyter Alsso aus dem Kloster Brêvnov
bei Prag hat uns aus der Zeit um 1400 den Anfang eines
czechischen Weihnachtsliedes aufbehalten:
Dubeez stogy prostrzed dwora,
in modernem Czechisch Dubec stoji prostred dvora, d. i. Ein
Eichlein steht in der Mitte des Hofes. Das war demnach offenbar
Weihnachtsbrauch.
Das Aufstellen von grünem Laubwerk wanderte namentlich
in dem früher als Deutschland romanisierten und christianisierten
England früh nach Neujahr und dann nach Weihnachten, und
aus den Häusern in die Tempel der neuen Religion. Als Weihnachtsschmuck
ist solches Grün in den Kirchen Englands früh
bezeugt. Kirchenrechnungen aus dem fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhundert verzeichnen die Ausgabe für Hulst und Epheu. Eine
Stange mit solchem Laube geschmückt, ein künstlich hergestellter
grüner Baum, scheint in der Festhalte gestanden zu haben. Daneben
stehen als Kirchenschmuck zu Weihnachten Lorbeerzweige und
grüner Rosmarin. In einer Kirchenrechnung von 1647 ist 1 s 6 d
als aufgewendet für Rosmarin und Lorbeer verzeichnet, die zu
Weihnachten rings in der Kirche aufgesteckt worden waren. Noch
in neuer Zeit kommt das vor. Auch anderes Grün erscheint.
In seinen „Briefen über Großbritannien" erzählt Alberti (3, 661)
daß in England um Weihnachten grüne Zweige von Orangenbäumen
an den Kirchen herumgesteckt werden, welche bis zu Ostern
daran blieben. Noch heute wenden manche Gesellschaftskreise in
den Großstädten Schottlands große Summen auf, um die ganze
Halle der Kirche mit frischem Grün, Guirlanden und Bäumen
zu schmücken.
Daneben steht die gleiche häusliche Sitte. In früheren Jahrhunderten
war jedes Zimmer mit Epheuranken geschmückt und
jede Pfoste mit Hulst. In späterer Zeit scheint dieser Brauch
sich dann in die Dienstbotenstuben zurückgezogen zu haben, um
von da aus dann wieder in den Drawing room zurückzukehren.
In Boz' Erzählung „Der Weihnachtsabend, eine Geistergeschichte",
trägt der Weihnachtsgenius einen Stechpalmenkranz.
Ob der Name Christdorn für diese Pflanze einen Bezug auf
Weihnachten enthält, kann fraglich sein. Als Friedrich Nork 1847
seinen Festkalender herausgab, schrieb er: „Ein neuerer Tourist
will noch in England in der Christnacht die Dienstbotenstuben
nicht nur mit den Zweigen der phallusgestaltigen Stechpalme
verziert gesehen haben, sondern auch in der Küche wird ein ungeheurer
Büschel Eichenmispel aufgehangen, und jede Magd, die
unter demselben sich von einem Manne ertappen läßt, muß sich
von ihm küssen lassen." Sandys in seinem sehr flüchtigen Buche
über Weihnachten gibt keinen neuen Aufschluß über eine etwaige
örtliche Verbreitung.
Heute scheint die Sitte über ganz Großbritannien verbreitet
zu sein. Sie gestattet dem Manne sogar, einen Mistelzweig in
der Tasche mit sich herumzutragen und über sein Opfer zu halten,
an jedem Orte und zu jeder Stunde, wo es ihm beliebt. Gewöhnlich
ist der Zweig jedoch an dem Gasbrenner der Hausflur
befestigt, oder sonst an einem Gasbrenner, unter dem kein Tisch
steht, und praktisch wird das Kußrecht verhältnismäßig selten
ausgeübt. Auf dem Festland ist der Brauch in weiteren Kreisen
heute wohl nur in Wien üblich, aber auch hier nur in feinen
Häusern. Vielfach hält man irrtümlich den Holly mit seinen
roten Beeren in Deutschland für den misteltoe, obgleich dieser
weiße Beeren und ganz anders geformte Blätter hat. Die englischen
„Weihnachtskarten" (Christmas cards), die größtenteils in
Deutschland gedruckt werden, zeigen demgemäß auch meist den
Holly. Auf keltischem Boden scheint sich die Mistel noch einer
höheren und weiteren Bedeutung zu erfreuen. In Wales heißt
sie Pren Awyr, luftiger Baum, weil sie auf einem Baume wächst,
und wurde im Anfang unsers Jahrhunderts über den Thüren
aufgesteckt.
Auch in Frankreich spielt die Mistel um die Wintersonnwendzeit
eine Rolle. Nach Eckermann hörte man am 1. Januar
dort den Ruf A qui I’an neuf, der zum Pflücken der Mistel
aufforderte, und sammelte Geschenke ein, welche in der Volkssprache
bei Chartres équilables oder aiquilables hießen, also nach
der Mistel (qui) benannt waren. Einst soll die Mistel, welche
der Priester verteilte, selbst das Neujahrsgeschenk gebildet haben.
In Chauny in der Picardie riefen vor der Mitte unsres Jahrhunderts
die Kinder ihr Guignoleux chanterons nous am Weihnachtsabend.
In Marseille scheint die immergrüne Myrte für
die Mistel eingetreten zu sein. Dort erschienen nämlich noch
1847 dreizehn mit Myrtenzweigen geschmückte Brote bei der
Weihnachtsmahlzeit.
In Deutschland ist aus dem fünfzehnten, sechzehnten und
siebzehnten Jahrhundert merkwürdigerweise kein einziges Zeugnis
auf uns gekommen, daß man zu Weihnachten die Häuser mit
grünem, rote und weiße Beeren tragenden Laub oder mit
blühenden Büschen ausgeschmückt hätte, aus dem achtzehnten
Jahrhundert aber ist das mehrfach belegt. Eine Salzburger
Waldordnung vom Jahre 1755 verbietet Bächl- oder Weihnachtsboschen
aus dem Walde zu holen, das Aufstellen von grünen
Sträußen und Aesten war damals also im deutschen Süden allgemein
üblich.
Wir besitzen ferner eine Radierung von Joseph Kellner „Das
Christbescherens oder der fröhliche Morgen". Sie stellt die Bescherungsszene
dar, und in der Ecke steht ein frischer, grüner
Laubholzbaum, der drei brennende Lichter trägt und außerdem
allerlei Christbaumputz anhängen hat. In der Mitte des Baumes
befindet sich ein Christengel, wie er noch heute in Nürnberg üblich
ist, zwei brennende Lichter in den Händen. Das Bild gehört
nach den Trachten um das Jahr 1790. Damals gehörte ein
solcher Laubbaum also offenbar zur typischen Weihnachtsfeier in
Münchener Bürgerkreisen.
Ungefähr in dieselbe Zeit führt eine Nachricht aus dem
Westen von Bayern, aus Nördlingen. In der Selbstbiographie
des Schlachtenmalers Albrecht Adam, der 1786 in Nördlingen
geboren war, heißt es mit Beziehung auf seine Jugendzeit: „In
Nördlingen hat man nicht den düsteren Tannenbaum für die
Christbescherung, sondern man setzt schon monatelang vorher den
jungen Stamm von einem Kirsch- oder Weichselbaum in einer
Zimmerecke in einen großen Topf. Gewöhnlich stehen diese
Bäume bis Weihnachten in voller Blüte und dehnen sich weit
an der Zimmerdecke hin aus, was man als eine große Zierde betrachtet
und was auch in der That zur Feier des Christfestes
sehr viel beiträgt. Eine Familie wetteifert mit der andern, und
die, welche den schönsten blühenden Baum hat, ist sehr stolz
darauf." Im Koburgischen setzte man noch 1858 einige Wochen
vor Weihnachten mehrere Flieder-, Kirschbaum- und Lindenäste
ins Wasser und ließ sie in der Zimmerwärme treiben und blühen.
Sie nahmen ganz die Stelle des Weihnachtsbaumes ein und
außerdem schlugen mit ihnen die Knaben die Mädchen am ersten
Weihnachtsfeiertage, diese jene dafür dann am Neujahrstag. Auch
Buchsbaum- oder andre grüne Sträußchen fanden dazu Verwendung,
so zwei Rosmarinstengel und bebänderte Ruten. Die
Knaben thaten es, um Pfefferkuchen, Aepfel und Nüsse zu erlangen.
Als im fünfzehnten oder sechzehnten Jahrhundert der blühende
Busch im deutschen Süden zur Weihnachtssitte wurde, wurde die
Einholung der Zweige am Andreasabend üblich. Ein Mondmonat
im Wasser brachte sie dann gerade zu Weihnachten zur
Blüte. Das wurde jedoch anders, als im sechzehnten Jahrhundert
auch beim Landvolk geheizte Stuben üblich wurden. Als Aeneas
Sulvius 1453 in Wien war, betrachtete er es noch als einen
besonderen Luxus, daß fast alle Bürger ihre Stuben heizten. Das
folgende Jahrhundert aber kannte geheizte Zimmer auch dort, wo
man sich keine eigene kemenate leisten konnte. Damit war eine
weitere Annäherung des Schneidetages an Weihnachten gegeben,
und nun folgte die Verschiebung auf Barbaratag, mit zunehmender
Zimmerwärme auf Lucientag, und endlich gar auf Thomastag.
Der ganze deutsche Süden kannte noch in unserm Jahrhundert
an außerordentlich zahlreichen Stellen diesen Brauch. In Freudenthal
in Oesterreichisch Schlesien pflückten die Frauen um zwölf
Uhr nachts am Andreastage einen Weichselzweig und stellten ihn
ins Wasser. Dann blühte er zu Weihnachten. Mit diesem Zweige
gingen sie in die Christmette. Bei dem Segen erkannten sie dann
alle Hexen, da jede einen Sechter (ein hölzernes Gefäß) auf dem
Kopf hat. Außer dem vierten, dreizehnten und einundzwanzigsten
Dezember kommt auch die „erste Klöpfelnacht" als Schneidenacht
vor. Manchmal wird als Zeit des Schneidens auch ganz allgemein
„vor Weihnachten" angegeben. In Niederösterreich dienen
diese Zweige zum Erforschen der Zukunft. Hier verschafft sich
am Barbaratage jedes Mitglied der Familie einen Kirsch-, Weichsel- oder
Birnbaumzweig. Arme Leute bieten dieselben auch unter
dem Namen Barbarazweige zum Kauf aus. Um eine Verwechselung
zu verhüten, bekommt der Zweig jedes einzelnen ein besonderes
Zeichen. Alle kommen dann in ein mit Wasser gefülltes
Gefäß, das auf dem Ofen seinen Platz hat. Jeden zweiten Tag
wird das Wasser durch frisches ersetzt. Die so gepflegten Zweige
treiben nach ungefähr drei Wochen eine weiße Blüte, und derjenige,
dessen Zweig am ersten oder am schönsten blüht, hat Glück
zu erwarten. In Tirol versucht man sogar, einen Kirschbaum
im Freien zum Blühen zu bringen. In der ersten Klöpfelnacht,
dem ersten Donnerstagabend in der Adventszeit, gräbt man nämlich
in Ranggen unter einem Kirschbaum Kalk ein; dann blüht
der Baum in der Christnacht. Bei Meran setzt man an demselben
Tage Kirschzweige ins Wasser, um sie darin hinter dem
Ofen blühen zu lassen. In Kärnthen stecken die Mädchen am
Lucientage einen Kirschbaumzweig in den Sand. Wenn er zu
Weihnachten blüht, gehen ihre Wünsche in Erfüllung. Noch
1871 benutzte man in Tirol in der Weihnacht knospende Zweige,
um seine künftige Ehehälfte kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke
brach man dann einen solchen Zweig ab und ging mit demselben
um den Baum herum. Beim dritten Umgang kommt das künftige
Gemahl dann heran und bietet die Hand zum stummen
Gruße. Wie in allen ähnlichen Fällen ist eine Anrede nicht erlaubt.
Wenn man um Schlag zwölf Uhr in der heiligen Nacht
drei Ruten von verschiedenen Stauden abschneidet, kann man
damit zaubern und einen schlagen, wenn er auch stundenweit
entfernt ist.
Wie man in Meran in der Weihnachtsnacht einen Kirschbaum
im Freien zur Blüte zu bringen sucht, und anderorts ganze
Bäume oder Zweige im Zimmer aufstellt, so anderwärts auch
Nadelbäume im Freien. Bei den Nordgermanen ist dieser Brauch
früh bezeugt. Schon Rudbeck erzählt von den alten Schweden:
„Wenn die Sonne wiederkam, empfingen sie selbige mit Opfern,
Spielen und andern Festivitäten, welche so tief eingewurzelt, daß
sie bei Annehmung des Christentums nicht gänzlich abgeschafft
werden können; sondern soviel ihrer nicht eine öffentliche Ab-
götterei in sich halten, auf das Weihnachtsfest transferiert worden,
und noch heut zu Tage durch ganz Schweden gebräuchlich sind.
Die alten Heiden satzten vor ihre Häuser zweene Tannenbäume
kreutzweise über einander, und fraßen und soffen 19 Tage lang.
Die heutigen haben noch den Gebrauch mit den Bäumen und
dem neunzehntägigen Schmausen." Dieser Brauch erhielt sich
noch länger. Noch gegen 1830 richtete man in Schweden zu
Weihnachten grüne Bäume (Fichten oder Tannen) im Freien bei
den Orten oder Häusern auf. Diese Sitte beschränkt sich jedoch
nicht auf Skandinavien, sondern findet sich auch im Westen und
Osten der süddeutschen Stämme.
Wie die Schweden nach Einführung der christlichen Weihnachtsfeier
das Baumaufrichten vor den Häusern an dem neuen
Feste vornahmen, so setzte man in neuerer Zeit auch in Westfalen
am Christabend Tannenzweige vor die Hausthüre, und in
Kärnthen wurde noch 1879 im Gailthale in einigen Orten,
namentlich bei den „Bergern", in der heiligen Weihnacht ein
„Barzn" (ein astreiches Fichtenbäumchen) ohne allen farbigen
Schmuck, ein Zeichen stiller Freude in der heiligen Zeit, im
Schnee an der Ecke des Gehöftes aufgestellt.
Anderorts gruppiert sich der grüne Schmuck, den man in
der Weihnachtszeit im Freien aufstellt, um den Brunnen. In
einigen Dörfern des Elsaß, zumal in den französischen Ortschaften
der Vogesen, hat sich die sehr verbreitete Sitte erhalten, zu Neujahr
den Brunnen mit einem Mai zu schmücken. Die jungen
Mädchen, welche den Brunnen besuchen, verschaffen sich nämlich
einen kleinen Tannen- oder Stechpalmenbaum, zieren ihn mit
Bändern, Eierschalen, kleinen Fissuren, die einen Hirten oder
Mann vorstellen, der seine Frau schlägt, und stellen den so geschmückten
Baum in der Neujahrsnacht auf den Brunnen. Während
des Neujahrstages besucht man die Brunnen, in deren
Schmuck sich die Mädchen zu überbieten suchen, und sobald der
Abend anbricht, wird der Schnee um den Brunnen sorgfältig
weggekehrt, und die jungen Mädchen tanzen singend einen Reigen,
an dem sich die jungen Bursche nur mit ihrer Erlaubnis beteiligen
dürfen. Der Baum bleibt das Jahr hindurch als schützendes
Symbol für diejenigen stehen, die ihn errichtet haben. Weiter
südlich findet sich der Brauch noch in andrer Abart, Die Bruderschaft
der Kusträger in Hagenau am Bodensee, welche aus vierundzwanzig
ledigen Burschen bestand, setzte dem Pfarrer regelmäßig
bis 1798 in der Neujahrsnacht gegen Morgen den „Maien"
( Tannenbaum). - -
Die Zweige, welche man am Winteranfangstage im alten
Deutschland brach und feierlich aufstellte, sei es nun in Wasser
oder einen Topf mit Erde, oder auch nur an die Wand steckte
wie den Martinsbusch in Oesterreich, dienten außer zu Loszwecken
noch einem andern volkstümlichen Brauche. Durch einen Schlag
mit solch einem Segenszweige glaubte man, wie einst im alten
Indien so auch noch in Deutschland Fruchtbarkeit und Gedeihen
auf den Berührten übertragen zu können. In dem österreichischen
Miltigau sammelt man am Barbaratage die sogenannten Barbarakätzchen,
legt sie in Wasser an einen warmen Ort, damit die
Kätzchen bald austreiben, und zu Weihnachten sind gewöhnlich die
Knospen offen. Nun werden die Zweige in Büschel gebunden
und mit den so erhaltenen Ruten gehen die Burschen des Dorfes
am Unschuldigen Kindertage, dem 28. Dezember, zu den Mädchen
und peitschen diese damit, wofür sie dann Bier, Branntwein und
Kuchen von den Mädchen zum Geschenke bekommen. - Im Egerlande
nimmt man dazu Birkenruten, die man ebenfalls am
St. Barbaratage schneidet, in ein Glas Wasser an einen warmen
Ort stellt, damit sie ausschlagen, und dann mit einem roten
Seidenband zu einem Strauß zusammenbindet.
Mit den Martins- und Nikolausgeschenken erhielt jedes Kind
einen grünen Zweig oder ein Bäumchen, mochte nun Tanne oder
Wachholder, Rosmarin oder Eiche es liefern, mochte es ein künstliches
Bäumchen, ein zusammengebundener Busch oder ein einfaches
Aestchen sein. Am Martinstag wars wohl meist ein einfaches
Reis, am Nikolaustag dagegen ein blühender Zweig. Der
Martin oder Nikolaus verschenkt dieses Grün gleich den Geschenken,
die er mitbringt. Er ist selbst ein Geschenk und zwar das wesentlichste.
Erst seit das sechzehnte Jahrhundert pädagogischen Sinnes
den Brauch umgewandelt hat, schlagen die umziehenden Gestalten.
Ursprünglich sind Martinsgerte, Nikolausbäumchen und blühender
Zweig, den man am Andreasabend für Weihnachten schneidet,
eins und dasselbe. Der letzte Tag dieser ganzen Festzeit ist im
Mittelalter nicht Weihnachten, sondern der Unschuldigen Kindertag,
der 28. Dezember. Bis zu diesem dauert die Kinderherrschaft,
der Brauch des Kinderbischofs, der nachmals auf eine weit kürzere
Zeit eingeschränkt wurde, bis er endlich ganz verschwand. Er
erscheint auch schon am Ausgange des Mittelalters als der Tag,
an dem mit den blühenden Ruten geschlagen wurde. Später,
als das Schlagen mit ihnen nur noch von Kindern geübt
wurde, hielt er sich um so besser als Schlagtag, weil er als
Gedächtnistag der Tötung der Bethlehemer Kinder durch Herodes
der einzige Tag war, dessen Sage mit Kindern in Berührung
stand.
In ihrem Bestreben, volkstümlich zu werden, hatte sich die
neue Religion auch dieses volkstümlichen Brauches des Rutenschlagens
bemächtigt, und vielleicht hatte er dadurch nicht sonderlich
gewonnen. Bis zum Jahre 1431 verrichteten in Nantes die
Priester das Fitzelamt. Sie schleiften die aus dem Bette geholten
nackten Personen durch die Straße in die Kirche, wo sie
sie auf den Altar hoben. Das war am Unschuldigen Kindertage.
Schon am Ende des sechzehnten Jahrhunderts war die Sitte
stellenweise ganz nach Weihnachten gewandert: Eine ehemals im
Plassenburger Archiv befindliche Polizeiverordnung der Herrschaft
Lauenstein vom Jahre 1599 verbietet „das Kindlen oder Dingeln
das zu Weyhnachten getrieben wird, da die großen, starken knecht
den Leuten in die Heusser laufen, die Mägde und Weiber entblösen
und mit Gerten oder Ruten hauen". Seit Anfang des
siebzehnten Jahrhunderts oder wohl auch schon im sechzehnten
treten Kinder an Stelle der „starken knecht". Damals trieben
in der Schweiz die Kinder am Kindertage ihre Eltern mit Ruten
aus den Betten. Am Unschuldigen Kindertage haftete das Buschschlagen
noch im neunzehnten Jahrhundert in Hohenfelden und
Weida bei Weimar. Birkenreiser und Tannenzweige waren dort
die Schlagmittel. Schwaben, Bayern, Franken, Oesterreich kennen
ebenfalls an diesem Tage oder am Tage vorher, dem Stephanstage,
das Pfeffern mit Wachholderstauden. Der Tag, an welchem
solche Bräuche stattfanden, schwankte schon darum etwas, weil auch
die alte Kirche nicht immer die gleichen Festtage feierte. Auch die
Dauer des protestantischen Festes schwankte. Am zweiten Weihnachtsfeiertage
besuchten um 1800 an einigen Orten die Kinder
ihre Freunde, Bekannten und Paten, hauten sie gelinde mit
Ruten, die sie Pfeffern hießen, worauf sie sodann von ihnen
einige Geschenke empfingen. Ja, sie trieben mitunter wohl auch
mit diesen Ruten auf den Gassen ihren Unfug. In der Gegend
von Tübingen und Eßlingen hieß der Weihnachtsdienstag Pfeffertag.
Da sammelten die Knaben, mit Ruten von „Weckholder"
oder Tannen umziehend, Nüsse, Aepfel, Brot.
Im Voigtlande und am ganzen sächsischen Erzgebirge peitschten
die Burschen die Frauen und Jungfrauen am zweiten Weihnachtstag
mit ausgeschlagenen Birkenruten, die ein rotes Band
zusammenhielt, oder mit irgend etwas Grünem, Rosmarinstämmchen
oder Wachholderruten. Ebenso im Orlagau.
Wie das Schlagen der Menschen zu Weihnachten vorkommt,
so auch das Schlagen der Bäume, zum wenigsten örtlich. In
der Rhön schlägt man am Unschuldigen Kindertage neben den
Menschen auch die Bäume. In Mähren streichelt die Bäuerin
die Obstbäume mit den vom Kneten des Weihnachtsteiges noch
klebrigen Händen und sagt: „Bäumchen, bringe viele Früchte."
In der Sylvesternacht springt und tanzt man in Hildesheim um
die Obstbäume und ruft:
Freue ju Böme
Nüjoar is kômen!
Dit Jâr ne Kâre vull,
Up et Joar enn Wagen vull.
In Kurland schlug man im neunzehnten Jahrhundert bereits am
ersten Weihnachtsfeiertag mit einem Stock an die Apfelbäume,
damit sie gutes Obst brächten, im Thurgau mit Stangen an die
Nußbäume, in Mecklenburg, Oldenburg, Tirol wurden alle Obstbäume
geschlagen.
Unter den verschiedensten Einflüssen hat sich die heilige Rute,
der blühende Zweig und Baum der deutschen Winteranfangsfeier,
vielfach gespalten. Die Martinsgerte, das Nikolausbäumchen,
der Kranewitbusch des Oberuferer Jesusgeburtspielumzugs,
der blühende Kirschbaum der heiligen Hedwig, die blühenden
Aepfelbäume von Bamberg und den andern Orten, der blühende
Baum auf Joseph Kellners Radierung und der Bächlboschen
Salzburgs, der blühende Loszweig Tirols, der Tannenzweig der
Kinder am 28. Dezember, mit dem sie Eltern und Verwandte
schlagen, und die Rute des Knecht Ruprecht wie die Christruten
des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, sie alle gehen auf
ihn zurück, und ein Ableger von demselben Stamme ist auch der
deutsche Weihnachtsbaum, der mit dem Beginn des siebzehnten
Jahrhunderts auf den Schauplatz der Geschichte tritt.
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