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Die Geschichte der Deutschen Weihnacht
Kapitel III
Krippenfeier und Weihnachtspanorama
Die Entwickelung einer deutschen Jesusgeburtsfeier geht
naturgemäß aus von den Kultusstätten der neuen Religion. Mit
dem Eintritt des deutschen Stammes in seine christliche Episode
im vierzehnten Jahrhundert erhält sie ihren wesentlichen Inhalt.
Sie ruht auf der Voraussetzung, daß im ersten Jahre unsrer
Zeitrechnung zu Nazara in Judäa der Sohn des jüdischen
Gottes wirklich von einem Weibe geboren worden ist. Ehe jemand
diesem Berichte nicht wirklich Glauben geschenkt, ehe er nicht von
der Schlechtigkeit aller Menschen, von der Notwendigkeit einer
Sühne ihrer Unthaten, von dem Kampfe eines persönlichen guten
und bösen Gottes, und von der Thatsächlichkeit des Sohnesopfers,
das der gute Gott seinem eigenen Gerechtigkeitssinne bringt,
wirklich überzeugt ist, eher kann er nicht wirklich das Jesusgeburtsfest
feiern. Wer noch auf der Erde, im Leben seine letzten Ziele
findet und noch nicht darauf bedacht ist, sich in der Phantasie
in einem Dasein nach dem Tode anzusiedeln, der kann noch nicht
mit wirklicher, aufrichtiger Freude sich den Gedanken an jene
Geburt an ihrem herkömmlichen Gedenktage ins Gedächtnis rufen.
Die Taufung, welche nur in der geringeren Zahl der Fälle nach
einem wirklichen Wechsel der Ueberzeugung erfolgte und weit
mehr ein Unterwerfungsakt unter fränkische Herrschaft und römische
Kultur war, kann in keiner Weise als Zeugnis dafür gelten, daß
der einzelne sich wirklich in diese neue Anschauungswelt eingelebt
hatte. Nur ganz langsam vollzieht sich dieser Einlebungsprozeß
im Volke. Bis ins fünfzehnte Jahrhundert dauert es, ehe der
neue Glaube wirklich in zahlreiche Vorstellungsschichten des Volkes
durchgesickert ist, und erst in der Teufelsangst des Protestantismus
im sechzehnten Jahrhundert erreichte er an Inbrunst und Tiefe
seinen Höhepunkt, um bald genug in seinen Aufstellungen mit
dem erwachten Beobachtungssinn der Wirklichkeit in Konflikt zu
kommen.
Nachdem durch die Taufung aller vorhandenen Deutschen
das gesamte deutsche Sprachgebiet äußerlich christianisiert war,
begann erst die Arbeit der Priesterschaft am deutschen Volke wirklich.
Wie das Kind in dem Alter, in dem es sich die Sprachmünzen
seiner Umgebung aneignet, täglich neue aufnimmt und
die alten auszugeben sich anstrengt, so übernimmt das Volk von
seinen priesterlichen Lehrmeistern jedes Jahrzehnt neue Gedankenmünzen,
gibt sie aber selten ganz unverändert wieder aus, sondern
schleift hier einen Rand ab, prägt dort den Gesichtsausdruck um,
und gibt als Kupfer aus, was es als Gold erhalten und umgekehrt.
Abstrakte Ueberlegungen, wie sie die Reformationszeit
kannte, liegen noch völlig jenseits des Denkvermögens des Mittelalters.
Das Bild, das die Nachwelt zum Sinnbild entwertete,
war ihm Wirklichkeit.
Nachdem das Weihnachtsfest des 25. Dezembers einmal durch
Liberius geschaffen war, war ganz von selbst die Darstellung der
Sagenzüge von der Geburt des neuen Gottes in den Kreis kirchlicher
Schaustellung getreten. In der Kirche Santa Maria Maggiore
in Rom, die ebenfalls von dem Bischof Liberius um 360 als
Basilica Liberii geschaffen worden war, befand sich schon im
frühen Mittelalter eine Kapelle mit einer Krippe. Unter Gregor III.
(731—41) wird sie als „Krippenbetraum", unter Sergius II.
(844—47) als „Krippenkammer" bezeichnet. Sie war weit berühmt,
und der Papst Gregor IV. (827—43) ließ in der Kirche
der heiligen Maria in Trastevere „eine heilige Krippe herstellen
nach dem Muster der Krippe von S. Maria Maggiore". Die
Krippe von S. Maria Maggiore aber, die erst mit der Geburtsfeier
des Gottes am 25. Dezember geschaffen worden war, war
wiederum eine Nachahmung der Krippe in der sagenhaften Geburtshöhle
in Bethlehem, deren Vorhandensein schon dem Origines
bekannt war. Allmählich bemächtigte sich dieser kirchlichen Krippen
der Luxus, und um so mehr, je höher der Reichtum der Kirche
stieg. Zu Weihnachten wurde an ihnen Krippenamt gehalten
und das geweihte Brot, welches den Gott versinnbildlichte, in
die Krippe gelegt. Wenn eine späte katholische Sage den Ursprung
der Sitte dem Franz von Assisi zuschreibt, der sie zuerst 1223,
drei Jahre vor seinem Tode geübt haben soll, so greift sie um
mehr als fünfhundert Jahre fehl. „O wäre es mir doch vergönnt,"
sagt ein namenloser Kirchenschriftsteller, „jene Krippe zu
sehen, in welcher der Herr lag. Jetzt haben wir Christen ihm
zu Ehren die schmutzige weggenommen und eine silberne aufgestellt.
Aber mir ist die weggenommene wertvoller!"
Der Abt Guerricus im zwölften Jahrhundert sagt: „Brüder,
auch ihr, auch wir haben heute das Kind gefunden, in Windeln
gehüllt und liegend in der Krippe des Altars." Das lateinische
Kirchenlied, das bis ins fünfzehnte, ja sechzehnte Jahrhundert
ausschließlich von eingeübten Knaben- und Mönchschören gesungen
wurde, knüpfte oftmals an diese kirchliche Schaustellung an. Eigene
Lieder entstanden für den Gebrauch bei ihr, aber noch immer trat
sie nicht aus dem Rahmen priesterlichen Kirchendienstes heraus.
Noch immer ward sie keine volkstümliche Religionsübung.
Klang sein eigener Gesang gleich, als wenn ein schwerer
Wagen über das Pflaster rasselte, so gebot doch König Karl I.
die Teilnahme der Zuhörerschaft am lateinischen Kirchengesang.
Da dieselbe lateinisch nicht konnte, so wird freilich der Erfolg
nicht groß gewesen sein. Vielleicht ein Weihnachtslied ist ein
dem Dichter Spervogel zugeschriebener Gesang aus dem zwölften
Jahrhundert, der aber sicher kein Gemeindegesang ist:
Er ist gewaltic unde stark,
der ze wîhennaht geborn wart:
Daz ist der heilige Krist.
jâ lobt in allez daz dir ist
Niwan der tievel eine,
dur sînen grôzen übermuot
sô wart im diu helle ze teile . . . .
In dem dreizehnten Jahrhundert sind deutsche Osterlieder,
Pfingstlieder, Wallfahrts-, Schlacht- und Schifferlieder nicht mehr
selten. Von einem deutschen Weihnachtslied erfahren wir noch
nichts. Seitdem zehnten Jahrhundert waren in verschiedenen Kirchen
Deutschlands lateinische Gesänge, die sogenannten Prosen und
Sequenzen üblich, aber erst im dreizehnten wurden sie allgemeiner.
Im fünfzehnten waren es schon über hundert verschiedene und zu
Anfang des sechzehnten nahezu vierhundert. Nur ganz langsam
wurden diese Lieder übersetzt, schwerlich vor dem Anfang des
fünfzehnten Jahrhunderts. Aus In hoc anni circulo wurde:
In des jares zirclikeit
wart leben geborn der werlte breit,
das geit uns alle seligkeit
und auch die Maid:,: Maria.
Hatte noch das vierzehnte Jahrhundert Lieder geschaffen wie:
Dies est laetitiae und: Quem pastores laudavere, so übertrug
sie das fünfzehnte in:
Der tag der ist so freudenreich
und:
Den die Hirten lobten sere.
Erst im vierzehnten Jahrhundert gedieh die Teilnahme der
Gemeinde an der Jesusgeburtsfeier so weit, daß selbständige
deutsche Weihnachtslieder entstehen konnten. Aus dem Anfang
des fünfzehnten Jahrhunderts stammt die Strophe:
Der himmelkönig ist geborn von einer mait,
als uns der prophete warheit sait;
bis gelobet, werder Christ,
daz du durch unser not
bist gestorben tot.
Nur ganz langsam wird das lateinische Kirchenlied durch das
volksmäßig deutsche ersetzt, und auch dieses zeigt im Anfang noch
gelehrte Spuren. Noch aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammt
ein episches Weihnachtslied, das die Geburt, die Reisen der heiligen
drei Könige, die Verfolgung durch Herodes und den Tod von
Jesus kurz berichtet. Die erste und letzte der sieben Strophen
lauten:
Ein kindlein ist geboren
von einer reinen mait,
got hat ims auserkoren
in hoher wirdigkeit,
ein sun wart uns gegeben
zu trost ân alles mail,
das sult ir merken eben,
er bracht uns alles heil . . . . .
Altissimus will kosen
mit menschlicher natur,
wie wol tet das der rosen,
sie sach in der figur
die gotheit unverborgen,
Joseph ir schone pflag,
an einem weihnachtsmorgen
Christ bei der keuschen lag.
Weit volksmäßiger ist dagegen die Form des Liedes aus dem
sechzehnten Jahrhundert:
Gelobet seistu, Jesu Christ,
dass du mensch geboren bist
von einer jungfraun, das ist war,
des freut sich aller engel schar
Kyrieleison.
Auf einer mißverstandenen Prophetenstelle baute sich der
Glaube auf, daß Tiere den neugeborenen Gott verehrt hätten.
Ochs und Esel sollten vor der Krippe nach der Sage ihre Kniee
gebeugt haben. Schon das ausgehende vierte Jahrhundert brachte
die Tiere neben der Krippe ebenfalls zur Darstellung und erweiterte
so das Ganze zu einer kleinen Scene. Wieder spätere
Zeit stellte noch die Figuren von Joseph und Maria daneben,
zunächst ebenfalls als Puppen. Als Hintergrund schloß die Scene
ein Seitenaltar ab, vor dem sie meist aufgestellt wurde. Schon
im frühen Mittelalter muß dieser Brauch nach Deutschland gekommen
sein. Allweihnachtlich schmückte Priestershand die Krippe
und kleidete die Puppen Maria und Joseph an, um dem Volke
die Bedeutung recht nahezulegen, welche diese Geburt im Stalle
nach ihrer Ueberzeugung für die gesamte Menschheitsentwickelung
hatte. Die eigentümliche Scene, deren Abbild jeder im
Leben reichlich zu beobachten, zu erleben Gelegenheit hatte, mit
all den Gefühlen und Stimmungen, die sich daran knüpften,
allein konnte befruchtend auf die Volksphantasie wirken. Aber
dies dauerte Jahrhunderte. Die volkstümliche Religionsübung
wurde unterdrückt, und an einer fremden sollte man teilnehmen;
an einer fremden, die man nicht verstand, und bei der Priestergesänge
in lateinischer Zunge erklangen. Stand die Priesterschaft
seit dem Investiturstreit des elften Jahrhunderts auch auf
seiten der deutschen Könige gegen die römische Zentralstelle der
christlichen Religion, so hielt sie doch noch dreihundert Jahre an
ihren lateinischen Formeln fest, widersetzte sich jeder Vervolkstümlichung
derselben, auch wo sie die Fähigkeit dazu gehabt hätte,
und verschloß sich damit selbst den Weg, das Christentum zur
deutschen Volksreligion zu machen. Trotzdem beherrschte es äußerlich
vollkommen das Feld und ließ einen Zweifel an der Wahrheit
seiner Lehren nicht aufkommen.
Die ungeheure Ehrfurcht des Volkes vor allem Geschriebenen,
die ihm planmäßig anerzogen und sorgsam unterhalten wurde,
half auch da noch weiter, wo persönliches Ansehen sich nicht mehr
Glauben verschaffen konnte. Was in einem Buche steht, muß
unbedingt wahr sein, diese Anschauung ist die festeste Stütze des
Glaubens an die Geschichtlichkeit der christlichen Sagenzüge, und
die Priester des Mittelalters, denen die einfache Lektüre eines
Buches zum allergrößten Teile selbst eine unendlich geistige Anstrengung
war, haben diesen Glauben weidlich zur Stärkung ihrer
Autorität benutzt. Was in Büchern stand, mußte wahr sein;
jede abweichende Meinung war ein sittliches Vergehen. Den
Begriff des intellektuellen Irrtums kannte das Mittelalter nicht.
Ueber eine Sache konnte es nur eine Meinung geben, alles andre
war falsch, war Ketzerei. Wer anders dachte als die Kirche, bei
dem konnte nur böser Wille, absichtliches Sichauflehnen gegen
die heilige Wahrheit des Gottes der Grund sein.
In das vierzehnte Jahrhundert fallen Pest- und Hungersnöte,
die als Strafen des christlichen Gottes gefaßt, wesentlich
dazu beitrugen, das Volk zur Einbildung seiner Sündhaftigkeit
zu bringen und dem religiösen Leben der Zeit etwas tief Erregtes
geben. Das Volk schrie nach dem von den Priestern so viel gerühmten
Trost der Religion und riß ihren Gehalt gewaltsam an
sich. Dieser heftige Inbrunstanfall überwand auch das Hindernis
der lateinischen Sprache und brachte die heimische Zunge zu ihrem
Rechte. Damit war einem breiten Strome von Volkstümlichkeit
der Weg in die Litteratur geöffnet. Was bisher künstlich und
ängstlich von der Litteratur ferngehalten worden war, obwohl es
den Kern des Volkstums darstellte, rang sich jetzt durch und nahm
für sich das Recht in Anspruch, auch litterarisch ausgesprochen zu
werden. Die ganze gesunde Derbheit und Unmittelbarkeit, welche
mit der Spätzeit des vierzehnten Jahrhunderts in die Litteratur
eintritt und das ganze folgende Jahrhundert beherrscht, um erst
im sechzehnten langsam durch gelehrte Elemente verdrängt zu
werden, war vorher im Volke natürlich stets vorhanden gewesen.
Eine künstlich aufgepfropfte und fortwährend mit fremdem Safte
genährte fremde Bildung in den numerisch sehr beschränkten Schichten
der sozial besser Gestellten hatte bis dahin in der Litteratur allein
das Feld behauptet und sich für den wahren Ausfluß deutscher
Nationalität ausgegeben.
Jetzt begann auch ein gewisses Interesse an den Kultusformen
aufzukommen, das man bis dahin vergeblich gesucht hätte. Man
fing an, das, was die Kirche ihren Besuchern vorführte, wirklich
zu betrachten. Eine gewisse Freude an den kirchlichen Schaustellungen
erwachte. Damit brach auch die Bannkette, die priesterliches
Selbstbewußtsein um die Darstellung der Geburtssage gezogen
hatte.
An Stelle der stummen, steifen Puppen traten Priester, die
sich als Maria und Joseph verkleideten und an der Krippe einen
lateinischen Wechselgesang sangen. Wie sich einst die heimischen
Religionsübungen vielfach in kleinen dramatischen Scenen abgespielt
hatten, so näherte sich jetzt der christliche Kirchendienst der
Jesusgeburtsfeier ebenfalls dieser Form. Er nahm somit die
einst durch die Einführung des Christentums unterbrochene Entwickelungskette
dramatischer Kunst wieder auf.
Der wichtigste Schritt in der Geschichte dieser Feier ist aber
ihre Verdeutschung in Ausstattung und in Sprache. Ein Kind
gehört in Deutschland nicht in eine Krippe, sondern in eine Wiege.
Erst die Einführung dieser bringt das Bild der deutschen Volksanschauung
nahe. Mochte in den heiligen Büchern der Kirche
noch so klar stehen, der neugeborene Gott sei in eine Krippe gelegt worden,
das Volk konnte ihn sich nur in einer Wiege denken.
Dieser Schritt fällt vermutlich in den Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts. Ein Stück Doktrinarismus war der Lebendigkeit
zum Opfer gefallen, und nachdem einmal die Wiege in die Darstellung
eingefügt war, wuchs das Leben in ihr. Ein Tritt auf
die Kufen setzte die Wiege in Schwung; sie bewegte sich. War
einmal die Anschauung deutsch geworden, so folgten die Worte
nach. Der Mönch von Salzburg fand den Liedesausdruck für
diese Scene, und bald singen die beiden Eltern:
Joseph, lieber neve mîn
Hilf mir wiegen daz kindelîn.
und:
Gerne, liebe muome min,
Hilf ich dir wiegen dîn kindelîn.
Der Deutsche war nicht geschaffen, in schweigender Verehrung
sich Religionsübungen vorführen zu lassen. Er wollte teilnehmen
am kirchlichen Brauch, wie seine Ahnen es gewohnt gewesen waren,
er wollte mit handeln, mit Hand anlegen. Sang einmal der
Priester deutsch, so sang die Menge mit. Zum Gesang gehörte
Tanz; daß man an der Kultusstätte tanzen müsse, war ganz selbstverständlich;
so war man es von jeher gewohnt. Die Hände
schlossen sich zusammen und in fröhlichem Kreistanz brauste die
Menge um das wundersame Schauspiel, das statt durch verstandesmäßige
Ueberlegung durch seine schlichte Alltäglichkeit zu dem
Gemüt sprach und Gefühle reiner hervortreten ließ, die sonst in
der Arbeit des gewöhnlichen Lebens immer wie von einer Staubkruste
überdeckt blieben. So wurden diese Darstellungen seit dem
vierzehnten Jahrhundert das wichtigste Mittel, die Menge endlich
in die christliche Anschauungswelt einzuführen, oder ihr wenigstens
eine Art Begriff von ihr zu geben. Mit reißender Schnelligkeit
verbreitete sich der Sang. Am Ende des vierzehnten Jahrhunderts
war er so gut wie in allen Kirchen Deutschlands üblich.
Ein andres Wiegenlied, in dem sich das Wort Sausa, ninne
aus der Kosesprache der Kinderstube wiederfindet, lautet:
Sausa ninne, gottes minne,
nu sweig und ru!
wen du wilt, so wellen wir deinen willen tun,
hochgelobter edler furst, nu schweig und wein auch nicht,
tûste das, so wiß wir, daß uns wol geschicht.
Das Tanzen allein genügt den Zuschauern nicht mehr, sie
wollen selbst mitwiegen, jeder will die Wiege einmal angefaßt
haben, jeder ihr einen Schwung geben. Schließlich wiegen die
Zuschauer allein, und damit ist der Akt zur volksmäßigen Religionsübung
geworden.
Eine Schilderung aus dem fünfzehnten Jahrhundert erzählt
von dieser Jesusgeburtsfestfeier: Zu den weihnachten der froeleich
ympus A solis ortus cardine, Und so man daz kindel
wigt über das Resonet in laudibus, hebt unser vrau an ze
singen in ainer person: Joseph, lieber neve mein; so antwurt
in der andern person Joseph: geren, liebe mueme mein.
Darnach singet der kor die andern vers in einer diener weis,
darnach den kor.
Durch weitestes Entgegenkommen auf den Boden des Alltagslebens,
durch Weckung des Elterngefühls in denen, die dem
Namen nach längst Christen hießen, war es der Kirche endlich
gelungen, Wiederhall in dem Bewußtsein ihrer „Gläubigen" zu
wecken. Die spontane Beteiligung der Gemeinde an den kirchlichen
Bräuchen und Uebungen erst beweist ihr wirkliches Christentum.
Bis dahin war die neue Religion Fremdreligion gewesen,
jetzt trat sie zuerst in Fühlung mit dem wirklich deutschen Volkstum,
ja beeinflußte es sogar. Ohne dieses Entgegenkommen wäre
das Christentum niemals Volksreligion geworden, was es immerhin
für drei Jahrhunderte, etwa von 1400 bis 1700, für Deutschland
gewesen ist. Bis 1400 dauerte seine Vervolkstümlichung.
Seit 1650 begann die Entfremdung, nicht zum wenigsten als
unmittelbare Folge des Eiferns von Priesterschaft und Staatsgewalt
gegen volkstümliche Bräuche, welche dem durch griechisch
- römische Bildung umgemodelten Geschmacke der Gebildeten nicht
mehr entsprachen. In dem Umspringen und Umjubeln der Wiege
empfand man die Religion vom Kreuze, so sehr sie in ihrem
innersten Wesen der deutschen Volksart und Volksgesundheit auch
widersprechen mochte, nicht mehr als etwas Fremdes. Darin
war sie heimisch geworden: aber darin hatte sie auch ihren innersten
Kern aufgegeben. Die Vorbereitung auf ein Leben nach
dem Tode, die ihr A und ihr Z war, war in den Hintergrund
getreten. Es war nicht die Freude über die verheißene „Erlösung",
die sich im Krippentanze aussprach; denn der Deutsche
hat niemals gelernt, sich als völlig sündhaft, als verworfen zu
fühlen: es war die Freude über die einfache Thatsache, daß ein
Mensch, ein besondrer Mensch unter eigentümlichen Verhältnissen
zur Welt geboren war. Wir vermögen uns heute in jene seltsame
Anschauung nicht mehr hineinzudenken, die noch nichts von
Entwickelung wußte und alle Eindrücke unbewußterweise nebeneinander
ordnete. Aber das Mittelalter bewies in dem Kindelwiegen
„doch recht deutschanmutige und herzliebe Kinderweise".
Das Christkind war das „Universalbrüderchen sämtlicher Erdenkinder"
und diese thaten nun auch danach, sie schläferten es ein,
sie liebkosten und wiegten es, sie tanzten ihm vor und sprangen
um es in dulci iubilo herum.
Keine zweihundert Jahre später hat die christliche Kirche, die
katholische wie die unterdessen entstandene protestantische, ihre
Zugeständnisse an die deutsche Volksart wieder zurückgenommen,
damit aber doch nur den Bruch mit dem Volkstum erreicht. Das
Volk hat ihr ebenfalls zurückgegeben, was es ehedem mit
jenem Zugeständnis erhalten hatte. Mit der Mitte des siebzehnten
Jahrhunderts beginnt in Deutschland bereits der Auflösungsprozeß
der christlichen Weltanschauung.
Der übliche Ausdruck für das Aufstellen der Krippe und
der heiligen Personen war „exhibieren". Es war unnötig, hinzu
zufügen, was exhibiert wurde. Jedermann wußte es. Der
Brauch haftete an der Abendmesse am Christabend und am Nachtgottesdienst
noch das ganze sechzehnte Jahrhundert hindurch.
Hof kannte folgenden Brauch: „Am heil. Christtage zur Vesper,
da man nach alter Gewohnheit das Kindlein Jesus wiegte, wie
man's nennte, schlug der Organist das: Resonet in laudibus,
in dulci iubilo, Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wiegen
das Kindlein ein, u. s. w., welches der Chor sang, und schickten
sich solche Gesänge wegen ihrer Proportion fast gar zum Tanze.
Da pflegten denn die Knaben und Mägdlein in der Kirche aufzuziehen
und um den Altar zu tanzen, welches auch wohl alte
Lappen thäten, sich der fröhlichen, freudenreichen Geburt äußerlicherweise
dadurch zu erfreuen und derselben sich zu erinnern,
welches man damals den Pomwitzel-Tanz zu nennen pflegte."
In Niederbayern herrschte der gleiche Brauch.
Immer mehr Elemente wuchsen an die Krippe an. Alles,
was das kirchliche Jesusgeburtsspiel darstellte, wurde in ihren
Kreis gezogen, Scenerie wurde aufgebaut und zahlreiche Zuschauer beteiligten sich an der Schaustellung. Es waren lebende
Bilder, welche an den Hauptmomenten in bewegte Scenen übergingen.
„Erstlich wird am heiligen Christtage an etlichen Oertern
exhibiert, beide in der heiligen Nacht und des Abends zum
Vesperlobe; dadurch angezeigt wird die selige Geburt unsers
Seligmachers Christi, als mit der Repräsentation des Städtlein
Bethlehem, der Engel, Hirten, den drei Königen, da auch die
Knäblein im Gesange resonet in öffentlicher Sammlung auf- und
niederspringen und mit den Händen zusammenschlagen, die große
Freude anzuzeigen, welche alles Volk von dieser Geburt hat und
haben soll." Wie alle wirklichen Volksfeste vollzog sich auch die
Weihnachtsfeier in lauten Formen, so lange sie wirklich volkstümlich
war. In der Frühzeit des sechzehnten Jahrhunderts
feierte man in Stralsund nach einem wohl ziemlich stark übertriebenen
protestantischen Tendenzberichte die katholische Weihnacht
folgendermaßen: Aller Art suchte sich das Volk in der Kirche zu
belustigen. Jungen saßen in Frauenkleidern in den Frauenstühlen.
„Andere hatten sich wie Hirten gekleidet und führten an Stricken
allerlei Tiere, einen Hund, Schafe, Ziegenböcke. Mit diesen
,Bestien' liefen sie die Kirche auf und ab und schrien oder legten
sich ,hin zu fressen und zu saufen'. Andere führten mit Erbsen
gefüllte Schweineblasen mit sich. Diese zersprengten sie auf den
Leichensteinen, daß es wie ein Schuß aus einem Feuerrohr
knallte. Dazu wurde von allen getanzt, gesprungen und gelärmt.
Wer am besten tobte, gefiel am besten. Durch solchen ,Spalk'
sollte die Verkündigung der Geburt Christi durch die Engel und
die Freude der Hirten dargestellt werden."
In Crimmitschau in Sachsen wurde die kirchliche Weihnachtssage
dem Volke dadurch nahe gebracht, daß vom Dach der Kirche
an einem Strick ein Knabe heruntergelassen wurde, der als Engel
gekleidet war, ein Kreuz trug und dazu das Lied sang: „Vom
Himmel hoch, da komm' ich her." Erst als der Strick einmal
riß und der Knabe zerschmetterte, wurde der Brauch eingestellt.
Als sich im sechzehnten Jahrhundert das alte Kinderfest vom
Martins- und Nikolaustage auf Weihnachten verschob, traten bei
den kirchlichen Tänzen vielfach Kinder an Stelle der Erwachsenen,
jedoch nur stellenweise. Daneben versuchte man die Verehrung
des neugeborenen Gottes von der Krippe oder Wiege loszulösen.
Seit dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts lag das Kind
Jesus vielfach nicht mehr in einer Wiege. Die Würde, zu
welcher die Persönlichkeit des Religionsstifters nach und nach
emporstieg, vertrug sich nicht mehr damit. In Gestalt einer
Puppe wurde es auf den Altar gestellt und dort umtanzt. Es
war dies zugleich ein kirchlicher Schachzug zur Ausrottung des
Wiegens. Um 1520 tanzten am Weihnachtstage in Franken vor
einer Puppe auf dem Altar Jünglinge und Mädchen, die Alten
sangen dazu. In der Mitte des Jahrhunderts tanzten ebenso
die Knaben in Köln.
Diese Tänze erstreckten sich über ein weites Gebiet. Ein
Schriftsteller aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts erzählt
von den Franken: „Mit welcher Freude nicht bloß die Geistlichkeit,
sondern auch das Volk den Geburtstag Jesu Christi in den
Kirchen begehe, kann daraus geschlossen werden, daß Knaben und
Mädchen um eine kleine Puppe, die auf den Altar gestellt ist
und den Neugebornen darstellt, jubelnde Tänze aufführen und
die Alten dazu nicht viel anders singen, als einst in der Höhle
des Berges Ida die Korybanten um den schreienden Jupiter getobt
haben sollen."
In dem früheren Cyriacshospital zu Halle, in der Vorstadt
Glaucha, stand auf dem Tisch des Zimmers, in welchem die
Hospitaljungfrauen abends zusammensaßen, ein etwa dreiviertel
Ellen hohes Jesuskind. Es war aus Holz geschnitzt, bunt lackiert
und trug ein weißes Hemdchen. Alljährlich mußten es die
Hospitaljungfern am Weihnachtsabend abwaschen, ebenso das
Hemdchen, dann es trocknen, sauber glätten und dem Bilde wieder
anlegen. Und wenn sie dies nicht sorgfältig genug verrichteten,
so erhob sich in der folgenden Nacht ein so heftiges Poltern im
Hause, daß es niemand aushalten konnte, und das kehrte allnächtlich
wieder, bis der Fehler gut gemacht war.
Im achtzehnten Jahrhundert war es in Zwickau in Sachsen
und noch später in Kirchberg Sitte, in der Christmetten ein aus
Holz geschnitztes Kind, dem man ein weißes Kleidchen anzog, in
der Kirche aufzustellen. Dieses sogenannte „Bornkinnel" bezeichnete
den eigentlichen Mittelpunkt des Festes.
In der Pfarrkirche zu St. Peter am Windberge im Mühlkreis
in Oberösterreich wurde noch 1883 während des Gottesdienstes
in der heiligen Nacht ein holzgeschnitztes, lebensgroßes
Jesuskind in einem zierlichen Korbe den Anwesenden dargereicht:
dasselbe ging von Hand zu Hand, jeder küßte es andächtig und
bot es zu gleicher Verehrung dem Nachbar. In Augsburg nahmen
die Bürgerfrauen Christkindpuppen mit zur Krippe am heiligen
Morgen und wiegten solche in den Armen. Eine Frau kam
einst zu spät, alles war voll in der Kirche. Aergerlich ging sie
fort und sagte zu der Puppe: Komm, lieb's Jeseskindle, laßt
dir d'Weberslolla uff d'Kirwe komma! Das war neben Lorchen
(Studenten) der Weber Spitzname.
Die eigentliche Krippenfeier dagegen wanderte in der Reformationszeit
zum Teil aus der Kirche fort in die Privathäuser
und blieb dort im Gange. Johann Matthesius verfaßte Wiegenlieder
„nicht in der Kirchen, sondern zu Hause zu singen." Die
bildliche Gruppe der Maria mit ihrem göttlichen Sohne beschäftigte
die Volksphantasie auch weiterhin. Eine eigentümliche
Weihnachtssage berichtet darüber Johannes Pauli in Schimpft
und Ernst: „WJr lesen in. der history Hunorum, das in der
Weihennacht in Barbara ruscia ist ein vngewitter kummen, das
es dunert und haglet, in demselben hagel ist ein iunck frawenbild
mit einem kneblin, das hat ein kron uff seinem haupt, von
dem himel herabgefallen, vnd haben nit künnen vrteilen was es
für materi wer, dan ein ylfchmar. Sie haben es in ein feüer
gesetzt es iz nit verbrent noch verschmoltzen; sie haben es auf ein
sül gesetzt in den wald zu andern bilden, die sie für got erten,
das bild ist da gestanden, biß d'her Jesus an dem crütz gestarb
vnd Maria, durch ir mitleiden ist das bild zerflosen mit dem
Kind."
Noch gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts hielten auch
die Protestanten das Kindelwiegen in Ehren. Sein Begriff verband
sich so eng mit dem des Weihnachtsfestes, daß man Weihnachten
geradezu von Wiegen und Nacht ableitete. Mit Beginn
des siebzehnten begann jedoch der Kampf dagegen, der mit allen
Waffen, vom Donnern und Wettern bis zu Spott und Hohn
geführt wurde. Die Entrüstung über „kirchliche Mißbräuche"
durfte sich frei aussprechen, ohne daß es diesen „Mißbräuchen"
Eintrag that. Erst als seit dem achtzehnten Jahrhundert Kirchenglaube
und Brauch sichtlich niederzugehen begann, wurde man
so empfindlich, daß man das Staatsgesetz zu Hilfe rief.
In einem Traktätchen sagt 1608 Martin Hommer: „Im
Papstthum meinet man, man habe dem Christkindlein wohl hofiert
und seine Fröhlichkeit zur Genüge sehen lassen, wenn man eine
Wiege mit einem hölzern geschnitzten Kind auf den Altar setzet
und hernach Jung und Alt als lebendige Götzen sich herumsetzen,
das Christkindlein wiegen und den Götzen ansingen. Hiemit,
meinen sie, haben sie es wohl getroffen und mit ihrem kindischen
Susaninne den rechten süßen Ton gesungen, aber es ist Tockenwerk
und Kinderspiel, ja im rechten Grund Götzen und Narrenwerk."
Aber es dauerte doch geraume Zeit, bis man das Kindelwiegen
in der Kirche als etwas Kindisches betrachten lernte und
aufgab.
„Die Papisten haben aus dem Weinächtlichen Feste, ein
schön Lügen Lied gelernet", sagt Prätorius 1663 in seinen
Saturnalien: „So meinen die Narren zwar, und singen dannenher
immer getrost bey den Boyen drauff loß:
Ich wolte mich zur lieben Maria vermiethen,
Ich solte ihr Kindelein helffen wiegen.
Sie führet mich in ihr Kämmerlein,
Da wahren die lieben Engelein;
Die sangen alle: G1oria, Gloria, Gloria,
Gelobet sey Maria!
An einer andern Stelle teilt er einige lateinische Verse mit,
in denen die Kuh in der Nacht rief Puer natus. Da man aber
einem nicht glaubt, bestätigt der Esel mit einem Ita die Geburt.
Laut schreiend erkundigt sich der Hahn nach dem Ubi?, und das
Schaf blökt als Antwort In Betlem, in Betlem. Diese
Distichen verdanken ihren Ursprung sicher einer Aufführung.
Ein Jahrhundert später ist uns eine solche sicher bezeugt von
keinem geringeren als Voltaire. Ein Jüngling mit Flügeln
trug als Engel das Ave Maria vor. Ein Mädchen, das Maria
spielte, antwortete Fiat, und der Engel küßte sie auf den Mund.
In einem großen Papphahn versteckt krähte ein Knabe Puer
natus est nobis. Ein Ochse brüllte Ubi? ein Lamm blökte
Bethlehem, ein Esel iate: Hihamus statt Eamus, und die
Prozession begann, angeführt von vier Narren.
Ein Seitenstück aus Oberösterreich ist folgendes: Der Hahn
ruft: Christ ist geboren. - Der Tauber: Wo? Wo? - Die
Schafe: Z'Bethlehem. - Der Gaisbock: Mecht hingehn. - Der
Esel: I a.
Auch in Zürich war um 1600 das Aufstellen einer Krippe
mit dem Kinde Jesus zur Weihnachtszeit üblich. Auf dieses
nahm man sogar allerhand zarte Rücksicht. Die Chorherren
hielten von Weihnacht bis Lichtmeß keine Prozession, damit es
nicht durch - Anschauen des Kreuzes erschreckt werde.
Schon die Reformation wendete sich gegen die Art der
katholisch volkstümlichen Festfeier. Nach Luthers Worten „soll
man halten den Christtag, Beschneidung, Epiphaniä, Osterfeier,
Auffahrt, Pfingsten; doch abgethan, was unchristliche Legenden
oder Gesänge darin gefunden werden." Die Weihnachtsfeier war
in der Bibel selbst nirgends geboten, und der Geburtstag von
Jesus nirgends angegeben.
Der Protestantismus des siebzehnten Jahrhunderts beschäftigte
sich mehrfach mit Weihnachten. 1643 fand eine Versammlung
Londoner Geistlicher statt, bei der der Theolog Lightfoot
anwesend war. Dort wurde gestritten, ob sie am nächsten Weihnachtsfest
predigen oder es ganz vorüber gehen lassen sollten. Es
gelang Lightfoots Vorstellungen, die Versammlung von solchen
Beschlüssen abzuhalten; nur einige ließen sich nicht überreden.
Die Synode zu Dortrecht 1618 hatte sich ebenfalls gegen die
Feier erklärt. In Genf war es eine Zeitlang verboten, und um
die Heiligkeit des Festes wurde von Puritanern und Episkopalen,
von Lutheranern und Sektierern lange gestritten. In einer
Schrift von Calderwood, die 1623 erschien, verwirft der Puritaner
alle Feste, namentlich will er den 25. Dezember als ein
solches nicht anerkennen. Sie wurde 1700 von neuem abgedruckt.
Auf katholischem Boden blühte indessen die alte Wiegenfeier
fröhlich weiter. 1654 wurde in Ischl ein Wiegenlied niedergeschrieben,
in das eine Art Wiegeordnung eingeschoben ist. Die
Kinder werden zum Wiegen aufgefordert. Vier verschiedene
wiegen nacheinander, dann knieen alle nieder. Frühestens der
Spätzeit des siebzehnten Jahrhunderts gehört das katholische
Lied an: O Jesule, pupule parvule, mit seinen süßlichen Versen:
O Jesulein, Püppchen, du kleines,
Willst, daß wir küssen dich?
Willst, Lämmchen, du feines,
Ein Zuckerbrötchen, sprich?
Willst Milch du, würziglich.
Kindlein, du meines? . . . . . .
Christkind, du holde Narzisse,
Willst weichen Kuchen du,
So süß wie Nüsse?
Willst Honigseim dazu,
Willst Zuckerschäfchen du,
Mein Jesulein? . . . . . .
Christkind, du Knabe, du reiner.
Willst weiche Aepfelein?
Willst, lieber Kleiner,
Du süße Birnelein?
Erdbeeren wunderfein,
Mein Jesulein? . . . . . .
Schlaf lind, mein Jesulein,
Mein Augenstern!
Kehr in mein Herze ein,
Das wiegt dich gern.
Die Abschaffung des volkstümlichen Brauches war nicht so
leicht. Noch im siebzehnten Jahrhundert hielten protestantische
Gegenden daran fest. Die Sage klammerte sich an ihn und deckte
ihn mit ihrer Autorität.
Eine schleswig-holsteinische Sage erzählt von dem Kindelwiegen
„um die Reformationszeit" und dessen Abschaffung. Im
Kloster zu Preetz hatten die Nonnen jede Weihnacht das Kindlein
gewiegt. In der Reformationszeit wollte man den Brauch abschaffen.
Da hörte ein Fräulein nachts zur bestimmten Zeit die
Orgel dennoch ertönen; sie stand auf, ging mit ihrer Jungfer in
die Kirche und trat in ihren Stuhl. Da kam eine weißgekleidete
Klosterfrau auf sie zu und bat sie, hinzugehen und die andern
zu erinnern, Weihnachtsabend zu halten. Geschähe das nicht, so
würden sie, die Toten, ihn halten. Das Fräulein gehorchte. Als
aber die andern nun zur Kirche gingen, vermochte sie ihnen nicht
zu folgen, und in drei Tagen war sie tot.
Katholische Gegenden behielten die Sitte dauernd bei.
Im „Jahr einmal" wird der Besuch der Krippe in Augsburg
um die Weihnachtszeit noch um 1750 erwähnt:
„Um diese Zeit ist der Gebrauch,
Daß man besuch die Kripplein auch,
Da kann man Wiegenliedlein hören,
Geschiehts Jahr einmal: wer wollt es wehren?
Noch um 1830 wurde am heiligen Abend um zwölf Uhr
auf dem Turme der Hauptkirche zu Tübingen in einer kleinen,
mit Lichtern umstellten Wiege eine Puppe, das Bild des Jesuskindes,
gewiegt, während Musik den Choral „Ehre sei Gott in
der Höhe!" blies. Das unten zusehende Volk sang darauf ein
wirkliches Wiegenlied. In Schwaben hat sich das „Kinderwiegen"
zu Weihnachten noch bis ins neunzehnte Jahrhundert herein
vererbt.
In protestantischen Gegenden hingegen verlor sich im Laufe
des siebzehnten Jahrhunderts unter dem Einfluß der griechisch
-römischen Bildung und ihrer neuen Anschauungen, welche die
Phantasie in andrer Richtung befruchteten, das Wohlgefallen an
dem alten Brauche, ja überhaupt das Verständnis dafür. Der
Protestantismus, der alles Sinnfällige beseitigte und durch abgezogene
Vorstellungen ersetzte, konnte sich auf die Dauer mit
so naivem Herkommen nicht vertragen. Er blieb wacker bei der
Arbeit, der handgreiflichen Versinnbildlichung und damit jedem
Dogmenglauben das Grab zu graben.
Der Leipziger Privatlehrer, M. Gotthilf Anton Eberhard,
konnte 1799 sagen: „Das Kriplein, die Windlein Jesu, sind gar
nicht die Hauptsache, und man würde sich den Zuhörern gewiß
schlecht empfehlen, wenn man sie in unseren Tagen noch mit
diesen und ähnlichen Dingen unterhalten wollte, indem sich der
Geschmack daran beinahe ganz verloren hat."
Durch die verschiedensten kirchlichen Feiern suchte der Protestantismus
dem Volke die Wiegenfeier zu ersetzen. Eine hübsche
Schilderung des kirchlichen Weihnachten und der Beteiligung der
Jugend an ihm gibt uns Georg Buchmann in seinen „Annales
oder Geschichtsbuch und die Chronica der Stadt Züllich", die
1665 in Küstrin erschienen. Er erzählt von der Zeit, da er
noch Schüler war. Er war 1598 in Züllich geboren. Das Geschilderte
ist also etwa um 1610—15 zu setzen.
„Wir armen Schüler waren wohl recht geplagte Märtyrer,
dennoch aber hatten wir in unserem Kreutze auch allerhand Ergetzlichkeiten,
die uns dann wieder aufmunterten und erfrischten.
Denn kurz vor Weihnachten freuten wir uns auf das Quem
pastores (das alte Weihnachtslied), und dasselbige beydes in der
Schulen mit Versuchen, als in der Kirchen in der Christnacht
würde gesungen werden. Und da wurden die Quem pastores
Bücher unter der Zeit mit allerhand Farben gemahlet, zugerichtet
und bereitet. Wenn der heilige Abend kam, waren wir bedacht
auf die Christfackeln, die wir bei dem Quem pastores gebrauchen
sollten. Und da war der Glöckner, der dieselben geschrenckt von
grün, roth und anderen färben Wachse machte und den Knaben
umb das Geld verkaufte .... Umb neun Uhr des Abends ward zur
Christ Nacht eingeläutet. Da alsdenn alle Tore eröffnet worden,
und kam eine grosse Menge Volckes zur Kirchen. Und da wurden
den Jungfrauen Christfackeln in ihren Gestühlen fürgestackt, von
allerhand Farben geschrenckt, von denen, die ihnen etwa günstig
waren, und ward vor eine große Ehre gehalten. Die Knaben
aber hatten ihre größte Freude, mit ihren Fackeln das Quem
pastores zu singen. Es wehrte aber dieser Gottesdienst drei
gantze Stunden mit Singen und Predigen biß umb zwölff Uhr
umb Mitternachts. Des Morgendes wie auch des heiligen Abend
zur Vesper und Christ Nacht, wenn die hohe Predigt anging, so
sang der Kantor aus der Schulen mit den Schülern in die Kirche
das Puer natus in Bethlehem, und andere Weihnachtsgesänge
und ging die gantze Kirche herumb mit den Knaben, wie in einer
Prozession und wieder zurücke in die Schule auff das Chor und
fing sich alsdenn erst der Gottesdienst an. Und wenn es in der
Kirchen ganz auß war und der Segen schon gesprochen worden,
ward es auch mit Singen auf solche Weise gehalten. Und das
wehrte alle drei Tage am Feste."
Um das Jahr 1700 war der Krippentanz aus den meisten
protestantischen Kirchen entfernt. Lutheraner und Calvinisten
betrachteten ihn jetzt als etwas ganz speziell Katholisches. Der
Abendgottesdienst am Christtag und die frühe Morgenfeier
am ersten Feiertag waren jedoch geblieben, obgleich sie durch jene
Abschaffung ihren Hauptinhalt verloren hatten. Allerhand Ausgelassenheit,
die früher feste Beziehungen auf das Fest gehabt
hatte, wurde damit frei, war aber nur dadurch aus der Kirche
zu verdrängen, daß man diese besonderen Gottesdienste überhaupt
aufhob, wo es nicht gelang, sie den neuentstandenen Anschauungen
von Anstand und kirchlicher Würde anzupassen. Und das scheint
nur an wenigen Orten gewesen zu sein.
Jahrhunderte lang war zu Weihnachten in den Kirchen gesungen
worden - meist wohl Volkslieder nach Volksmelodien.
Da begann man es anstößig zu finden, klagte zuerst darüber,
wetterte dann dagegen und verbot es endlich.
Die Christmetten am Morgen des ersten Feiertags waren
am Ende des vorigen Jahrhunderts schon nicht mehr ganz üblich.
Magister Eberhard berichtet 1799, daß sie an vielen Orten in der
Nacht gefeiert werden. Zu Mitternacht wurde der Gottesdienst
begonnen; „welches aber wegen denen allzuleicht dabey vorfallenden
Unordnungen, an den meisten Orten mit Recht abgeschafft ist".
Nicht überall war das jedoch möglich. Denn das Volk betrachtete
sie nicht als etwas der Kirche Gehöriges, sondern als sein Eigentum.
Heinrich Ludwig Fischer entwirft in seinem „Buch vom
Aberglauben" ein freundliches Bild von dieser kirchlichen Feier:
„Die sogenannten Frühmetten, welche aber zur Ehre des Christenthums
an den allermeisten Orten, theils schon abgeschafft sind, theils
noch abgeschafft werden, und die uranfänglich eine stille, feierliche
Vorbereitung auf das Fest seyn sollten, waren so ausgeartet, daß
sie zur höchsten Verunehrung Gottes und des Erlösers gereichten.
Wenn man in der Ferne einen vermischten wilden Schwarm sähe,
so wie etwa einen wilden Matrosenhaufen, der sich in einer
Brandweinsschenke berauscht hat, und man käme dann näher
hinzu, und sähe, daß der Ort des Greuels eine Kirche sey, wo
bey angezündetem Lichte ein Prediger auf der Kanzel stünde -
daß also Gottesdienst hier gehalten werde; so würde man freilich
erschrecken, und mit Erstaunen und Betrübnis fragen: Welche
heidnische Nation je sich so vergessen habe." An vielen Orten
waren darum die Frühmetten abgeschafft worden. Anderorts,
wie in Z., wollte man sich dieselbe durchaus nicht nehmen lassen.
„Der Gottesdienst begann Morgens um 4 Uhr: Die Kirche
war erleuchtet, es erschallten Music und lateinische Gesänge.
Das Fest lockte eine Menge Menschen aus den benachbarten
Bergstädten dahin, die sich mit Brandwein und Honigkuchen
reichlich zu versehen pflegten, um sich gegen die Kälte zu schützen,
und - das Christfest zu begehen. Die Kirche war gepfropft
voll und der Lerm so groß, als wenn alle Trommeln eines
Regiments auf einmal geschlagen würden. Der entsetzliche Dampf
von Brandtwein, Lichtern und Tobac erfüllte die Kirche und
erstickte fast den einzigen nüchternen Mann, den Prediger. Dieser
konnte wegen des erstaunlichen Getöses nicht reden, stand still,
und sahe von der Canzel herab den Unfug der Gemeinde.
Brennende Lichter, die das besoffene Volk von den Leuchtern
riß, flogen in der Kirche umher, bei einigen wirkte der im
äussersten Uibermaaß genossene Brandtwein und Honigkuchen von
oben und unten. Andre wälzten sich mit Weibspersonen in
öffentlicher Unzucht schamlos herum. So kann selbst die heiligste,
die beste Religion ausarten, wenn nicht die aufklärende, sittlichmachende
Vernunft ihr zur Seite bleibt." Es ist die Zeit
Lessings und Rousseaus, in der man mit der göttlichen Vernunft
die der Zeit fremd gewordenen kirchlichen Bräuche und Dogmen
mit neuem Leben zu durchdringen sucht.
Auch in dem katholischen Böhmen wanderten die Krippen,
als man die alte volksmäßige Religionsübung um sie in der
Kirche störend zu finden begann und sie sich mit dem neuerwachten
Begriff von der Würde des Kirchendienstes nicht zu vertragen
schienen, in die Privathäuser. Vielfach vereinigten sie sich nun
mit den beliebten Weihnachtsumzügen, über die noch zu sprechen
ist. Ein schwarz kostümierter Teufel begleitete von nun an die
Knaben, die mit der Krippe herumzogen, brummte und rasselte
mit der Kette.
In Polen führte um 1850 ebenfalls ein verkleideter Schuljunge
eine kleine Krippe herum, zeigte sie vor und sang dabei
zum Teil seltsame Lieder:
In Hofes Mitte steht ein Ahornbaum
Heilalujah!
Auf dem Ahorn goldner Blütenflaum
Heilalujah!
Paradiesvögel kommen hingeflogen,
Abbeutelnd goldnen Blütenflaum.
Ein schmuckes Mägdlein eilt herbei.
Aufbindend ihre weiße Schürze,
Und sammelt den goldnen Blütenflaum,
Und sprang damit zum Goldschmiedlein.
„Goldschmiedlein, Goldarbeiterlein,
Gieß mir daraus einen goldnen Becher!"
Und wer wird dir den Becher füllen?
„Herr Jesus selbst mit seinen Engeln,
Maria selbst mit ihren Jungfraun,
Schmuck Mägdelein mit seinen Rittern!"
Heilalujah!
In diese Krippenumführung drangen dann mehrfach Personen
aus den Jesusgeburtspielen und Paradeisspielen ein.
Noch 1846 war es in den Städten Masurens in „Preußisch
-Polen" Sitte, daß am Weihnachtsabend als Engel gekleidete
Kinder mit einer Wiege, worin das Christkind lag, herumgingen
und mit einem goldenen Sterne, der an einer langen Stange
befestigt war, von Thüre zu Thüre gehend ihren Weihnachtswunsch
singend darbrachten.
In Hamburg zogen vor 1865 Aufzüge zu Weihnachten umher,
mit Tannenzweigen geschmückt, Weihnachtslieder singend und
Gaben sammelnd. Voran schritt Klinggeest, ein weißes Engelchen
mit Glöcklein behangen: er trug auch wohl den großen Stern
der heiligen drei Könige. Ihm folgten Joseph, regelmäßig in
einem himmelblauen Talar mit gelben Unterkleidern, und Maria,
ganz hochrot gekleidet; sie zeigten das grünbekränzte Kripplein,
in dem Ochs und Esel nicht fehlen durften. So wanderten sie
von Haus zu Haus und wurden meist überall freundlich aufgenommen. -
Schon das „Exhibieren", von dem Witzel um 1550 berichtet,
enthält ein neues Moment. Unter den bemerkenswertesten Stücken
nennt er die „Repräsentation des Städtlein Bethlehem". Wie
die ganze Weihnachtssage mit den drei Königen, den Hirten und
Engeln in die Krippenfeier eindrang, sprengte sie zugleich deren
Rahmen. Eine Vorführung dieser Scenen bot schon das längst
aus den Hallen der Kirche ausgeschiedene Jesusgeburtspiel, und
theatralische Vorführungen gehörten nach der neuen Zeitanschauung
nicht mehr zu den Aufgaben der Kirche. Die Krippenfeier drohte
sich zu einem neuen kirchlichen Schauspiel zu entwickeln. Da
schnitt die Kirche diesen Entwickelungsfaden ab, indem sie die
Zuhörerschaft der Kirche aus der Teilnahme an der Krippenfeier
hinausdrängte. Zwischen dem Jesusgeburtspiel und der bildlichen
Darstellung, welche sich aus der Krippenfeier entwickelte,
bestand aber doch ein bedeutsamer Unterschied. Die neuaufkommenden Weihnachtspanoramen waren Puppenbühnenwerk. In
kleinen Dimensionen stellten sie Bethlehem, den Stall, das Haus
des Herodes dar, und auf dieser Scenerie bewegten sich seit dem
sechzehnten Jahrhundert die fußhohen Gestalten der Jesusgeburtssage.
Aus der Kirche hinausgewiesen, haben sich diese Schaustellungen
der volkstümlichen Religiosität in Privathäuser zurückgezogen. Obgleich
wirkliche Weihnachtspanoramen mit bewegten Figuren, verleugnen
sie jedoch ihren Ursprung nicht. Krippen und Krippenspiele
sind ihre volksmäßigen Namen. Die deutsche Puppenbühne
des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts fußt auf diesen
religiösen Puppenspielen. Erst seit dem Ende des sechzehnten
Jahrhunderts sind vorwiegend unter englischem Einfluß auch
andre Stoffe auf ihre dünnen Bretter gekommen.
Schon im sechzehnten Jahrhundert haben sich diese Weihnachtspanoramen
von der Krippenfeier losgelöst. Zuerst in der
Kirche aufgestellt, haben sie wie Jesusgeburtspiel und Krippenfeier
diese dann auch verlassen und haben ihr Leben in der Stille
der Privathäuser durch drei Jahrhunderte fortgeführt. Obwohl
auch in protestantischen Gegenden bezeugt, haben sie sich doch nur
in katholischen reicher entwickelt und zahlreicher erhalten. Aber
auch im katholischen Süden der deutschen Zunge ist der Brauch,
namentlich seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, stark
im Rückgang. Seit den dreißiger Jahren treibt ihn der Christbaum
immer weiter zurück. Die Weltanschauung, welche in der
Geburt im Stalle zu Bethlehem den Mittelpunkt der Menschheitsentwickelung
sieht, hat ausgelebt, und vor der fortschreitenden
Bildung der Zeit müssen die Reste dieser Auffassungsweise der
Geschichte notwendigerweise fallen. Die Kirchen haben selbst das
Verständnis dafür verloren, was volkstümliche Religiosität ist.
Ihre Träger wären die einzigen, welche Grund hätten, das Verschwinden
dieser Bethätigung des alten Glaubens zu betrauern.
Aber nach dreihundertjährigem Dasein als Volksreligion ist das
Christentum wieder zur Priesterreligion geworden, und hat es
werden müssen, da es sich nicht vom Deutschtum aufsaugen und
von den Bildungsmitteln der Zeit fortentwickeln ließ, sondern
die heimatlose, internationale Religion geblieben ist. Wo sich
Krippen und Krippenspiele heute noch finden, da sind sie die
Reste einer niedergegangenen Weltanschauung, Rudimente der
Vergangenheit, die sich aus den Städten längst aufs Land geflüchtet
haben und hier der verdienten Vergessenheit anheimfallen;
denn für die Gegenwart enthalten sie keine Bildungsmomente
mehr.
Auch in katholischen Gegenden haben heute wenig Priester
mehr Verständnis für die alte volkstümliche Religiosität, welche
die Kirche auf dem Höhepunkte ihrer Entwickelung im sechzehnten
Jahrhundert vertrat. Der Herausgeber der Krippenspiele aus
Oberösterreich und Tirol, der Augustiner Chorherr Pailler in
St. Peter am Windberge, ist durch seine Pflege dieser wirklichen
Religiosität mehrfach mit seinem Orden und der Staatsgewalt
in Konflikt geraten, und seine St. Peterer Weihnachtsspiele, deren
Erneuerung er versucht hat, liegen immer noch unherausgegeben
in dem Archivschrank seiner Pfarre. Die Kirchen, welche sich
vor der Macht der Wissenschaft in immer abstraktere Winkel
zurückziehen müssen, legen selbst mit die Hand an ihr Werk von
ehedem, weil sie fürchten, ihre Gegner möchten daraus Waffen
gegen sie schmieden.
Der Fall, daß sich heute noch solche Aufführungen finden,
ist als bloße Ausnahme von der Regel zu betrachten. Und zwar
sind Krippe und Jesusgeburtspiel wohl gleichweit zurückgewichen.
Noch 1861 wurde in Raschau im sächsischen Erzgebirge ein
solches Krippenspiel von einem Bergmann gespielt, und der Oberlehrer
Mosen, der darüber berichtet, hielt es für ein selbständig
auf die Puppenbühne übertragenes Dreikönigsspiel.
Auch sonst kannte noch 1861 das völlig protestantische sächsische
Erzgebirge die Krippen mit ihren in Holz geschnitzten Darstellungen
der Geburtssage von Jesus, auf dem Berge die Stadt Bethlehem,
vorn ein Stall mit offenen Wänden, in dem man neben Ochs
und Eselein das Christkind in der Krippe und Maria und Joseph
sah. Auf der andern Seite hüteten die Hirten ihre Schafe, über
ihnen schwebten Engel, welche die Geburt verkündeten. Im Hintergrunde
kamen auf einem Bergpfade die drei Weisen aus dem
Morgenlande auf Rossen und Kamelen, von Dienern begleitet,
heran und zogen dem Sterne zu, der über dem Stalle strahlte.
Ringsumher strahlten Lichter, und der Andrang zu solchen Schaustellungen
war sehr bedeutend.
In der Mitte unsres Jahrhunderts hatten die Krippen im
katholischen Süden Deutschlands noch eine ziemliche Verbreitung.
In München, Würzburg, Bamberg, Eichstädt, Salzburg fanden
sie sich. Oft sang man bei ihrer Betrachtung folgendes Lied, das
einen Teil seines Inhalts aus dem Jesusgeburtspiel entlehnt hat:
Inmitten der Nacht
Die Hirten erwacht,
In Lüften hörn klingen,
Das Gloria! singen
Die englische Schar – Schar
Daß Gott geboren, ist wahr,
Die Hirten im Feld
Verließen ihr Zelt,
Sie konnten kaum schnaufen
Vor Rennen, es laufen,
Der Hirt und der Bue - Bue
Dem Krippelein zu.
Ach Vater, schaut, schaut,
Was finden wir da!
Ein herziges Kindlein,
Auf schneeweißem Windlein
Dabei sind Zwei Tier' - zwei Tier'
Ochs, Esel allhier.
Dabei zeigt sich auch
Eine schöne Jungfrau,
Sie that sich bemühen
Beim Kindlein zu knieen,
Und betet es an - an!
Ei Brüder, schaut's an!
Ach daß Gott walt!
Wie ist es so kalt!
Möcht' einer erfrieren,
Das Leben verlieren.
Wie dauert mich das Kind - Kind.
Wie scharf geht der Wind.
Ach daß Gott erbarm',
Wie ist die Mutter so arm!
Sie hat kein Pfännlein,
Zu kochen dem Kindlein,
Kein Mehl und kein Schmalz - Schmalz,
Kein Milch und kein Salz.
Ihr Brüder, kommt h'raus,
Wir wollen nach Haus,
Kommt alle, wir wollen
Dem Kindlein was holen.
Kommt einer hieher,
So kommt er nicht leer.
In Niederösterreich waren schon 1859 die Weihnachtspanoramen
etwas gesunken. Ihre Besitzer zogen mit ihnen in den
Häusern herum. So in Mank als „Christschau". Am heiligen
Abend wird gespielt. Plötzlich wird heftig an der Hausglocke
gezogen. „Die Christschau" kommt. Zwei Kirchenbuben mit
langen, roten Kleidern und der Kirchendiener mit einem großen
Kasten, der auf eine erhöhte Unterlage gestellt wird. Eine liebliche
Gegend mit Hirten, Jägern, den drei Königen und im
Hintergrund der Stall, das ist das Bild, welches der Kasten
zeigt. Die Bauernknaben singen, Lichter in der Hand:
„Da Christ, da is kuma,
Hot Sinden uns g'numa,
Hot von Daif'l befraid
Dö Kinda und Lait!"
Der Kirchendiener erklärt das Bild, die Knaben singen wieder,
und eine Geldeinsammlung ist das Ende.
In dem völlig katholischen Tirol haftete noch 1863 der
Brauch des Krippenaufrichtens fest. Reinsberg Düringsfeld gibt
eine lebendige Schilderung des Brauches aus jener Zeit:
„Sobald der Sinte Klas umgeht und sich abends die Ketten
und Schellen des Klaubaufs hören lassen, werden die einzelnen
Gegenstände der Krippe zusammengesucht, die Figuren aus der
Dachkammer herabgeholt, alles Schadhafte ausgebessert, Verblaßtes
neu bemalt, und was da noch fehlt, geschnitzelt. Man
geht in den Wald, um Moos zu sammeln und Tannenzweige
mit Stechpalmen, in Südtirol großbeerige dunkle Epheuranken,
zu holen, mit denen man die Krippe schmückt, welche am Christabend
nach dem Abendessen ,aufgemacht' wird.
„In dunkler Grotte ruht das Kind, die Gottesmutter kniet
an seiner Seite, während Joseph am Eingang steht, und Hirten,
meist in Tiroler Tracht, knieen vor der Höhle oder auf der Mooswiese,
auf welcher Lämmchen grasen und Engel mit goldenen
Flügeln mit Hirten sprechen. Ein Hirt ist gewöhnlich dargestellt,
wie er sich den Schlaf aus den Augen reibt, und im Vordergrunde
befindet sich ein Brunnen, an welchem eine Kuh säuft.
Auf den Bergen, die sich über der Höhle erheben, liegen Häuser
und Burgen, weiden Herden, von Hirten gehütet, und schweifen
Jäger mit Stutzen, um Hasen und Gemsen zu schießen. Karrenzieher
fahren vom Berg herab, ein Fleischer führt ein Kalb daher,
eine Bäuerin bringt Eier und Butter, während ein Förster mit
einem Hasen niedersteigt, um ihn dem Kindlein zu bescheren.
„Vor einem Bauernhause wird Holz gehackt, in der Nähe
steht am Eingang einer Höhle eine Kapelle, vor der ein Waldbruder
kniet, während ein anderer Eremit einen steilen Steig
herab kömmt; Knappen arbeiten und ziehen schwerbeladene Karren
aus den Schachten, aus einer Höhle tritt ein Bär, und ein zerlumpter
Bettler hält dem Beschauer den leeren Hut hin.
„So bleibt die Krippe bis zum Sylvestertage, wo die Beschneidung
,aufgemacht’ wird, der am 5. Januar die heiligen drei
Könige folgen. Diese füllen mit ihrem glänzenden Gefolge aus
Edelknaben, Reitern und Dienern mit Pferden, Kamelen und
Elefanten den Platz vor der Krippe und sind des Pompes wegen
die Lieblingsvorstellung des Volkes."
Eine der schönsten Krippen sollte 1863 der Tiroler Wallfahrtsort
Absam besitzen, wo die Figuren sehr schön geschnitten
waren und die Gegend genau die von Bethlehem darstellte. Bei
der Krippe zu Axams waren damals die Figuren zwei Schuh
hoch, bei der zu Birgitz aber so reich bekleidet, daß der goldschwere
Mantel eines der drei Könige allein sechsunddreißig
Gulden kostete. Das großartigste Werk dieser Art soll jedoch
damals die Krippe des Bürgers Moser in Botzen gewesen sein,
welche zehntausend Gulden gekostet haben soll.
Besonders reich an diesen Panoramen aber ist Deutschösterreich.
Das oberösterreichische Krippel um die Mitte unsers Jahrhunderts
beschreibt der St. Florianer Chorherr und jetzige Pfarrer
von St. Peter in seinen „Weihnachtsliedern aus Oberösterreich".
„Ein kleines Haus barg den Schatz; wir traten durch die Hausflur
an die Schwelle des Heiligtums, erlegten unsere Kreuzer und
befanden uns im ,Krippel'. Der Thür gegenüber, die Wand
nach ganzer Breite und Höhe einnehmend, erhob sich ein zierlicher,
entzückender Bau. Derselbe war in drei Terrassen oder
große Stufen geschieden, auf jeder prangten andere charakteristische
Dinge.... Die unterste Stufe, deren Ebene so hoch lag, daß
unsere Köpflein eben ihre Herrlichkeit beschauen konnten (gegen
die alles betastenden Kinderhände schützte sie ein solides Holzgitterchen),
enthielt die Darstellung der Geburt Christi in vielen
(etwa einen Schuh hohen) schön geschnitzten oder auch zierlich
gekleideten Figuren. Zahllose Lämmer lagen und standen schauend
und grasend auf der Wiese aus grüner feingeschnittener Wolle.
Ein frischer Spiegelbach wand sich durch die Flur, trieb Mühlen,
schlüpfte unter Stegen und Brücklein durch und verdankte sein
gläsernes Wasser einem kecken Wasserfall, der aus gleichem Stoff
über flimmernde Felsen aus Baumrinde sprang. Gefährliche, fast
unmögliche Pfade und Steige führten von der Mittelterrasse auf
die Ebene herab, auf ihnen eilten Hirten und Hirtinnen herbei
mit mancherlei Gaben. In der Mitte der Hinterwand dieser
Terrasse stand in tiefer schimmernder Felsenhöhle das Kripplein
mit dem Jesukind, daneben Maria und Joseph, davor knieten
schon die ersten Hirten; im Hintergrund wohnte der für uns
höchst interessante Esel und Ochs. Am Giebelfeld der Höhle
schwebte der ,Glori-Engel' in silbernen Wolken mit Spruchband:
Gloria in exelsis deo.
„Die zweite Stufe beherbergte eine lange Reihe netter Häuschen,
die nur einen schmalen Raum vor sich ließen. In jedem
dieser Häuser wohnte ein Handwerker, und mit größter Zierlichkeit
standen oder saßen sie bei ihrer Arbeit, ihren Maschinen und
Geräten. Es gab da Schmiede, Schreiner, Gärtner, Müller,
Binder, Drescher, Zimmerleute, Drechsler, Spinnstube, Schuster,
Schneider u. s. w. Die Mitte (oberhalb der Weihnachtshöhle)
nahm auch hier ein mit Schneckenhäuslein und Frauenglas bestreutes
Felsthor ein ....
„Der oberste (mit dem zweiten nicht verbundene) Raum
stellte einen von drei Seiten geschlossenen, nach vorne offenen
Stadtplatz vor, die Stadt Bethlehem.... Den rechten Flügel
des Platzes bildete ,das Kaffeehaus', den linken ein altertümliches
Stadtthor, daneben eine schöne zweitürmige Kirche, das Wirtshaus
zur Sonne und das Mauthamt von Bethlehem u. s. f."
Die Vorführung der Geburtssage, wie sie einst im Krippenspiel
üblich gewesen war, hat längst an Interesse verloren. Wie
viel früher ins Jesusgeburtsspiel sind in sie volkstümliche Scenen
eingedrungen, haben nach und nach die Oberhand gewonnen, dann
die alten Sagenscenen Schritt für Schritt zurückgedrängt und
endlich als etwas Fremdes, Ungehöriges völlig ausgeschieden.
So in Tirol, Salzburg, Oberbayern und Oberösterreich. Nach
Paillers Bericht bildete der geschilderte scenische Aufbau den
Schauplatz für eine Art Puppenspiel, das mit der Geburtssage
schon so gut wie in keiner Verbindung mehr stand und volkstümliche
Scenen darstellte, deren drastische Wirkung sich immer
neu bewährte. Ein Bub kletterte auf einen Tannenbaum, fiel
herunter und verzog sich seufzend mit einem Kameraden. Ein
Schulmeister prügelt beide. Ein Pfannenflicker streitet mit der
Kaffeefrau, zündet das Kaffeehaus an und bekommt dafür vom
Polizisten fünfundzwanzig aufgezahlt. Eine Gräfin besucht die
Kirche, in der die Lichter brennen. Der herzhafte Schwang aus
dem frischen Alltagsleben mit seinen urwüchsigen Anschauungen
von Lohn, Strafe und Gerechtigkeit ergreift die Zuhörerschaft
tiefer als die alte bis zum Ueberdruß gehörte, im höchsten Maße
unwahrscheinliche Sage von der Geburt eines neuen Gottes, und
darum muß sie selbst dem rohsten Schwanke weichen.
Anderorts bröckelte immer mehr von der Krippe und dem
Weihnachtspanorama ab. In manchen Gegenden des Erzgebirges
stand 1860 in den Häusern nur noch ein Weihnachtsengel im
Fenster, eine weißgekleidete Puppe mit Flügeln. Ueber seinem
Kopfe hielt er mehrfach einen Papierstreifen mit bunter, von
hinten erleuchteter Inschrift: „Ehre sei Gott in der Höhe!" Um
1870 war er an den meisten Stellen verschwunden. Wo er noch
stand, erleuchtete kein Lämpchen mehr die Inschrift; und vielleicht
ist die Zeit nicht mehr fern, wo auch der letzte dieser Weihnachtsengel
unter Kinderhänden einen jähen Untergang gefunden hat.
Von ihrem altheimischen Boden in den Kulturländern
Europas immer mehr vertrieben, flüchtet die Krippenfeier, von
der katholischen Mission getragen, in andre Erdteile. 1851 fand
sich eine Krippe in Montevideo in Südamerika. Ein Reisender
berichtet darüber: „Behufs der.... Weihnachtsfestlichkeiten war
neben dem Altar eine Krippe hergerichtet, welche recht niedlich
aussah, hier ruhte nun das Jesuskind auf einer Handvoll Stroh,
und umher standen die Eltern, prachtvoll angekleidet, vornehmlich
Joseph. Ein Tischchen stand in der Mitte der Kirche, und darauf
ein aus weißem Wachs gebildeter kleiner Christus neben einem
Theebrett, bestimmt, die Kupfermünzen zu empfangen, welche
mildthätige Fromme dort könnten opfern wollen; damit die
schwarzen Christen sich indes nicht vergessen halten, sondern recht
fühlbar einsehen sollten, daß das Weihnachtsfest auch für sie da
sei, lag auf einer Erhöhung ein kleiner schwarzer Christus in
Ebenholzfarbe glänzend und mit wolligem Haar."
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