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Die Geschichte der Deutschen Weihnacht
Kapitel IV

Jesusgeburtspiel


Auch nachdem der Geburtstag des Gottes Jesus auf den 25. Dezember festgesetzt war und als kirchlicher Festtag gefeiert wurde, war er doch noch für Jahrhunderte nicht das Hauptfest des Winters gewesen. Hatte das vierte Jahrhundert gleich den alten heiligen Schriften die Geburtssage des Stifters vorangestellt, so erfreute sich dieselbe doch noch für länger als ein halbes Jahrtausend nicht desselben Ansehens wie andre Teile. Die allmächtige Tradition wies ihr neben der altberühmten Erscheinungssage nur eine bescheidene Stelle an. Der 25. Dezember ward der Gedenktag der Geburt, der 28. der des Kindermordes von Bethlehem, der 6. Januar blieb der der Erscheinung in göttlicher Herrlichkeit und überstrahlte die beiden andern bei weitem.
Der Epiphaniassonntag hatte in der alten gallischen Kirche des neunten Jahrhunderts einen besonders festlichen und lebhaften Gottesdienst. Aus dessen aufgezeichneter Ordnung entwickelten sich, vielleicht schon im zehnten Jahrhundert, kleine kirchliche Aufführungen in lateinischer Sprache. Aus Rouen, Limoges und Orleans sind solche Ritualien erhalten. Das Officium der drei Könige von Rouen läßt die drei Könige aus drei verschiedenen Teilen der Kirche hervorschreiten nach dem Altar, begleitet von Geschenke tragenden Dienern. Der erste König, welcher aus der Mitte kommt, deutet mit seinem Stabe nach dem Stern und spricht:

In überhellem Glanze strahlt der Stern!

der zweite antwortet von rechts:

Der als geboren verkündet den Herrn der Herrn;

und der dritte schließt, von links vortretend:

Dessen Kommen dereinst Weissagungen verkündigt.

Vor dem Altar treffen die Magier zusammen, küssen sich und singen: „Lasset uns gehen und ihn suchen, und ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen als Geschenke darbringen." Nach Gesang und Umzug wird ein Vorhang zurückgeschlagen. Die Könige bringen ihre Geschenke dar und beten das Kind an. - Aus diesem Ritual, das schon dramatisch genug ist, gingen dann förmliche geistliche Spiele hervor, die im zwölften Jahrhundert in Frankreich schon ziemlich ausgebildet waren, aber immer noch in der Kirche aufgeführt wurden. Aus Orleans sind uns solche erhalten.
In Deutschland hat sich ganz die gleiche Entwickelung vollzogen. Aus derselben Liturgie entwickelten sich hier Dreikönigsspiele, die bereits im neunten Jahrhundert im Südwesten sich ausbildeten. Im Kloster Freisingen wurden dieselben damals als Singspiele aufgeführt. Sie behandelten vor allem die Anbetung des neugeborenen Jesus durch die Magier aus Morgenland, und an diese schloß sich bald die Tötung der Bethlemer Kinder durch Herodes. Die Aufführung dieser Episode ist mit der Reise der Magier zur Geburtsstätte des Kindes zu nahe verwachsen, als daß eine selbständige Aufführung dieser Scenen möglich gewesen wäre. Denn auch in ihr spielen die Magier eine Hauptrolle.
Die ganzen Spiele erscheinen noch bunt zusammengebaut. Verse aus Virgils Aeneide, Stellen aus Sallust und andern Römern dienen zur Ausstaffierung des ersten Orleans-Freisinger Stückes, das nichts weiter ist als eine Erweiterung des alten Rituals. Von den Sagenzügen ausgehend, welche am Erscheinungstage haften, gelangt das Spiel auch zu der eigentlichen Geburtssage. Die Magier, welche an die Krippe treten und ihre Geschenke darbringen, sind ja nicht die ersten Menschen, welche dies thun: vor ihnen waren schon die Hirten da. Die Stelle der heiligen Schriften, welche in abgerissener Weise diese Sage erzählt, führt die Scene nicht aus, und so war es kein Wunder, wenn sie sich auch in der kirchlichen Aufführung erst später ausbildete. Mit ihrem Eintritt in diese aber war der entscheidende Schritt geschehen, die Aufführung rückte nach Weihnachten, das Epiphaniasspiel wurde nach und nach zum Weihnachtsspiel oder genauer zum Jesusgeburtspiel. Mönchisch-priesterlicher Anschauung entsprungen und in erster Linie für Priester bestimmt, blieb es lateinisch, vom Volke unverstanden und die religiösen Bedürfnisse des Volkes nicht verstehend. Höchstens, daß das Auftauchen des glänzenden Sternes und später die Aufstellung der Krippe nach dem Muster der Krippenfeier ein wenig auf die Einbildungskraft der großen Massen wirkten.
Mit dem zwölften Jahrhundert beginnt eine neue Zeit für die gebildete religiöse Dichtung in Deutschland. Die christliche Lehre begann aus dem ausschließlichen Besitze der Priester und Mönche langsam in die sozial besser gestellten Kreise hinüberzugleiten und auf deren Lebensanschauungen leisen Einfluß zu gewinnen. In einzelnen Stunden lenkte sie sogar schon den Sinn der oberen Volksschichten von den unmittelbaren Interessen des Lebens auf kirchliche Vorstellungskreise und Interessen, die sich aber doch immer mit den Interessen des Lebens berührten. Dahin gehört vor allem die Eroberung der Stelle, an der ehemals nach der Sage das Grab des Gründers der fremden Religion sich befunden haben sollte. Die Schlachtengeschichte kennt die da- durch in die Ferne gelenkte heimische Volksbewegung unter dem Namen Kreuzzugsbewegung.
Noch bis in weit spätere Zeit reichte der passive Widerstand der weiten Volksschichten gegen den neuen Kultus. Denn nur um einen Kultus handelte es sich ja zunächst, nicht um eine Weltanschauung, oft nur um Namen. Dieselben Handlungen, die man, einer germanischen Gottheit geweiht, für ruchlos hielt, galten, den drei christlichen Göttern dargebracht, für heilig. Die ganze Anschauungswelt von der Persönlichkeit der Naturgewalten blieb. Ein persönlicher Wille bewegte nach wie vor Sturm und Wetter, nach wie vor gaben persönliche durch Gebet und Opfer zu bestimmende Mächte Regen, Sonnenschein und Gedeihen für die Fluren, schützten Haus und Hof vor Feuersgefahr und gaben Sieg im Kriege. Davon, daß das Leben auf der Erde nur eine Vorbereitungszeit für ein Leben nach dem Tode sein soll, weiß das mittelalterliche Volk nichts. Nicht in irgend einer abstrakteren Frage liegt der Schwerpunkt der mittelalterlichen Religion, sondern in der Behauptung, in der zuversichtlich ausgesprochenen und starrköpfig verteidigten Behauptung, daß ihre Meinung das Richtige, alles andere das Falsche sei. Im Gewande einer höheren Kultur und überlegenen Geistesbildung einziehend, mußte diese Religion äußerlich den Sieg gewinnen, wenn sich nur hartköpfige Streiter in genügender Anzahl fanden. Otfrieds Evangelienharmonie trieft von unaufhörlichen Versicherungen, daß seine Geschichten wahr seien, und durch fast die gesamte christliche Priesterdichtung bis zum vierzehnten Jahrhundert geht der gleiche Zug. Man muß sich das gegenwärtig halten, um ganz den Eindruck begreifen zu können, den diese Tendenzdichtung auf den mit dem Christentum noch nicht Vertrauten machen mußte, wie auf den, der sich mit ihr im Alleinbesitz der ewigen Wahrheit wähnte. Für jenen bedeutete die treuherzige Versicherung des Priesters, was er berichte, sei blanke Wahrheit und so gut wie Selbsterlebtes, eine Erschütterung der eigenen Ueberzeugung, die sich solcher Angriffe nicht versah; für den bereits Gewonnenen aber bedeutete die Vorführung solcher Gedankenketten den ganzen vollen Jubel deutlich bewußter Ueberlegenheit über den bedauernswerten Mann, der sich noch nicht zu dieser Höhe aufgeschwungen hatte.
Auch das lateinische Jesusgeburtspiel ist von dieser Strömung gepackt und mit fortgerissen worden. Im dreizehnten Jahrhundert wurde im Kloster Benediktbeuren ein solches Spiel aufgeführt, das uns in einer Niederschrift wohl des vierzehnten erhalten ist. Wo Sprecher und Angeredeter über gemeinsame Grundlagen der Ueberzeugung einig sind, bedarf es nicht mehr der fortwährenden Versicherung, daß der gemeinsame Boden unerschütterlich stehe, ja dieselbe ist geradezu unmöglich. Sobald sich das Jesusgeburtspiel über das Rituale hinaus zur Selbständigkeit erhob, mußte diese dogmatische Tendenz hervortreten, und ein Stück, das sie aufweist, muß noch in die Kampfzeit des Christentums fallen. Die Wahrheit oder Falschheit der Geburt des neuen Gottes bildet den Gegenstand des Benediktbeurer „Scenenspiels von der Geburt des Herrn". Es steht aber bereits auf einer fortgeschritteneren Stufe der Entwickelung. Beide, Darsteller und ihr mönchisches Publikum, stehen auf seiten der neuen Meinung, aber die fruchtlose Bekämpfung derselben nimmt einen breiten Raum ein. Beide Menschengruppen empfinden dem Angreifer gegenüber blutigen Hohn. Ihre Ueberlegenheit über die wahnwitzigen Zweifler kommt ihnen deutlich zu Sinne, weil ihnen der hohe Gefühlswert ihrer Vorstellungen so klar ins Bewußtsein tritt.
Das Benediktbeurer Spiel gruppiert sich um sieben Hochpunkte, von denen drei außerhalb der biblischen Sage fallen. Die Propheten Jesaias und Daniel und eine Sibylla treten auf und prophezeien, daß eine Jungfrau den Retter der Welt gebären wird. Als vierter Prophet bringt Aaron eine Rute, die unter elf andern auf dem Altar einzig blüht, und Balaam auf dem Esel kommt als fünfter und sagt: Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen. Der Archisynagog mit einer Gruppe Juden widersetzt sich durch Lärm der gehörten Prophezeiung, stößt seinen Genossen, schüttelt den Kopf und den ganzen Leib und stampft mit Fuß und Stock auf, macht dabei die Bewegungen der Juden nach und wendet sich entrüstet an seine Begleiter. Der Knabenbischof tritt ihm entgegen, und Augustin streitet mit ihm und singt im Wechselgesang mit den Propheten, während der Archisynagogus sich dagegen wieder mit Lachen und Lärm sträubt.
Erst nach dieser Einleitung beginnt das Geburtspiel, das einfach verläuft. Der Engel verkündet Maria ihre Befruchtung. Elisabeth und Josef erscheinen, Maria legt sich aufs Bett, gebiert ihren Sohn, Josef setzt sich ehrbar neben sie, ein Stern geht auf, und der Chor singt: „Heute ist Christus geboren!" Die Verkündigung der Befruchtung der Maria durch den Engel, das Erscheinen der Elisabeth, die Geburt des Kindes nehmen nur einen kleinen Raum ein. Sie bilden nur die Einleitung zu dem Christjubel. In der Kirche wohl schon des zwölften Jahrhunderts war es üblich gewesen, daß an einer bestimmten Stelle, wenn der Priester die Worte verlas: Puer natus est nobis, ein von andern Priestern verunstalteter Jubel losbrach, an dem sich das Volk bei seiner Freude am Schreien und Johlen nur zu gern beteiligte. Naiverweise nahm das mönchische Spiel an, daß dies bei der wirklichen Geburt auch so gewesen sei und erweiterte den Zug zu einer Scene.
In der dritten Scene begegnen die drei Könige den Boten des Herodes und fragen diese nach dem neugeborenen König. Diese eilen zu ihrem Herrn. Herodes ist entsetzt, läßt den Meister der Synagoge rufen und entläßt die Könige mit der Mahnung, ihm Mitteilung zu machen, wenn sie den Gesuchten gefunden.
Erst jetzt folgt die Scene der Hirten auf dem Felde; auch sie ist ganz antiphonisch aufgebaut. Der Engel verkündigt den Hirten die große Freude, aber der Teufel erklärt das für Lüge. Beide suchen die Hirten zu überzeugen. Sie sind sich unklar, wem sie glauben sollen, da singt der Chor der Engel das „Ehre sei Gott in der Höhe!", und die Hirten ziehen nach der Wiege. Wieder folgt eine kurze Ueberleitungsscene, in der die Hirten das Kind verehren, auf der Rückkehr von da die Könige treffen, und diese ihre Gaben dem Gesuchten darbringen. Sie gehen ein Stück, legen sich nieder, schlafen und ein Engel warnt sie im Traume, zu Herodes zurückzukehren.
Ja der Engel geht noch weiter: er verspottet den Herodes, weil er sich von den drei Königen hat täuschen lassen. Der Meister der Synagoge kommt, berichtet dem König, daß Bethlehem die betreffende Stadt sei, Herodes läßt durch seine Soldaten die Kinder töten, die auch gleich zur Hand sind. Die Mütter jammern. Sofort wird Herodes von Würmern zerfressen und seine Leiche von frohlockenden Teufeln in Empfang genommen. Jetzt weist der Engel Joseph an, mit den Seinen nach Aegypten zu ziehen. Er zieht ab. Sofort bedeutet die Scene Aegypten. Das Stück deutet das an, indem der König von Aegypten mit Gefolge auftritt. Joseph, Maria und Jesus ziehen wieder auf - da stürzen die ägyptischen Götterbilder nieder. Vergeblich suchen die Priester sie aufzurichten. Die Weisen belehren indessen den König, daß der Gott der Hebräer der Gott aller Götter sei. Er bekennt sich zu ihm. Alle Götzenbilder fallen. Aber diese Scene ist zu wirkungsvoll. Sie muß eine Wiederholung haben, die zugleich eine Zusammenfassung ist. So erscheint der König von Babylon als Vertreter der Heiden. Die Juden erheben sich ebenfalls, auch der Teufel erscheint. Ein Chor macht den Beschluß.
Schon im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, noch so lange das lateinische Spiel selbst lebendig war, muß es eine Verbreitung weit über das Benediktbeurer Kloster gehabt haben, sonst könnten nicht in Tirol, Oberösterreich und Ungarn deutsche Reste auf uns gekommen sein.
Die Einleitungsscenen dieses Stückes haben sich in deutscher Uebersetzung bis in die Mitte unsers Jahrhunderts in Tirol erhalten. Das eigentliche Jesusgeburtspiel jedoch war weggefallen. Dieselbe Einleitungsscene hat ein Spiel von der „Kindheit Jesu" aus dem vierzehnten Jahrhundert. Das volkstümliche Element des Kinderbischofs ist später verschwunden. Zwei sehr lebendige Liebeslieder waren wohl nur vorübergehend in das Spiel aufgenommen worden. Bei den häufigen Aufführungen mochte nach dem Geschmack des Leiters bald das eine, bald das andre dazutreten. Um so größerer Beliebtheit erfreuten sich die Judenscenen. Außer in dem Tiroler Stück haben sie sich auch im ungarischen und Oberösterreicher Spiel bis gegen 1850 erhalten.
1210 verbot Innocenz III. die Aufführung dramatischer Spiele in den Kirchen und zugleich die Schauspielerei der Geistlichen überhaupt. Damit schieden sie jedoch noch keineswegs aus dem Orte ihres Entstehens. Aber wohl nahm nach und nach der priesterliche Einfluß auf sie ab. Deutsche Verse und Strophen durchbrachen gegen das Ende des dreizehnten Jahrhunderts hin hie und da den ununterbrochenen Fluß des lateinischen, kirchlichen Spieles; ihre Wirkung überstieg die der lateinischen, größere deutsche Einschiebungen wurden gemacht, und das vierzehnte Jahrhundert that endlich den entscheidenden Schritt zum völlig deutschen Spiel. Aber erst in seiner zweiten Hälfte gaben die kirchlichen Aufführungen vielfach ihre fremdländische Form auf und nahmen deutsches Gewand an. Bei dem Aufleben des Volkstums, nachdem der französische Einfluß der Minnesängerzeit abgeschlagen war, war die Kirche genötigt, dem nationalen Empfinden entgegen zu kommen. Nur so waren ja die Menschen zu gewinnen. Wie im vierzehnten Jahrhundert die Krippenfeier Zur volkstümlichen Religionsübung wurde, indem sie ganz deutsches Gewand annahm, so wenig später auch das Jesusgeburtspiel. Zunächst entstanden Uebersetzungen des lateinischen Befundes an Stücken. Aber dabei blieb man dann nicht stehen. Sobald man einmal von der schmackhaften Kost genippt hatte, wollte man mehr. Hatte schon das lateinische Stück volkstümliche Elemente enthalten, so legte eine nichtpriesterliche Zuhörerschaft naturgemäß noch weit höheren Wert darauf. Während das mehr Gottesdienstliche zum Teil noch lateinisch blieb, war das Volksmäßige deutsch.
Nach und nach dringen direkt komische Episoden ein, hie und da siegt mit der stärkeren Beteiligung des Publikums die deutsche Sprache ob. Schon vorher hat das Drama den Altarplatz verlassen. Es ist zur Kirchenthür hinaus und damit in den Besitz des Volkes übergegangen. Schon im vierzehnten Jahrhundert spielte man in St. Gallen deutsch. Die Weissagungen der Propheten, die Gespräche der Personen der neutestamentlichen Sage sind deutsch, und vor allem die Hirtenscene, die schon ausführlicher erscheint, aber doch erst auf dem Wege ist, sich auszubilden. Auch fremden Einflüssen war das nicht mehr kirchliche Weihnachtsspiel ausgesetzt. Während des Konzils zu Konstanz wurde bei einem Festschmaus, den die Vertreter Englands dem Rat und den angesehenen Bürgern der Stadt gaben, am 23. Januar 1416 ein Weihnachtsspiel auf nichtkirchlichem Schauplatz aufgeführt.
Was der Priester in feierlicher Salbung vortrug, erschien den Zuhörern nicht selten urkomisch, reizte zum Nachäffen. Gerade was er als hochheilig pries, verspottete man am liebsten. Das Heimische, Vertraute forderte sein Recht gegenüber dem Fremden, Aufgedrängten. Dieses Spotten ist oft falsch verstanden worden. Wie man sich am Feste über die Mühen der Arbeit lustig macht und dann doch wieder den Nacken geduldig ins alte Joch beugt, so, hat man gemeint, fühlt ein Volk auch von Zeit zu Zeit einmal das Bedürfnis, das, wovor man in Alltagsstunden zittert, einmal von ganzem Herzen zu verhöhnen. Ueber die eigene Thorheit, wie man sich schwerfällig zur Arbeit anstellt, kann man spotten, über das, was einem wirklich heilig ist, spottet man nicht, der Ungebildete am wenigsten. Es wurde ein Volksvergnügen, die kirchendienstlichen Handlungen zu travestieren, die wunderlichen Bekenntnisse und Gebete der Kirche zu barem Unsinn zu verdrehen oder durch noch plattere Gedanken lächerlich zu machen, weil man diese Dinge wirklich komisch fand. Wo der Priester sich in den Buchstaben verrannt hatte und gegen die Thatsachen blind war, wie gegen die schiefe Stellung des Vater Joseph in der Geburtssage, da fand die volkstümliche Unbefangenheit das Lächerliche seiner Position sehr bald heraus.
Auch im dramatischen Spiele befriedigte das Volk die einfache Darstellung der angeblich so unendlich wichtigen Geschichten nicht. Es will Blut von seinem Blut und Fleisch von seinem Fleisch, um lieben, um lachen zu können. Wo es sich vergnügen will, wenn es in etwas aufgehen soll: da müssen grobe Prellereien die Schadenfreude laut auflachen lassen, körperliche Gebrechen, auch bloßes Alter und Kraftmangel das Recht der stärkeren Faust illustrieren, und Prügel und sonstige gröbliche Mißhandlungen den Spott über das unglückliche Opfer wecken. Da müssen offene Hiebe auf das Geschlechtsleben und dessen unvernichtbare Bedürfnisse die Auftritte würzen und tüchtiges wütiges Schimpfen und Keifen alter Weiber, das jeder aus der Erfahrung kennt, heitere Erinnerungen wecken. Davon, daß etwas derartiges sündhaft sein könne, wußte man nichts, wie die deutsche Volksanschauung überhaupt nichts wußte von dem Widerstreit zwischen Gut und Böse, zwischen den zwei feindlichen Mächten eines guten und eines bösen Gottes. Ihr war Tugend mit Weisheit und Tüchtigkeit identisch, Laster mit Thorheit und Schwäche. Die populären Dichter des ausgehenden Mittelalters Thomasin von Zirkläre und Seifried Helbling stehen ganz auf diesem Boden. In des letzteren siebentem Büchlein marschiert Frau Weisheit an der Spitze der Tugenden, Frau Thorheit an der der Laster. Der böse Gott Teufel selbst verführt die Menschen nicht zum moralisch Bösen, sondern er „bethört" sie nur, er spiegelt ihnen trüglichen Gewinn vor, während ihr wahrer Vorteil in entgegengesetzter Richtung liegt. Die christliche Lehre von der Belohnung alles Guten in einem Leben nach dem Tode stützte diese Auffassung, die selbst in die theologische Litteratur eindrang.
Das Durchbrechen dieses unverfälschten Volkstums in den Spielen geschieht ganz allmählich. In einem aus Eger stammenden Spiel des fünfzehnten Jahrhunderts weckt ein Hirt den andern und sie erzählen sich ihre Träume. Ein hessisches Spiel des fünfzehnten Jahrhunderts bildet die Hirtenscene bereits volksmäßig aus. Seine Anfänge gehen wohl noch ins vierzehnte Jahrhundert zurück, es selbst wurde im fünfzehnten mehrfach aufgeführt. Es kam in Berührung mit älteren deutschen Spielen. Die Hirten, von denen schon zwei Evangelien zu erzählen wissen, standen der Einbildungskraft des Volkes am nächsten. Für sie waren keine fremden Namen überliefert, und darum konnten sie deutsche bekommen. Hatte das lateinische Stück den einen Hirten als Pastor, den andren als seinen Servus bezeichnet, so nannte das Deutsche diesen nun knecht czegenbart und führte noch einen Czolrich und einen hartherzigen Wirt Arnold ein.
Uebte das lateinische Stück noch im vierzehnten Jahrhundert dogmatische Polemik, so ist das deutsche des fünfzehnten darüber hinaus. Die Sagen von der Geburt des Menschenerretters sind wirklich Volkseigentum geworden. Ihre Wahrhaftigkeit braucht nicht mehr behauptet zu werden. Ihre Volkstümlichkeit stützt sie schon selbst. Aber die Massen nehmen nicht einfach hin, was die Priesterschaft ihnen bietet. Aus den zahlreichen Zügen, die ihnen vorgeführt werden, heben sie einige wenige heraus, die ihnen behagen. Diese führt dann die Phantasie in ihrer derben ursprünglichen Art weiter aus mit bitterem Ernst und gleich daneben durch Thränen lachend, schön rührsam und erbaulich und daneben wild ausgelassen. So will es das deutsche Volksstück. Wenn ihm die „heiligen Personen" nahe kommen sollen, so muß es sie auch zu sich herabziehen und aus Fleisch von seinem eigenen Fleisch wieder aufbauen. Da bot sich dann als komische Figur ganz von selbst der „alte Joseph". In der ältesten Sage war der Weise von Nazara der Sohn des Tischlers Joseph und seiner Gattin Maria. Das beweist noch das Geschlechtsregister in dem Evangelium nach Matthäus. Um Jesus' Abkunft von Abraham und David zu beweisen, wird nachgewiesen, daß Josephs Vater Jakob ein Nachkomme dieser ist. Als dann das vierte Jahrhundert den Begründer der neuen Religion zum Gotte und zum leiblichen Sohne eines Gottes erhob, und die andern dem zuwiderlautenden Stellen der heiligen Schriften ausgemerzt wurden, übersah gelehrter Leichtsinn diese Stelle. Spätere Zeit, die nicht mehr so leicht in der hochgehaltenen Ueberlieferung des Textes Aenderungen vornahm, bemerkte den fatalen Rest alter Auffassung und zog sich damit aus der Schlinge, daß sie einfach dekretierte, auch Maria habe von David abgestammt und sei somit eine Stammbase Josephs gewesen. Dadurch wurden die alten Weissagungen wieder richtig.
Mit dem Siege der neuen Auffassung, Jesus sei Sohn des Gottes gewesen, erhielt Joseph eine wenig beneidenswerte Rolle. Er war nichts viel andres als der betrogene Ehemann, mochte auch ein Gott sein glücklicherer Nebenbuhler sein. Das Mittelalter, dem noch kein erkünsteltes Anstandsgefühl den Sinn für die natürliche Auffassung so einfacher Verhältnisse trübte, faßte ihn auch so und machte sich über ihn in seinen Spielen lustig. Während seine Gattin ein blühendes, junges Weib war, das seine Würde nie verlor, machte man ihn zum alten Graubart, mit dem man nichts weniger als glimpflich umsprang, der im Weihnachtsspiel Schläge bekam und in vieler Hinsicht die komische Figur spielte. Bei aller Gutmütigkeit erhebt er sich doch nur ganz selten über das Lächerliche.
Seit mehreren Jahrhunderten mit dem Inhalt der Sagenüberlieferungen der neuen Religion in Berührung gebracht, hatten die weiteren Schichten des Volkes sich nach und nach daran gewöhnt, denselben als den Rahmen für eine ganze Weltanschauung aufzufassen. Namentlich der Dualismus trat ihnen näher und machte ihnen die Bedeutung der Geburt des Gottes Jesus verständlicher. Das hessische Stück behandelte die Sage ganz im Sinne dieser Weltanschauung. Der gute Gott und der böse Gott, Lichtreich und Reich der Finsternis, stehen einander gegenüber. Um den Menschen aus den Krallen des bösen Gottes Teufel zu retten, befruchtet der gute Gott eine Jüdin aus der Familie des Königs David, Maria, die mit einem Stammvetter Joseph verlobt ist. Sein Diener, der Engel Gabriel, kündet ihr ihre Schwangerschaft an. Sie ist erschreckt, ergibt sich aber darein. Ihr Bräutigam jammert darüber, beteuert er sei unschuldig daran und will sie verlassen:

Neyn ich blibe hie nicht
An dir ist geschen eyn geschicht
Defs wirste haben schande
Wo mans irvert in dem lande.

Erst der Engel Gabriel vermag ihn, bei ihr zu bleiben. Sie werden auf der Reise gedacht, und Joseph bittet einen Hausherrn Arnold für sich und die Jungfrau um Unterkommen; dieser weist ihn ab, weil sie keine Jungfrau sei, sondern ein Kind bekomme. Ein andrer ebenfalls. Da gehen sie in das gemeyne hufs. Joseph holt eine Wiege. Maria gebiert ihr Kind, die Engel singen Gloria in excelsis deo. Aus der Krippenfeier ist die Wiegenscene eingedrungen mitsamt den Versen des Mönchs von Salzburg. Ja noch mehr. Die älteren Jesusgeburtspiele verdienen ihren Namen eigentlich gar nicht ganz. Die Geburt steht bei ihnen gar nicht im Mittelpunkte. Die sich an sie knüpfenden Schicksale von Jesus' Eltern sind in ihnen weggeblieben. Die Stücke verleugnen eben bis ins vierzehnte Jahrhundert an keiner Stelle ihren Ursprung als Epiphaniasspiele. Erst hier ist derselbe ausgetilgt. Maria singt:

Joseph lieber newe myn
hilff mir wiegen dass kindelein

und Joseph antwortet:

Gerne liebe mume myn
hilff ich der wiegen dyn kindelein.

Auch das Tanzen um die Wiege ist mit ins Jesusgeburtspiel eingedrungen. Mochte es schon bei der Krippenfeier vorkommen, daß Joseph und Maria von ihren Sitzen aufstanden und sich den Tanzenden anschlossen, so tanzen hier der komische Joseph und seine Diener um die Wiege. Die Engel singen, Jungfrauen kommen, verehren das Kind und tanzen ebenfalls um die Wiege. Dabei erfahren wir, daß Maria in winden vnd in regin In eynem vffenbaren stallen liegt, daß rind vnd esselin anwesend sind. Auf einmal beginnt das Kind zu reden:

Eya eya maria liebe mutter myn
sal ich von den ioden liten grosse pin.

und Maria tröstet:

Swige libes kindelin iesu crist.

Der Engel weckt die in der Nähe schlafenden Hirten, was ihm aber erst nach mehrfachen Bemühungen gelingt. Der Hirte stößt den Knecht czegenbart mit dem Stock heftig in die Seite. Nach seinem Bericht liegt das Kind zu bethleem in eyner krippen vnder der zubrochen schoppen. Sie gehen dahin, begrüßen es und bitten es um seine Gnade, das heißt namentlich um reichliches Essen, dessen Bestandteile sie sorgfältig aufführen. Dann Tanz um die Wiege. Joseph und Maria beklagen ihre Armut. Sie haben keinen Hausrat und nichts zu essen. Maria hat nicht einmal Windeln und Windelbänder, um ihr Kind einzuwickeln. Um es warm zu erhalten, braucht sie Josephs Hilfe. Und Joseph gibt ihr zwo alt hossen, die er entbehren kann, und die neben den Löchern noch ganz sind. Er nimmt das Kind und singt Suse liebe ninne, ruft aber dann Hillegart und Gutte zum Warten. Die wollen ihm aber eine orfige geben, während er ihnen die lenden smern will, wenn sie nicht kommen. Sie hauen ihn wirklich und er schreit. Er bittet um Gnade. Hillegart macht dem Kinde einen Brei. Gutte wirft Hillegart vor, sie sei in der Schule mit dem Schulmeister verschwunden, und Hillegart jener, sie habe neulich mit zweiunddreißig Knechten unter dem Zaune gelegen. Sie geraten sich in die Haare und Joseph trennt sie. Hillegart tanzt mit Arnold, Gutte mit Czolrich um die Wiege. Die Engel singen, Joseph deklamiert ein Stück Johannesevangelium. Maria singt Joseph lieber nebe myn, das Kind beginnt sein Eya - da erscheinen plötzlich Teufel auf der Bildfläche und beraten, wie dem Unglück zu begegnen sei, das das Kind über sie bringe: dann warnen die Engel Joseph vor Herodes, der alle kleinen Kinder morden wolle, Joseph sagt es Maria, und sie brechen auf. Josephs letzte Worte sind:

Nu wol uff vnd volge mir
mir woln geen zu dem guden bier.

Noch im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wurde bei manchen Weihnachtsaufführungen das Kind in ein paar alte Hosen von Joseph gewickelt. So in Aachen. Noch andre einzelne Nachrichten haben wir aus dem sechzehnten Jahrhundert, die mancherlei Einzelzüge belegen. So nahmen damals die Engel in den Spielen breiteren Raum ein.
In Matthesius' Historien von Jesu Christo heißt es: „Da nun die Engelein jren gesang volendet, faren sie wider gen himel, das ist, sie verbargen sich als vnsichtbare Creaturen, vnd (wie die Kirche singet) kommen sie gen Bethlehem vnd dienen Marie, vnd sind jre Werterin, vnd wiegen das liebe Jesulein, vnd frewen vnd verwundern sich vber dem schönen Kindelein, das an seiner mutter brüste liget, vnd singen jr Sause liebe Ninne."
Hie und da bildeten sich Gesellschaften für die Aufführung der Weihnachtsspiele und erhielten zum Teil entsprechende Privilegien. Anderorts wurde dieselbe Gemeindeangelegenheit, wieder in andern Gegenden war sie das Vorrecht der erwachsenen ledigen männlichen Jugend.
In den älteren, noch lateinischen Spielen waren die Judenscenen und der Christjubel wohl das Populärste. In den deutschen Spielen finden sich zwei solche Scenen, nämlich die Hirtenscenen und das Herbergesuchen. Bei beiden hat die Volksphantasie gern verweilt. Beide hat sie sich nicht so leicht entreißen lassen. Lagen sie doch ihren Anschauungskreisen viel zu nahe, waren sie ihr doch aus ihren eigenen Verhältnissen heraus völlig verständlich. An die rührende Scene des Herbergesuchens haben sich zahlreiche Lieder angeschlossen. So im achtzehnten Jahrhundert der Sang:

„Felsenharte Bethlemiten,
Wie könnt ihr so grausam sein,
Und Maria auf ihr Bitten
Nicht den kleinsten Platz verleih'n?

Will sich denn kein Mensch bequemen.
Sie und ihren Ehgemahl
In die Wohnung aufzunehmen?
Weist man ab sie überall?

Ach kein Winkel ist vorhanden,
Niemand nimmt sich deiner an!
O des Undanks! O der Schanden!
Nirgends wird dir aufgethan!
Unerbittliche Gemüter,
Seht, die zarte Jungfrau tragt
Den vermenschten Weltgebieter -
Und ihm wird ein Platz versagt!"

Mit der kirchlichen Reformation des sechzehnten und den bitteren Religionskämpfen des siebzehnten Jahrhunderts gelangte die christliche Epoche des deutschen Volkes auf ihren Höhepunkt. Diese Zeit ist auch die einzige in der gesamten Zeit des Christentums in Deutschland, in der die weiten Schichten des Volkes an den religiösen Spielen selbst tiefen Anteil empfinden. Mit dem Anbruch des sechzehnten Jahrhunderts weicht das volksmäßige Rankenwerk, das in der vorausgehenden Zeit dem Volke die Spiele allein annehmbar gemacht hatte, sichtlich zurück und verschwindet stellenweise sogar ganz, namentlich auf protestantischem Gebiete. Die weiten Volkskreise haben sich in die Weltanschauung des Christentums wirklich eingelebt und stellen ihre Interessen thatsächlich über die Interessen des Lebens. Mögen die Hirten und Judenscenen auch noch weiterhin im Süden ihre heitere Wirkung unerschüttert behaupten, mit der heiteren Auffassung der Schicksale von Jesus' Eltern ist es vorbei. Dadurch daß die Reformation in den Sagenquellen der Kirche einen scharfen Unterschied einführt und die Evangelien streng von der Tradition scheidet, hebt sie die Gestalten der biblischen Sage auf einen hohen Kothurn, und ihr wachsendes Ansehen unterdrückt sogar allmählich hie und da den Hohn und Spott gegen die komische Figur Josephs, wenn derselbe in abgelegeneren Orten auch zuweilen noch unverändert fortlebt.
Das sind die Gründe, warum erst das sechzehnte Jahrhundert Jesusgeburtspiele geschaffen hat, in denen die Geburtssage auch wirklich den Kern der Handlung ausmacht und durch sich selbst das Interesse der Zuschauer gefesselt hält. Man glaubt jetzt wirklich, daß man von Grund aus im Widerspruch stehe zu den sittlichen Idealen, die die papierne Ethik der Kirche predigt, daß man darum grundschlecht sei und von dem guten Gotte notwendigerweise nach dem Tode in einen Schwefelpfuhl geschleudert werden müsse, wenn man nicht die feste Ueberzeugung gewinnen könne, daß sein Sohn Jesus die Schlechtigkeit aller Menschen durch seinen Tod am Pfahle ausgeglichen, einen Strich durch sie gemacht habe. Der noch in den Windeln liegende Sinn für kausale Verknüpfung von Ereignissen erlaubte die verschiedensten Kombinationen zwischen den einzelnen Punkten dieser Vorstellungswelt. Zahlreiche Spaltungen der Ueberzeugung mußten die Folge sein, und erst die Erkenntnis, daß man sich mittels der Logik aus diesem Labyrinth von Thesen nicht herauszufinden vermochte, führte anderthalb Jahrhundert später bei wenigen Fortgeschrittenen zu der Erkenntnis, daß die Wahrheit bei keinem einzigen der vielen Bekenntnisse sei.
Erst jener gesamte mythologische Hintergrund aber konnte der Sage von Jesus' Geburt die Weihe und Bedeutung geben, in deren Banne man stehen muß, um jene Sage als etwas Großartiges, alles andre Ueberragendes, Unermeßlichhohes zu empfinden. Ohne diese Voraussetzung im Zuschauer kann kein Jesusgeburtspiel erheben und eine Bedeutung als Kultushandlung behaupten.
Die Blütezeit der christlichen Weltanschauung im sechzehnten Jahrhundert ist auch die Blütezeit des Jesusgeburtspieles. Erst im sechzehnten Jahrhundert entstehen auf volkstümlicher Grundlage neue Jesusgeburtsdramen. Der Nürnberger Schuhmacher Hans Sachs schrieb 1557 sein Weihnachtsspiel: „Die entpfengnuß und geburt Johannis und Christi"; der Trabant Edelpöckh 1568 sein Weihnachtsspiel', das Berliner Weihnachtsspiel von 1589 folgte. Die Verfasser von allen dreien kannten volksmäßige Weihnachtsspiele, auf deren Grundlage sie ihre eigenen Dichtungen aufbauten. In seiner „Tragedia von der schepfung fall und außtreibung Adae auß dem paradeis" steht Hans Sachs einem offenbar älteren volkstümlichen, zu Weihnachten gegebenen Paradeisspiele noch weit näher. Seine Stücke haben dann wieder mehrfach auf das Weihnachtsspiel des Volkes eingewirkt. Aus seinem „Spiel von Christi Geburt" (1557), der „Tragedia vom Sündenfall" und der „Tragedia vom wütrich könig Herodes" sind ganz umfängliche Versgruppen in das volksmäßige Spiel übergegangen; namentlich in die Tradition des Oberuferer Christigeburtspieles und Paradeisspieles. Selbst Edelpöckhs Weihnachtsspiel hat möglicherweise das volkstümliche beeinflußt.
Die Aufführungsformen des sechzehnten Jahrhunderts sind in den Grundzügen wohl erhalten in einem Spiel, das in neuerer Zeit in Ungarn aufgezeichnet und 1855 herausgegeben wurde. Schon im Oktober versammelten sich danach die zum Spiel geeigneten Personen bei dem Lehrmeister, um ihre Rollen einzulernen. Zum Vortrag gehörte, daß alles nach einem gewissen Rythmus skandiert und in vier Schritten hin und her gehend gesagt wurde, so daß auf jeden Schritt ein Versfuß fiel und bei dem vierten, welcher den Reim trug, der Redner sich rasch wendete. Nur die heiligen Personen „sagten" nicht, sondern „sangen", marschierten dabei aber ebenso taktmäßig wie die andern. Alle Rollen, auch die weiblichen, wurden von Burschen gegeben, und sämtliche Spieler verpflichteten sich für die ganze Zeit ihres Auftretens zu einem frommen, tadellosen Lebenswandel. Erst im Verlauf des siebzehnten Jahrhunderts aber vollzog sich jene Scheidung zwischen Volkstümlich und Kirchlich, die, selbst eine Folge des Niederganges des Kirchlichen, zu weiterem kirchlichen Niedergange geführt hat. Während man früher alle vorhandene Kunst, Musik und Bildnerei für die religiöse Feier heranzog, schied man sie jetzt aus. In Verbindung mit dem Ungarischen Rudiment wurde noch 1855 keine fröhliche Musik, keine Drehorgel, kein Pfeifen geduldet. Nicht einmal in dem Dorfe durfte es sich regen, wo gespielt wurde.
In der alten deutschen Festzeit vor Weihnachten begann das Spiel. Am ersten kirchlichen Adventsonntage fand der feierliche Auszug statt. Voran ein riesiger Stern, welchen ein starker Mann trug, der zugleich Vorsänger war und Meistersänger hieß. Dieser Auszug entstand durch Vereinigung zweier volkstümlicher Feiern, des Jesusgeburtspieles und der Weihnachtsumzüge, die, ursprünglich Martins-und Nikolausumzüge, vielleicht schon im Mittelalter nach Weihnachten gezogen wurden, bis dann mit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts eine zweite Schicht dahin überging, während ihre Hauptpersonen die Namen Martin und Nikolaus ruhig beibehielten. Das Martins- und Nikolausbäumchen, das bei ihnen, ursprünglich ein Segenszweig für Menschen und Vieh, eine große Rolle spielte und an das sich Gaben knüpften, erhielt sich in diesen Umzügen, bekam aber im neunzehnten Jahrhundert von seinem zu Ehren gekommenen Vetter den Namen Christbaum, obgleich es eigentlich ein Adventsbäumchen ist. Es wurde neben dem Meistersänger getragen und dahinter zogen sämtliche Spieler, heilige Lieder singend, nach dem gemieteten Saal, wo gespielt wurde. Vor demselben angelangt, blieben sie stehen, bildeten einen Halbkreis und sangen „zum glücklichen Umzug" einen Gesang, welcher das Sterngesang hieß und mit den Versen anfing:

Ir lieben meine singer fangts tapfer an
zu grüeßen wolln wirs heben an.

Sie grüßten dann Sonne, Mond und Sterne, Kaiser und Regierung:

„im namen aller würz alein,
soviel als in der erden sein"

sie grüßten:

den Meistersinger gut
und den meister singer hut.

und schlossen mit den Worten:

so grüßen wir dich durch den hürewagen der durch den himel tut herum faren.

Nach diesem Segensspruch traten sie mit dem Liede: „Unsern Eingang segne Gott" in den Saal, wo ein kleiner Raum unmittelbar an der Eingangsthür durch einen Vorhang von dem größeren Teil getrennt war, in welchem die Zuschauer rundherum auf Bänken und Stühlen saßen, während in dem kleineren die Spieler zusammengedrängt standen. Von Coulissen und anderm Apparat war nichts da, als ein Strohsessel und ein Schemel. Stand der erstere in der Mitte, wo gespielt wurde, so war Jerusalem als Schauplatz angenommen; setzte man sich auf den Schemel, so wurde Bethlehem als Hintergrund gedacht, und um dies noch deutlicher zu machen, hielt Joseph das Strohhaus, in welchem er sich befinden sollte, in seiner Hand. Jeder Scenenwechsel wurde durch einen Umzug des ganzen Chors, bestehend aus allen Mitgliedern, die ein beziehungsvolles Lied sangen, angedeutet, worauf die handelnden Personen in der Mitte stehen blieben und der übrige Chor singend abging. Prolog und Epilog „sprach" der Engel, der sonst stets sang. Wenn die drei Hirten ihren Traum erzählten, den sie in einer und derselben Nacht gehabt, so wandten sie jedesmal einander den Rücken zu, um anzudeuten, daß jeder, unbeeinflußt von der Mitteilung des andern, dasselbe geträumt habe. Der Traum selbst wurde kurz vor dieser Erzählung dadurch versinnbildlicht, daß alle drei kerzengerade neben einander hinfielen und der Engel auf ihnen herumtrat, um ihnen den Traum einzugeben, wobei sie sich nicht rühren und keine Miene verziehen durften, da der Engel trotz seiner schweren Stiefel als „schwebend" nicht gefühlt werden konnte. Der Hauptmann hielt dem Herodes, einer kolossalen Gestalt, ein getötetes Judenkind vor und sagte:

aber den neugeborn König han wir nicht funden!

Darüber versank Herodes in Trübsinn, schüttelte langsam das Haupt und sprach traurig in feierlich singender Weise:

Ach! ach und aber ach!
wie bin ich heunt so schwach!

Ein höchst wirksames Moment bildeten die Juden und Schriftgelehrten, von denen einer, weil er von Herodes zum Tode verurteilt wurde, einen roten Kragen trug. Der Teufel, zu welchem gewöhnlich ein etwas liederliches Subjekt ausgesucht wurde, war die kurzweiligste Person im Stücke, scherzte mit dem Publikum, trug Stühle herein und rannte vor Beginn der Aufführungen durch das Dorf, um jung und alt zu schrecken und zu necken und, auf seinem Kuhhorn furchtbar tutend, zu den Spielen einzuladen. Im Gegensatz zu ihm wurde zu der Jungfrau Maria ein schöner und streng sittlicher Bursche ausgewählt, der Wirt, welcher die heilige Familie beherbergte, und der Lakai oder Page des Königs Melchior trugen ungarische Tracht, der ungläubige Hirt aber war in einen großen Pelz gewickelt. Der Mohrenkönig trug zur Andeutung seiner Hautfarbe einen schwarzen Flor über das Gesicht.
Seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts entstehen, wie bemerkt, von einzelnen Dichtern geschaffen, zahlreiche Jesusgeburtspiele. Auch die nah damit verwandten Themen werden vielfach besungen. Sie gehören aber nicht der volkstümlichen Weihnachtsfeier an, selbst wenn sie wirklich einmal hier und da aufgeführt worden sind. Es bildet sich neben der volkstümlichen und bald ganz unabhängig von ihr eine eigene litterarische Ueberlieferung, die auch hier und da mit den geistigen Strömungen der Zeit in Berührung tritt und unbewußt selbst leise von den die folgenden beiden Jahrhunderte bewegenden Weltanschauungskämpfen beeinflußt wird. Aber schon im achtzehnten Jahrhundert gehört die Jesusgeburtssage bald nicht mehr zu den Stoffen, die der Dichter einer poetischen Behandlung für würdig hält. Das Ereignis seiner Geburt hat aufgehört als der Mittelpunkt der Weltgeschichte betrachtet zu werden, es ist wieder eine Sage geworden wie tausend andre. Sie wird noch den Kindern erzählt, aber die strebenden Köpfe der Zeit wollen nichts mehr von ihr wissen. Die Zeit der christlichen Weltanschauung ist vorüber.
In den niederen Volksschichten, namentlich auf dem Lande, fern von blühenden Industriezentren, erhalten sich die alten Jesusgeburtspiele fort, meist in den Formen des siebzehnten Jahrhunderts, und nur selten berührt von den Strömungen, welche durch die Zeit gehen. Selten, aber doch nicht niemals. Noch die Sturm- und Drangzeit gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts hat einigen süddeutschen Stücken, wohl mittelbar durch die volkstümliche Puppenbühne, ihren Stempel aufgedrückt. In dem Brixlegger Spiel ruft Herodes „förchterlich umherblückend": „Stürmme nur zu - schücksal, verwehe jede Blüthe! - Der stam trotz(t) deinner wuth und steht unerschütterlich fest.- - Ha! - einn neuer König?! - ein ohnmächtiges Kind soll(t)e dem Herscher (von) Judenland die Krone von Haubte schlagen? eher verschlinge mich die Erde? - eher soll Raben (und) adler(n) - mein Körper zur speise dinnen, ehe nur die kleinste Nerve an mir bebte - o mein Arm ist starck - starck, starck! - meinne Wafen! - weib - bist du taub? meinne wafen! - Gut - fo wil ich mich selbst Rüsten! (wil fort)."
Der Einfluß, der sich hier geltend macht, ist aber nur ein rein formeller. Mit den Weltanschauungskämpfen der Zeit haben die Stücke nichts zu thun. Weder das Ende des bösen Gottes Teufel um 1700, noch die Abstreifung des Mythologischen von der Gestalt des geschichtlichen Jesus seit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts in der Anschauung der Gebildeten, weder der Versuch des Rationalismus, die Folgerungen aus dem Dogmengebäude zu retten, während dieses selbst zusammenbrach, noch die endgültige Ersetzung des Begriffes einer Schöpfung durch den der Entwickelung seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts haben im Jesusgeburtspiele Eindrücke hinterlassen. Die stumpferen Schichten des Volkes, auf die sich diese Spiele immer mehr beschränkten, haben sich nicht einmal die Mühe genommen, dem Fortschritte der sittlichen Ideale in ihnen Rechnung zu tragen. Keins der neuen sittlichen Erkenntnisse hat man für den Aufbau, für die Umbildung der Spiele verwertet. Langsam, ganz langsam sind sie immer tiefer herabgesunken. Von geschichtlicher Treue haben sie nie etwas gewußt, und die fortschreitende geschichtliche Bildung hat da auch nicht nachgeholfen. Aber auch aus der unmittelbaren Gegenwart ist wenig aufgenommen worden. Auch wo man die alte Tracht nicht einmal mehr richtig anzulegen verstand, hat man sie vielfach beibehalten. Anderorts hat man sie auf die Personen aus Jesus' Familie beschränkt. Seit sich im siebzehnten Jahrhundert die Gebildeten von diesem Kultus bedeutungslos gewordener Dinge abwendeten, hat keine Annäherung wieder stattgefunden. Die Stücke sind zu Rudimenten geworden, die aus der Vergangenheit unverstanden in die Gegenwart hereinragen. Nur der Bildungshochmut hat manchmal gemeint, das, worüber er selbst hinaus ist, sei für das Volk noch lange gut genug, und hat salbungsvoll über das Wünschenswerte der Erhaltung des Nichterhaltbaren gesprochen.
Besonders verhängnisvoll für die Jesusgeburtspiele wurde seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts das völlige Sichabwenden der Gebildeten von ihnen. Seit im Jahre 1650 der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I., um das Erbe der Rheinlande antreten zu können, die Duldung aller christlicher Religionen in ihnen dekretiert hatte, lernten die Fürsten einsehen, daß eine derartige Maßregel ihren Territorien nur Vorteil brächte. Darum folgten bald andre nach, und wenn dieser Zustand staatsrechtlich auch erst 1815 im Wiener Frieden festgelegt wurde, so war er doch schon um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts so gut wie allgemein Thatsache geworden. War jenes Dekret des Brandenburgers schon zum Teil eine Frucht der Erkenntnis, daß es doch recht thöricht sei, sich wegen mythologischer Differenzen die Köpfe einzuschlagen und das Land zu entvölkern, so förderte sie dieselbe in noch höherem Grade. Seit 1650 beginnen die Gebildeten, den Zänkereien der Bekenntnisse kühler gegenüber zu stehen und sich ihre eigene Meinung außerhalb derselben zu bilden. Erst jetzt trennt sich Volksglaube und Gebildetenglaube. Mit der Bekämpfung der Reste der alten deutschen Weltanschauung beginnt man. Hieran lernt man das Wahrscheinliche von dem Gewagten scheiden, und kein Jahrhundert vergeht, da rechnen auch die Dogmen der Kirche mit zu dem Gewagten. Solange die unabhängig denkenden Neuen noch in der Minderzahl sind, d. h. das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch, nehmen sie für sich den Begriff der Duldung oder Toleranz in Anspruch. Er soll sie gegen Angriffe von kirchlicher Seite schützen. AIs sie dann seit dem zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts zahlreicher werden, fällt der Mantel, und sie gehen zum direkten Angriffe auf die Reste mittelalterlichen Kirchentums über, das jede Beziehung zu jenen volkstümlichen Spielen weit von sich weist, um sich nicht zu kompromittieren.
Im siebzehnten Jahrhundert, und zwar in dessen zweiter Hälfte nach der Grenzscheide zum achtzehnten hin, erhielten eine Reihe oberösterreichischer Stücke ihre endgültige Form, wenn auch noch später Einzelheiten in sie eindrangen. W. Pailler charakterisiert sie in seinen Krippenspielen aus Oberösterreich und Tirol. Sie heißen Krippenspiele, weil sie bisweilen auch vor dem Krippe genannten Weihnachtspanorama aufgeführt wurden, das den Hintergrund stimmungsvoll abschloß. Eine ganz primitive einfache Bühne bildet hier den Schauplatz. Das Christkind ist eine Holz- oder Wachsfigur, die übrigen Personen sind lebendige Menschen. Die ganze süß sentimentale Art der „Ritterfräulein", die das gesamte deutsche Puppenspiel kennzeichnet, dessen Blüte in das siebzehnte Jahrhundert fällt, ist in Maria und den sonstigen Frauen des Stückes verkörpert. Herodes und seine Hofherrn, sowie die Hirten sind nahe Vettern der „bösen Grafen" und ritterlichen Wüteriche geworden, sowie der feigen „Schranzen" und rohen, aber treuherzigen Bauern. Der eigentliche Mittelpunkt dieser Spiele ward das Jesuskind in der Krippe. Am meisten hervor tritt sonst die Mutter Maria. In ihr hinterlassen die verschiedensten Strömungen Eindrücke. Ihre Gestalt verliert ihre ursprüngliche Einfachheit. Zum Teil erscheint sie, namentlich dem Engelsgruß gegenüber, als schüchterne, überraschte, fromme Jungfrau. Beim Herbergsuchen muß bald ihr Gatte sie in ihrer Verzagtheit trösten, bald beruhigt sie ihn und spricht ihm Mut ein. An der Krippe bricht dann die besorgte Mutter in ihr durch, bis zum Gespreizten, gegen die Hirten ist sie hoheitsvoll freundlich. Bald erscheint sie im Gespräch hoch über Joseph stehend, bald als seine demütige Magd, die ergeben seine Worte nachspricht. Joseph ist wie seit alters ein hochbetagter Greis. Der „alte Joseph" ist geblieben, wenn auch der Spaßmacher in ihm zurückgetreten ist. Das höhere Wesen der Engel ist durch ihre hochdeutsche Sprache angedeutet. Nicht selten sind auch sie etwas unenglisch übermütig und versuchen mit ihren „weißen Pfoadaln" dem Joseph „das Koch" wegzuessen.
Die Gestalten, welche der Volksphantasie am nächsten standen, waren auch hier die Hirten. In sie hinein hat das Volk darum auch am meisten von sich selbst getragen. Sie wurden mit gehöriger Einfalt, aber auch Derbheit ausgestattet. Man dachte sie sich beschränkt in Wünschen und Anschauungen, aber auch gutmütig und redlich. Die oberösterreicher Spiele sind dafür typisch, und ihr Herausgeber hat in ihnen trefflich die Gesamtheit der Hirtenspiele charakterisiert: „Bei allem derben und grobschrötigen Wesen entbehren sie doch einer gewissen Gefühlsrichtigkeit und Zartheit nicht; sie finden es schnell heraus, welche Gaben fürs Christkind und dessen Eltern die passendsten wären, sie schenken dem, stoanalten' Joseph ,Fäustling' und ,Branntwein' zum Wärmen, der ,schönen Jungfrau' sonstige Lebensmittel und empfehlen letzterer besonders das ,marbe und zarte Lampelfleischerl' als entsprechende Speise. Auch das erkennen sie rasch, daß fürs ,Buaberl' der Schnaps oder ein ,Sterz' noch etwas zu ,stark' sei, und sie deshalb nach Feinerem, z. B. ,Zwiebach' oder ,Bischgotn' (Biskuit) sich umsehen müssen. In der Regel ist unter den Hirten einer, der seine Genossen etwas an Geist überragt, der auch seine Pappenheimer kennt und in gegründeter Besorgnis lebt, es könnten ihm diese bei Besuch der Krippe allerlei ,Narrethei' oder ,Stänkerei' anfangen; die letzteren erhalten daher mancherlei Verhaltungsvorschriften, die aber nicht immer willig angenommen werden. Als Gegenstück dient dann ein Hirt, der von jener Einfalt und Beschränktheit einen größeren Anteil bekam oder wegen körperlicher Gebrechen (Kropf, Strodl u. dgl.) allerlei Zögerung und Umständlichkeit veranlaßt; das alles gibt zahllose heitere Farben und Schattierungen."
Noch 1883 umfaßte die Vorfeier vor Weihnacht die Advent - und Herbergspiele. Zu den ersteren gehörten die Scenen von Maria Verkündigung, das Paradiesspiel und - ein Kampfspiel zwischen Winter und Sommer, das Brixlegger Spiel wurde 1863 achtmal mit Beifall gespielt, das Oswalder 1869 und das Salzkammergütles Spiel noch 1876.
In Oberösterreich und Tirol kam eine eigentümliche Vermischung zweier bisher getrennter Entwickelungsketten zu stande. Aus der Krippenfeier des Mittelalters hatten sich die Weihnachtspanoramen entwickelt, nach ihrer Herkunft meist noch „Krippel" genannt. Bei dem Mangel an scenischer Ausschmückung des Jesusgeburtspiels und Dreikönigspiels wurde später das Weihnachtspanorama als Hintergrund dafür benutzt. Ein paar Kerzen flimmerten festlich. Das Spiel wurde gesungen oder „aufgsagt". Die Aufsagenden hatten keine Bühne, kein eigenes Kostüm, höchstens der Engel trug ein weißes Kleidchen. Die Hirten streckten sich vor dem Krippel auf den Boden hin, schliefen, wurden geweckt und opferten nach symbolischem Rundgang ihre Gaben. Auch das Jesusgeburtspiel und „Dreikinig'spiel" wurden ja Krippel genannt, auch wo sie nicht das Panorama zum Hintergrund hatten. Auch in Kärnthen lebte das Weihnachtsspiel noch lange fort. Dort durchzog noch um 1810 „eine Gesellschaft von Bauern die Gegenden, hatte ein hübsches Bauernmädchen mit sich, welches die Jungfrau Maria vorstellte, vom Christtag bis zum Dreikönigstag, und führte in den Häusern, wo es begehrt wurde, die Sage der Geburt Jesus mit einer „drolligen Entstellung" auf: Ein wohlgenährter, mit Papier umhangener Bube kündigte als Engel Gabriel der Maria die Empfängnis und die Geburt eines Kindes an. Nach einiger Zeit gebar Maria, die auf einem kleinen Fußschemel saß, und Joseph brachte als Geburtshelfer ein aus Holz geschnitztes Kind unter ihrem Rocke hervor. Dickstämmige Bauern, als Hirten und als Magier wundersam angekleidet, verehrten das Kind, nannten es Gott und Herr und brachten Geschenke. Gabriel warnte Joseph vor dem Bethlehemitischen Kindermord und riet zur Flucht nach Aegypten. Kaum waren beide entflohen, so strömten Henkersknechte und Soldaten zur Thür herein, hölzerne Kinder staken an ihren Kosakenmessern, die sie tobend in die Höhe hielten." Die ganze Handlung ging in derben Knittelversen fort.
Daneben stand eine andre Form mit mehr modernen Elementen, die wie im oberösterreichischen „Krippel" unmittelbar aus dem Volksleben entlehnt sind.
Im Möllthale in Kärnthen war noch 1879, als Franzisci seine Kulturstudien über Volksleben, Sitten und Bräuche in Kärnthen schrieb, ein sogenanntes Hirten- und Königsspiel um Weihnachten üblich. Nach einem Prolog, der das Stück ankündigt, öffnet sich die Scene: „Maria, an einem Betschemel knieend, singt eine Ariette in Form eines Gebetes mit gefalteten Händen .... Der Engel Gabriel erscheint mit der frohen Botschaft und fingt das:

„Ave Maria, jungfräuliche Zier!"

Nach dem englischen Gruße, der vor einigen Dezennien noch sinnbildlich mit beweglichen Holzfiguren in Lebensgröße im Gotteshause dargestellt wurde, drängt sich Joseph, der Zimmermann, mit dem Werkzeugbehälter am Rücken, das Längenmaß in der Hand, hinter den Szinezen (Coulissen) hervor:

„So oft ich Maria erblicke,
Erscheint sie mir in einem andern G'schicke."

Seine Bedenken sind jedoch bald gehoben. Der Engel Gabriel rauscht zu ihm heran und eröffnet ihm die Sendung Marias, die gleichzeitig mit hervortritt. Joseph fällt ihr zu Füßen und bittet sie um Vergebung. Sie aber reicht ihm liebreich die Hand:

„Steh' auf du liebster Josef mein,
Verziehen soll dir alles sein."

Ein Handwerksbursche mit der leeren Flasche in der Tasche - als ob er sich zufällig auf die Bühne verirrt hätte - nimmt sich vor den Thoren von Bethlehem gar possierlich als Zeitgenosse Herodes' aus:

„Lauf den Platz wol auf und nieder,
Bettel's Brot, verkauf es wieder."

Ein Wirt kommt zum Vorschein. Der Handwerksmann, der um Herberge bittet, wird natürlich, da er keinen Kreuzer in der Tasche hat, abgewiesen. Diese Episode . . . bildet den Uebergang zur folgenden Scene, in der Maria und Joseph in gleicher Weise vom brutalen Wirte abgefertigt und unbarmherzig in seinen Stall hinausgewiesen werden. Nach diesen Vorspielen beginnt das eigentliche „Hirteng'spiel". . . . . Die Figuren dieses Bildes, die handelnd auftreten, sind drei Hirten. Ihr Kostüm ist ganz nach Art der geschnitzten Männlein an der Krippe, die man zu Weihnachten in jeder Alphütte, vom dunklen Grün der „Tasen" (Fichtenzweige) überschattet, aufgestellt findet. Ein Hirt, in freiem Felde auf einem Baumstrunke sitzend, beschäftigt sich mit Ausbesserung seiner „Joppe" (Oberkleid), wozu er immense Rokokobrillen auf die Nase steckt. Sein langer Schäferstab lehnt an der Seite. Zu diesem gesellen sich zwei andre Hirten. Bald entspinnt sich unter ihnen ein Wechselgesang voll Leben und Laune. Die heilige Nacht bricht an, und die Hirten strecken sich behaglich am Boden nieder.

„Bouben, leeg mer uns zan Schofen,
Woll'n a wenig schloffen,
Kumt der Wolf, stihlt uns a Loam,
Helf mer holt Alle zoam,
Halt er ans, so sei's in Gotts Namm."

Seltsame Töne, Guguckrufen sollen den Gesang der himmlischen Heerscharen andeuten. Eine Engelsstimme läßt sich vernehmen:

„Auf, ihr Hirten, kommt herbei.
Und verlaßt die Schäferei."
Das Hirten-Kleeblatt liegt unbeweglich am Boden. Endlich erhebt sich einer und ruft im Halbschlafe, sich die Augen reibend:

„Umma, treib umma die Haplan (Lämmer) za mir, I hob nit dar Weil, umme z'gehn za dir."

Während der Engel hinter der Scene das „Gloria" singt, erwacht bald der eine, bald der andre der Hirten vom Schlafe, und ihre Ausrufe sind ebenso drollig als naiv. Doch als ein Engel im Phantasiekleide, mit angehefteten Flügeln aus Pappe, urplötzlich vor ihnen steht, und einer der Hirten verwundert aufblickt und den Engel mit der absonderlichen Titulatur: „Du g'flügelter Bua!" anspricht, findet die Einfalt und Naivetät ihren vollsten Ausdruck:

„Sag' an, du g'flügelter Bua, Wia kummt mar denn zan Kindl dozua."

Die Hirten eilen zu der Krippe und opfern ihre Geschenke:

I bring' dir in an Kibel a Schmalz,
Und i in aner „Gstatel" a Salz.

Dieser Hirtenscene folgt das etwas ernstere „Königsg'spiel". Herodes tritt auf in seiner vollen Pracht, den Herrscherstab in der Hand, die strahlende Krone von Rauschgold am Haupte, über das sich der Purpur eines Thronhimmels wölbt. Sein Schritt ist gemessen, stolz seine Haltung, jedes seiner Worte atmet Herrschsucht . . . . Ein Trompetenstoß kündet die Ankunft der heiligen drei Könige bei Herodes an. Nun bewegt sich die Handlung Zug um Zug nach der heiligen Geschichte, selbst die Worte sind daraus entlehnt, nur in urwüchsige Reime gebracht."
Im sächsischen Erzgebirge zog noch zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Königsschar von Neujahr bis Lichtmeß in den Dörfern herum. Sie bestand aus zwei Engeln, Joseph, Maria, Wirt und zwei oder drei Hirten, außerdem aber aus den drei Königen aus Mohrenland, Herodes, seinem Diener und einem Schriftgelehrten, und führte gewöhnlich in einem größeren Zimmer die Sage von der Geburt bis zum Kindermord auf. Schon seit 1850 sind diese Stücke aber sehr in den Hintergrund getreten, da die Polizei die Aufführungen verbot. Was früher der Ausdruck der religiösen Ueberzeugung war, wurde jetzt als Entweihung des „Heiligen" angesehen, das man damit entvolkstümlichte. Damit wirkte die Polizei unbewußt im Sinne des geistigen Fortschritts. Die Spiele waren das letzte Band, das die protestantische Bevölkerung mit den alten Ueberlieferungen seiner Religion verknüpfte.
Der Verfasser des Buches „Die Weihnachtsspiele im sächsischen Erzgebirge", der Zwickauer Gymnasiallehrer Gustav Mosen, hat versucht, in seinem „Weihnachtsfestspiel" den alten Zügen eine neue Fassung zu geben, aber seine Bemühungen sind von geringem Erfolg gewesen. Der naive Glaube, den solche Vorführungen voraussetzen, ist unwiderbringlich geschwunden oder doch unaufhaltsam im Schwinden, und Dinge, die nur dann ein Daseinsrecht haben, wenn sie von den Gefühlen der Menge getragen sind, lassen sich nicht künstlich erhalten. Die Voraussetzungen für die Wirkung solcher Stücke schwinden jedes Jahr mehr, und es ist vergebliche Mühe, diese selbst noch halten zu wollen.



Wer sich für die Geschichte von Weihnachten und des Nikolausbrauchtums interessiert findet in Tilles "Die Geschichte der Deutschen Weihnacht" manch interessante Information. Tilles Werk wurde 1893 veröffentlicht. Alexander Tille (1866 -1912) war ein deutscher Germanist und Philosoph.
Die blühenden Bäume der Weihnacht
Die altdeutschen Schreibweisen wurden in den hier aufbereiteten Texten des Buches beibehalten.

Inhalt des Buches:
1. Christliches Jesusgeburtsfest, römische Januarkalenden und deutsche Winteranfangsfeiern
2. Mittelalterliche Weihnachten
3. Krippenfeier und Weihnachtspanorama
4. Jesusgeburtspiel
5. Weihnachtsumzüge
6. Volkstümlicher Weihnachtsglaube
7. Weihnachtsbescherung
8. Die blühenden Bäume der Weihnacht
9. Der Weihnachtsbaum






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